Nach dem 1:2 in Dortmund:Der Wind in Paris wird rauer

18.02.2020, Fussball, UCL Saison 2019/2020, UEFA Champions League, Achtelfinale - Borussia Dortmund - Paris Saint Germai; Tuchel

Thomas Tuchel beim Spiel gegen Dortmund.

(Foto: imago images/RHR-Foto)
  • Nach der Niederlage in Dortmund droht Paris erneut das frühe Aus in der Champions League.
  • Trainer Thomas Tuchel muss sich aufgrund seiner Formation rechtfertigen.
  • Stürmer Neymar klagt, man habe ihm nicht genug Spielpraxis gegeben. Der Klub habe seine Rückkehr verschoben.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Im Obergeschoss des Stadions klagte nach dem Spiel der Pariser Trainer Thomas Tuchel: "Unseren Schlüsselspielern fehlte heute der Spielrhythmus." Zur selben Zeit klagte im Untergeschoss des Stadions der Schlüsselspieler Neymar: "Ich hätte schon vor neun Tagen gegen Lyon wieder spielen können, aber meine Rückkehr wurde verschoben, verschoben, verschoben." Drei Partien in Liga und Pokal hatte der zuvor mit einer Rippenprellung ausgefallene Topstürmer nach eigener Aussage spielfit verpasst, bevor er nun im Achtelfinale der Champions League bei Borussia Dortmund erstmals wieder mitmachen durfte und trotz seines Treffers eine für seine Ansprüche schwache Leistung bot. Für Tuchel war klar: "Wenn Neymar sich schwertut, dann merkt man das sofort in der ganzen Mannschaft. Das ist, als wäre ein Stein im Getriebe. Und manchmal reicht ein Sandkorn, damit alles nicht wie gewohnt ineinandergreift."

Am 11. März im Prinzenpark wird sich zeigen, ob aus dem Sandkorn bei Paris St . Germain ein Getriebe- und Totalschaden wird. Nach dem 1:2 in Dortmund bekam Tuchel direkt mit den ersten Fragen der Pressekonferenz einen Eindruck davon, welcher Wind ihm nun in Frankreichs Kapitale um die Ohren weht: Warum die Struktur des Teams nicht gestimmt habe? Warum die Spieler so verloren gewirkt hätten? Ob er ein falsches System habe spielen lassen? All das wurde Tuchel gefragt, oder besser: Die Fragen waren pure Kritik.

Tuchel, 46, reagierte demonstrativ gelassen: "Diese Niederlage war keine Frage der Struktur, sondern es ging darum, wie wir gespielt haben. Die physische Note in diesem Spiel hatte eine große Aussagekraft - und uns fehlte die Wettkampfhärte. Außerdem haben wir nicht schlau und zu fehlerhaft gespielt. Und wir waren viel zu ängstlich."

In der französischen Sprache gibt es den Duktus der Unbekümmertheit, mit der sich verbale Angriffe trefflich parieren lassen. Tuchel, seit Sommer 2018 bei PSG, spricht mittlerweile recht gut Französisch. Am Dienstag wehrte er die in den Fragen verborgenen Angriffe mit Nonchalance ab. Er wahrte damit sein Gesicht, aber es ist nicht gesagt, dass er auch seinen Job behält. Scheitert er im Rückspiel, scheidet Paris zum vierten Mal in Serie und zum zweiten Mal unter Tuchel im Achtelfinale der Champions League aus, dann würde man den Trainer beim Klub der ambitionierten Scheichs aus Katar womöglich nonchalant aus dem Amt komplimentieren.

Die Angriffsfläche hat sich mit diesem 1:2 jedenfalls vergrößert - ausgerechnet in Dortmund, wo Tuchel im Mai 2017 im Unfrieden mit Vorstandschef Watzke gehen musste. Mit einer Dreier-/Fünferabwehr, die er bei PSG zuvor zehn Monate nicht mehr hatte spielen lassen, wollte Tuchel überfallartige Konter auf die Stürmer Sancho und Haaland unterbinden. Das war keine schlechte Idee, weil drei zentrale Verteidiger theoretisch ja eine bessere Absicherung bieten. Jedoch hatte aus dieser Reihe der Brasilianer Marquinhos, 25, wegen einer Oberschenkelzerrung in den vergangenen Wochen kaum gespielt, auch den routinierten Thiago Silva, 35, plagten Wehwehchen. Der Plan, das Dortmunder Tempo zu stoppen, ging deshalb nicht zufällig in den letzten 20 Minuten schief, als der Abwehrchef Thiago Silva, wie L'Équipe frotzelte, "von Haaland aufgefressen" wurde.

In 43 Pflichtspielen hatte Tuchel zuvor stets mit Viererkette spielen lassen, aber nur an der Abwehrformation lag diese Niederlage selbstverständlich nicht. Das enorme Offensivpotenzial des Pariser Luxuskaders kam ausschließlich beim Ausgleich zum 1:1 (Solo und Pass Mbappé, Abstauber Neymar) zum Vorschein. Neymar, 2017 für 222 Millionen Euro aus Barcelona gekommen und damit weiterhin teuerster Fußballer der Geschichte, wirkte weitgehend lustlos - zumal ihm Dortmunds neuer Wellenbrecher Emre Can gleich zu Beginn mit zwei Statementfouls den Spaß raubte.

Körperlich anfällig ist Neymar schon immer, seit 2018 hatte er fast alle K.o.-Spiele der Königsklasse versäumt. Daher sollte er diesmal in den Partien vor Dortmund geschont werden, erkennbar gegen seinen Willen - aber auf wessen Geheiß? "Die Ärzte und der Klub haben so entschieden", klagte Neymar, seine Kritik würde demnach nicht direkt auf Tuchel zielen.

Für den Trainer bedeutet Neymars öffentliches Lamento auf jeden Fall noch mehr Unruhe im Haus. Laut der Tageszeitung Le Figaro soll Tuchel zudem vom Bruder seines Verteidiger Presnel Kimpembe nach dem Spiel in einem Internetvideo auf Übelste beleidigt worden sein. L'Équipe schrieb, PSG stehe vor dem Rückspiel "mit dem Rücken zur Wand". Man muss davon ausgehen, dass das auch für Thomas Tuchel gilt.

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