Ausschluss Russlands:Die erfolgreiche Revolte der paralympischen Welt

Ausschluss Russlands: Schon die Ankunft ist ein Wunder: Ukrainische Athleten trainieren im National Biathlon Centre von Zhangjiakou.

Schon die Ankunft ist ein Wunder: Ukrainische Athleten trainieren im National Biathlon Centre von Zhangjiakou.

(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Einen Tag nach dem Entschluss, russische Athleten bei den Paralympics zuzulassen, gilt nun doch das Gegenteil. Das Internationalen Paralympischen Komitees sah sich zur Umkehr gezwungen - weil Sportler und Komitees mit Boykott drohten.

Von Sebastian Fischer und Johannes Knuth

Von dort, wo Andrew Parsons tags zuvor gesessen hatte, schaute er auch am Donnerstag wieder von seinem Podium herab, hinunter auf die Journalisten im Main Press Centre von Peking. Diesmal trug er keine Krawatte. Die Nacht, die hinter ihm lag, war ihm durchaus anzusehen.

Rund 20 Stunden waren vergangen, seit der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) den Wunsch geäußert hatte, bei den 13. Winterspielen für Menschen mit Behinderung solle es zum Start am Freitag um Sport gehen, nicht um Politik. Nun sagte er: "Der Krieg wurde zu diesen Spielen getragen. Und dann ist die Situation eskaliert."

Ein paar Stunden nur hatte der Entschluss des IPC Bestand, russische und belarussische Athleten trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine unter neutraler Flagge an den Paralympics teilnehmen zu lassen. Die Kritik war überwältigend. Schließlich gehörte das IPC, ausgerechnet der für Inklusion werbende Welt-Behindertensportverband, damit zu jener Minderheit im internationalen Sport, die Russlands Invasion nicht mit schärfsten Mitteln sanktionierte.

Am Donnerstag folgte das Eingeständnis. Und was in der Zwischenzeit geschah, ist nun Teil der Sportgeschichte.

Eine "sehr hohe Anzahl" an Komitees, Mannschaften und Athleten habe mit dem Boykott der Spiele gedroht, sagte Parsons, 45. Gar "Regierungen", so drückte es IPC-Sprecher Craig Spence aus, hätten "hinter den Kulissen" auf die nationalen Komitees eingewirkt. Die Situation in den Athletendörfern, so stand es in der Mitteilung, sei "eskaliert und nicht mehr vertretbar".

Was genau der Verband damit meinte, blieb vage: "Wir haben keine Berichte über Vorfälle von Aggressionen", sagte Parsons. Aber die Stimmung sei "sehr brisant". Monoskifahrerin Anna-Lena Forster, die am Freitag gemeinsam mit dem Biathleten Martin Fleig für das 17-köpfige deutsche Team die Fahne ins Stadion tragen wird, berichtete von Russen, die "mit dem Blick nach unten" durchs Dorf gelaufen seien. Von russischen Athleten, die sich mit Wladimir Putin solidarisiert hätten, erzählte Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS).

71 russische Athletinnen und Athleten, zwölf aus Belarus, so viele hätten ursprünglich an den Start gehen sollen. Dominanz, gerade in den nordischen Sportarten, wäre zu erwarten gewesen. Parsons entschuldigte sich bei den Sportlern: Sie seien nun Opfer des Handelns ihrer Regierungen.

Lettlands Rollstuhl-Curler drohten als erste mit Boykott

Wie es zu der Umkehr des IPC kam, lässt sich aus diversen Schilderungen der Beteiligten schließen. Nach Kriegsbeginn hatten laut Deutschlands Chef de Mission, Karl Quade, viele nationale Komitees den Ausschluss von Belarus und Russland gefordert, "kein einziges" habe eine andere Position vertreten. Als die IPC-Exekutive die Athleten am Mittwoch trotzdem teilnehmen lassen wollte, hatten mehrere Nationen dies als nicht hinnehmbar kritisiert; Beucher nannte beispielhaft Polen, Frankreich und Norwegen. "Es gab Schreiben, es gab Ansprachen", sagte Quade. Deutschland und Österreich verfassten ein gemeinsames Positionspapier.

Es waren dann offenbar als erstes Team die lettischen Rollstuhl-Curler, die den Boykott eines Spiels gegen Russland ankündigten. Die beiden Mannschaften seien gut befreundet, heißt es auf Anfrage vom nationalen Komitee, doch die Entscheidung sei ein Statement gegen Russlands Invasion. Nach Darstellung der Letten folgte ihnen die Mannschaft Estlands. Auch die Teams aus Kanada und der Schweiz sollen gefragt haben, wie die Sanktionen aussähen, sollten sie gegen Russland nicht antreten. Und das IPC sah plötzlich ein Szenario aufkommen, in dem die Spiele in Gefahr waren.

