Auf der dritten von vier Bahnen lag Lukas Märtens noch immer in Führung bei seinem zweiten Olympiaauftritt, zwei Tage nachdem er über 400 Meter Freistil Gold gewonnen hatte. Schickte er sich nun wirklich an, auch über die halb so lange Strecke eine Medaille zu gewinnen, vielleicht wieder Gold? Doch dann wurde er langsamer und langsamer. Er schaufelte, er kämpfte, nach und nach zogen der Rumäne David Popovici, der Brite Matthew Richards und Luke Hobson aus den USA an ihm vorbei. In dieser Reihenfolge wurden sie Erster, Zweiter und Dritter. Märtens, auf Rang zwei über 200 Meter Freistil in der Weltjahresbestenliste, landete auf Platz fünf.
„Da haben mir einfach die Körner gefehlt“, gab Märtens freimütig zu. Ob er das Rennen zu schnell angegangen sei? „Viel zu schnell. Beine und Arme haben schon nicht mehr im Einklang mitgespielt, es tat einfach alles weh, es hat alles bis in die letzte Sehne gebrannt.“
Wenn einem „die Körner fehlen“, wenn man „blau läuft“, dann sind das erst einmal wunderbare Fachbegriffe aus der deutschen Sportlersprache. Sie beschreiben aber beide einen nicht ganz so schönen Zustand: Denn auch bei Märtens schaltet der Körper dann in den anaeroben Stoffwechsel, produziert mehr Laktat, als abgebaut werden kann, die Muskulatur übersäuert und ermüdet blitzschnell. Märtens schleppte sich nach seinem Rennen eher die Treppe aus dem 50-Meter-Becken hinauf, ein Laktatmonster bahnte sich mit schweren Schritten seinen Weg. „Ich hatte richtig Bock drauf, mit den Jungs ordentlich zu fighten, und habe bis zum Ende gekämpft. Leider hat es nicht für eine Medaille gereicht“, sagte er.
Von einem „Dog-Fighting-Race“ spricht Sieger Popovici später
Vieles hat Märtens, 22, verarbeiten müssen. Seit zwei Tagen ist er Olympiasieger, ein Titel, der sein Leben prägen wird. „Das ging nicht spurlos an mir vorbei. Aber ich habe meine Goldmedaille, alles andere ist Bonus“, sagte er – und schloss Frieden mit dem zweiten, nicht ganz so glücklichen Rennen: „Platz fünf der Welt bei den Spielen schafft auch nicht jeder.“
Von einem „Dog-Fighting-Race“ sprach Popovici später bei der Pressekonferenz der Medaillengewinner. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen also, bei dem jeder den Atem des anderen im Nacken spürt. Märtens war der Hase, Popovici der Jäger, zu wessen Gunsten ein solches Duell meistens endet, ist bekannt. Popovici, erst 19, zeigte aber zugleich Größe bei seinem ersten Olympiasieg: „Glückwunsch an Lukas. Ein großartiger Schwimmer, ein großartiger Kerl“, würdigte der Rumäne Märtens’ Goldrennen vom Samstag.
Lukas Märtens ist nun ein glücklicher Fünfter – und kommt so langsam in den Genießermodus. Am Dienstag möchte er die Lagenstaffel der Männer noch ins Finale lotsen, danach kommt ein weiteres Bonusrennen über 200 Meter Rücken. Und dann kann er endlich mal seiner Schwester Leonie zuschauen, die auch in Paris im Becken und im Freiwasser-Wettkampf startet. Er hat da etwas zurückzugeben, nachdem sie ihm nach seinem Goldrennen in so wunderbaren Worten auf Instagram ihre Zuneigung geschenkt hat: „Ich habe schon so viele schöne Augenblicke mit Lukas erlebt“, schrieb sie, „aber in diesem, in dem er als Erster anschlug, stoppte mein Herz und es war der schönste Moment meines ganzen Lebens.“