Deutsche Sprinter bei den Paralympics:Die Vorbilder werden eingeholt

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Felix Streng (li.) und Johannes Floors (re.) liefen diesmal nicht nach ganz vorne. (Foto: Stephanie Lecocq/Reuters)

Johannes Floors, Felix Streng und Léon Schäfer gehören zu den schnellsten Prothesensprintern der Welt – in Paris werden sie über 100 Meter geschlagen. Das fußt auf einem größeren Trend.

Von Sebastian Fischer, Paris

Der Italiener Maxcel Amo Manu ist seit ein paar Jahren ein Para-Athlet, in Paris hat er sich aus aktuellem Anlass noch mal an seine Anfänge erinnert. 2017 hatte er auf dem Weg zur Arbeit einen Motorradunfall, sein linkes Bein musste unter dem Knie amputiert werden. Irgendwann danach, bis er 2021 sein erstes Rennen mit Prothese lief, habe er sich Videos angesehen, erzählte er, zum Beispiel von Johannes Floors und Felix Streng: „Ich bin ein Fan von ihnen. Gegen sie zu laufen, fühlt sich unglaublich an. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit ihnen auf der gleichen Bahn stehen kann.“

Nun war es allerdings nicht nur so, dass Manu, 32, sich die Bahn mit den deutschen Athleten teilte. Er hatte sie über 100 Meter geschlagen und Silber gewonnen, vor Streng, dem deutschen Paralympics-Sieger von 2021, und Floors, dem deutschen Weltrekordhalter. „Das zeigt, wie sich der Sport weiterentwickelt“, sagte Floors.

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Der Prothesensprint ist so etwas wie die Königsdisziplin der paralympischen Leichtathletik. Die Athleten, sie werden „Blade Runner“ genannt, sind durchtrainiert wie bei Olympia, die Zeiten sind schnell, das Zusammenspiel von Muskelkraft und Prothese eine Wissenschaft für sich – und die Deutschen gehören zur Weltspitze. Und am Montagabend im Stade de France? Sprachen sie alle darüber, wie sich in den Jahren seit den vergangenen Paralympics die Konkurrenz verbessert hatte. Mal mehr, mal weniger gefasst.

„Leistungstechnisch nahezu katastrophal“, sagt Léon Schäfer über sein Abschneiden

Léon Schäfer, Weltmeister und Deutschlands Para-Sportler des Jahres, der in der Klasse der über dem Knie amputierten Sprinter Vierter wurde, sagte: „Ich check’ das Rennen nicht.“ Für den 27-Jährigen liefen die Spiele, lief der Sommer besonders enttäuschend. Kurz vor den Paralympics verlor er bei einem Meeting seines Vereins Bayer Leverkusen seinen Weitsprung-Weltrekord, der Niederländer Joel de Jong sprang ganze 42 Zentimeter weiter. In Paris verbesserte de Jong den Rekord noch mal um einen Zentimeter, auf 7,68 Meter – und Schäfer wurde Vierter, genau wie zwei Tage später im Sprint, über 100 Meter lief er in 12,12 Sekunden. „Leistungstechnisch nahezu katastrophal“, nannte er sein Abschneiden in Paris.

Léon Schäfer ärgert sich diesmal ganz besonders bei den Paralympics in Paris. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Er sprach sichtlich traurig darüber, dass es nun vier Jahre dauern wird, bis er seinen Misserfolg wiedergutmachen kann. Bei aller Professionalität, mit der Para-Athleten wie er ihren Sport machen – Aufmerksamkeit dafür bekommen sie so gut wie nur zu Paralympics. Das ist noch eklatanter als bei olympischen Athleten.

Floors, 29, der in der schnelleren Klasse der unterschenkelamputierten Athleten Vierter wurde, war hinterher dagegen ganz anders gelaunt. Er ist zwar der Weltrekordhalter über 100 Meter mit einer Zeit von 10,54 Sekunden, läuft aber anders als die Medaillengewinner vom Montag mit zwei Prothesen, nicht nur mit einer. Um den Nachteil aufzuholen, den er am Start hat, muss in einem Rennen schon alles perfekt laufen. Die für ihn weitaus wichtigere Disziplin sind die 400 Meter am Freitag, da ist er mit Abstand der Schnellste auf der Welt.

Felix Streng (rechts) und Johannes Floors nach dem Zieleinlauf: Die beiden deutschen Para-Sprinter waren schnell - aber in Paris fehlte ein Quäntchen zum Sieg. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Auch Streng, 29, hat noch Goldchancen, wenn er am Samstag über 200 Meter an den Start geht, er hatte allerdings seinen Fokus auf das 100-Meter-Rennen gelegt, auf die Titelverteidigung. Und so versuchte er nach einer Ehrenrunde mit der deutschen Fahne durchs Stade de France seine Zufriedenheit über die Bronzemedaille zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei verbergen zu können, dass er sich mehr erhofft hatte – bei dem Aufwand, den er seit Jahren betreibt.

Er hat schon vor den vergangenen Spielen in Tokio einen Schritt gewagt, der sich bei den deutschen Leichtathleten ohne Behinderung, die mit der Weltspitze mithalten, als kleiner Trend verfestigt hat. Wie der Zehnkämpfer Leo Neugebauer und die Sprinterin Gina Lückenkemper, die in den USA trainieren, ist Streng nach England gezogen, um dort in einer internationalen Trainingsgruppe unter dem Sprint-Coach Steve Fudge schneller zu werden.

Zu Gold fehlt Felix Streng mehr als eine Zehntelsekunde

Sprint, das sei für ihn das Streben nach „Perfektion in zehn Sekunden“, so hatte er es im Gespräch vor den Paralympics ausgedrückt, und dazu passte, wie er das Rennen am Montag in der Analyse bereits in die Einzelteile zerlegte. Er habe einen guten Start erwischt, eine „extrem gute Beschleunigungsphase gehabt“, aber dann sei er „ein bisschen lazy“ gewesen, etwas faul. „Jeder Schritt muss dich nach vorn treiben, und in der Phase habe ich nicht gemacht, was ich machen wollte“, sagte er. Für eine Zeit von 10,77 reichte es, zu Silber fehlte eine Hundertstelsekunde, zu Gold mehr als eine Zehntel.

Über seinen Schritt nach England, der sein Verhältnis mit dem deutschen Verband damals durchaus auf eine Probe stellte, sprach er in der Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Aber ob er nun auch die nächsten vier Jahre, bis zu den Spielen in Los Angeles, in England bleiben werde, das vermochte er noch nicht zu sagen. „Man muss jetzt evaluieren“, sagte er, „das Ziel war Gold.“

Die Goldmedaille gewann der Costa Ricaner Sherman Guity in 10,65 Sekunden. Auch seine Geschichte ist eine, die etwas darüber verrät, wie ähnlich sich zumindest in manchen Disziplinen der paralympische und der olympische Sport inzwischen sind. Guity, 28, war vor den Spielen in Tokio 2021 für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt.

In einer früheren Version dieses Texts hieß es, der Sprinter Sherman Guity habe die Spiele in Tokio wegen einer Dopingsperre verpasst. Tatsächlich war er vor den Spielen 2021 wegen Dopings gesperrt, nahm aber teil.

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