Die Sache ist doch: Entweder ist man ein Torwart. Oder eine Legende. Ein Torwart steht im Tor, die Legende aber ... nun, die braucht keinen Stammplatz. Die Legende ist immer groß, auch wenn sie auf der Bank sitzt. Sie muss, weil sie ja schon legendär ist, eigentlich gar nicht mehr spielen. Manchmal wäre das ja sogar kontraproduktiv, obwohl Nasser Al-Khelaifi, der Präsident von Paris Saint-Germain, das gewiss nicht glaubt, wenn er Gianluigi Buffon als, genau, Legende bezeichnet.
"Er kann uns noch viel geben, auf dem Platz und außerhalb", hat der PSG-Chef dem spanischen Sportblatt Marca gesagt. Außerhalb? Bei der Legende dürften alle Alarmglocken klingen. Und noch ein wenig lauter läuten sie wahrscheinlich jedes Mal, wenn Thomas Tuchel das L-Wort benutzt. "Eine Legende mit einem großen Gewicht in der Mannschaft", sagt Tuchel zum Beispiel. Gewicht oder Klotz am Bein? "Alphonse wird nicht gegen ihn, sondern dank ihm reifen."
Fußball:Wie die Auswärtstor-Regel die Branche aufwühlt
Thomas Tuchel, José Mourinho und weitere Trainer von Topklubs wollen die Vorschrift abschaffen. Eine Änderung würde das Spiel aber nicht unbedingt fairer machen.
Alphonse heißt mit Nachnamen Areola, er ist 25 Jahre alt, also exakt 15 Jahre jünger als Buffon, und er wurde im Sommer mit Frankreich Weltmeister, ohne eine Minute Spielzeit in Russland. Buffon ist auch Weltmeister, er hat 2006 in Deutschland im italienischen Tor gestanden, allerdings ist das halt auch eine Weile her. In der Zwischenzeit reifte er zur Legende und Alphonse Areola zur Nummer 1 bei PSG. "So habe ich das nie gesagt", wiegelte Tuchel vor dem Match gegen Saint-Etienne am Freitagabend ab, bei dem Areola spielte. "Bevor Buffon kam, habe ich ihm nur angedeutet, er sei in Pole Position als Nummer 1. Jetzt müssen wir sehr intelligent sein." Um das zu bekräftigen, schob Tuchel einen Guardiola-Satz hinterher: "Die beiden sind in toptoptoptoptop Form."
In der Champions League ist Buffon noch gesperrt
Derart tipptopp, dass der Italiener zwei Mal in der Liga ran durfte, beim 3:0 gegen Caen und beim 3:1 gegen Guingamp. Areola stand beim 3:1 gegen Angers im Tor und beim 4:2 gegen Nîmes. Drei Gegentore in zwei Spielen. Gigi kassierte nur eins. Bei Juventus musste sein Nachfolger Wojciech Szczęsny in drei Spielen dreimal hinter sich greifen. So weit die Statistik.
Am kommenden Dienstag wird in Liverpool, beim Champions-League-Duell Tuchel gegen Klopp, Areola eingesetzt. Logisch, denn Buffon war nach seinem Ausraster gegen den Schiedsrichter bei der Partie Juventus gegen Real Madrid ("ein Herz wie eine Mülltonne!") von der Uefa für drei Spiele gesperrt worden. Da dachte man noch, mit dem furiosen Champions-League-Abschied bei Juve gehe für den ewigen Kapitän auch der endgültige Abtritt von der großen Bühne einher. Aber die Legende lebt und zog nach Paris.
Bei Juve hatte man Buffon einen Lehrlingsposten im Management angeboten, also einen ähnlichen Job, wie ihn jetzt die römische Legende Francesco Totti bei seinem alleinseligmachenden Klub AS Roma absolviert. Totti hatte sich unter großem Schluchzen von seinem Publikum verabschiedet, ist aber jetzt ganz glücklich mit der neuen Aufgabe. An seinem 42. Geburtstag übernächste Woche wird er seine in Buchform gegossenen Memoiren präsentieren - standesgemäß im Kolosseum. Buffon aber will noch spielen: "Ich bin ein Wettbewerbstier." Deshalb Paris. Vielleicht muss er auch noch ein wenig Geld verdienen, als Unternehmer (Wäschefirma Zucchi) und Fußballpräsident (Carrara Calcio, dritte Liga) war er nicht so erfolgreich und zahlte drauf.
"Gigi ist Gigi", sagt Tuchel mit seinem netten Akzent: "Tschitschi est Tschitschi." Gigi ist nur fünf Jahre jünger als Thomas, raucht gern mal eine Zigarette, trinkt gern mal ein Gläschen Wein, und Veganer wird Buffon in diesem Leben auch nicht mehr. Gigis Lebensgefährtin ist Ilaria D'Amico, die bekannteste Sportjournalistin Italiens, vor der die Männer des Fußballs durchaus zittern, weil die Fragen dieser schillernden Frau noch ein wenig spitzer sein können als ihre Absätze.
Wegen Gigi hat D'Amico ihren Job als Moderatorin der Liga-Sportschau beim Fernsehen aufgegeben und die Champions-League-Sendungen übernommen. Da wird sie dann bald auch Monsieur Tuchel interviewen, egal, ob Gigi spielt oder nicht. Es ist der große Zirkus, in dessen Arena der blonde Schwabe gerade die ersten Schritte unternimmt. In welcher Rolle, wird sich weisen.
Während in Italien jeder Satz von Tuchel auf die eventuelle Demontage eines nationalen Denkmals untersucht wird ( La Repubblica unterstellte ihm schon "un cœur comme une poubelle" - ein Herz wie ein Mülleimer), bleibt der alte Lebensakrobat Gigi cool: "In einem Vierteljahrhundert Karriere hat mir nie ein Trainer verkündet, dass ich einen Stammplatz hätte. Es ist doch völlig klar, dass ich bei PSG schon mal gar keinen Anspruch auf ihn habe." Bei ihm gebe es keine Nummer 1, Nummer 1a oder Nummer 1b, präzisierte Tuchel. Ein Fußballtrainer ist schließlich keine Ratingagentur.
Und die Legende schwebt sowieso über allem. Über Saint-Etienne, über Nîmes, sogar über Liverpool. Bei 642 Erstligaeinsätzen und 160 in Europapokal-Wettbewerben kommt es auf einen mehr oder weniger nun wirklich nicht an.