Für das deutsche Team, sagte Quade, sei ein Boykott kein Thema gewesen. Deutschland ist weder im Rollstuhl-Curling noch im Para-Eishockey qualifiziert, den beiden Mannschaftssporten bei paralympischen Winterspielen. Doch auch die Wortwahl der deutschen Kritik war besonders deutlich; er schäme sich, hatte Quade gesagt. "Wir waren niedergeschlagen und entsetzt", sagte Beucher. "Das Zusammenstehen sehr vieler Nationen" habe "für das dringend erforderliche Umdenken gesorgt". Er lobte den Entschluss: "Das ist ein starkes Zeichen für Demokratie innerhalb der paralympischen Bewegung."

Beucher, 75, früher für die SPD im Bundestag, hatte sich schon bei den Paralympics in Sotschi 2014, als Russland parallel die Krim annektierte und Völkerrecht brach, mit der Ukraine solidarisiert, eine Essenseinladung von Putin ausgeschlagen und das ukrainische Team ins deutsche Haus eingeladen. Er habe sich am Donnerstagmorgen mit Waleri Suschkewitsch getroffen, dem Präsidenten des ukrainischen Paralympics-Komitees, berichtete Beucher nun. Und der habe ihm gesagt: "Friedhelm, es hat sich eine neue Situation ergeben."

Ausschluss Russlands: Ausgeschlossen: Athleten des russischen Paralympischen Komitees sind nicht mehr startberechtigt in Peking.

Ausgeschlossen: Athleten des russischen Paralympischen Komitees sind nicht mehr startberechtigt in Peking.

(Foto: Thomas Lovelock/OIS/Handout/Reutes)

"Einen weiteren Schlag" nach "russischen und belarussischen Bomben", so hatten die Ukrainer den ersten Entschluss der IPC-Exekutive am Mittwoch kritisiert. Suschkewitsch, 67, hatte von IPC-Präsident Parsons im persönlichen Gespräch den Ausschluss gefordert. Am Donnerstag waren die Ukrainer mit einer Pressekonferenz gleich nach Parsons dran. Und Suschkewitsch schilderte in emotionalen Worten die Situation des Teams, 20 Athleten und neun Guides für sehbehinderte Sportler. Dass sie in Peking seien, nannte er ein "Wunder". Viele seien nur knapp den Bomben entkommen, er selbst habe tagelang auf dem Boden eines Busses geschlafen.

"Der einfachste Weg für uns wäre gewesen, nicht zu den Paralympics zu fahren. Aber wir konnten nicht aufgeben", sagte er. "Für uns ist es eine Frage des Prinzips, hier zu sein, es ist ein Symbol, das zeigt, dass die Ukraine lebt." Gerade in den Langlaufwettbewerben sind die Ukrainer in Abwesenheit Russlands Kandidaten für zahlreiche Medaillen.

Russlands Paralympisches Komitee prüft rechtliche Schritte

Ob die Russen tatsächlich den Spielen fernbleiben werden, das bedarf noch einer Bewertung durch den Internationalen Sportsgerichtshof Cas. Russlands Paralympisches Komitee (RPC) kritisierte den Entschluss als haltlos und illegal. Und Sportminister Oleg Matyzin kündigte laut der Nachrichtenagentur Tass eine Klage an, über die der Cas "noch vor der Eröffnungsfeier" befinden solle. Dass Gerichte den Ausschluss aufheben würden, hatte Parsons schon am Mittwoch als Begründung angeführt. "Die juristische Lage bleibt die gleiche", sagte er am Donnerstag.

Geht es nach Experten wie dem Düsseldorfer Sportrechtler Paul Lambertz, sieht die Lage allerdings so aus: Natürlich führe Russlands Paralympics-Komitee keinen Krieg, aber dessen Athleten stünden synonym für ein Land, das eine völkerrechtswidrige Aggression losgetreten habe. "Das muss bestrafbar sein können, auch für den Sport", sagt er der SZ. Und das gebe auch die aktuelle Satzung des IPC her, findet er - selbst wenn dort nirgends ein Passus aufscheint, wonach ein Mitgliedsverband verbannt gehört, sollte dessen Regierung den olympischen Frieden brechen. Auf diese Lücke hatten sich die IPC-Vertreter berufen.

Dafür, so Lambertz, benenne der Ethik-Kodex des IPC andere Vergehen: physische und psychische Gewalt, Rassismus, auch Diskriminierung aufgrund nationaler, ethischer oder sozialer Herkunft. Da könne man einen klaren Erst-Recht-Schluss ziehen: "Wenn Rassismus verboten ist, muss in jedem Fall auch ein Angriffskrieg verboten sein", sagt Lambertz. "Wenn also ein weitaus geringfügigeres Vergehen zu einer Sanktion führen kann, dann muss ein Plus definitiv dazu führen."

In den Regeln des IPC ist übrigens auch festgeschrieben, politische Statements am Wettkampfort zu unterlassen. Doch der Wunsch der Organisatoren, Politik und Sport zu trennen, dürfte bei diesen Paralympics weiterhin misslingen. Ein Herz in den Farben der Ukraine, das trug eine Athletin aus den USA jedenfalls beim Training am Donnerstag auf ihrem Stirnband.

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