Paralympics:Sechs Geschichten wie im Film

Ein Syrer verliert einen Unterschenkel und flüchtet in ein neues Leben, ein russisches Waisenkind strebt nach sieben Gold-Medaillen für die USA: Sechs beeindruckende Sportler bei den Paralympics.

Von SZ-Autoren

Markus Rehm

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(Foto: dpa)

Nicht allen hat die Entscheidung gefallen, den Weitspringer Markus Rehm die Fahne tragen zu lassen, dabei war sie ja logisch: Rehm, 28, ist Deutschlands bekanntester Paralympics-Sportler, er springt mehr als acht Meter weit und nur deshalb nicht bei den Olympischen Spielen, weil er nicht zweifelsfrei belegen konnte, dass die Prothese unterhalb seines rechten Knies beim Absprung mit einem menschlichen Fuß vergleichbar ist. Bei den Paralympics ist er nahezu konkurrenzlos, doch er spricht trotzdem von seinem Saisonhöhepunkt. Auch deshalb, weil er sich verantwortlich fühlt für die Sportbewegung, der er zu entwachsen droht. Es ist ein Konflikt, in dem er selbst nur der bestmögliche Wettkämpfer auf großer Bühne sein will - und doch verlieren kann. Die Vergleichbarkeit, die er forciert, wollen andere nicht. Sebastian Fischer

Marieke Vervoort

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(Foto: imago)

Die Entscheidung hat sie schon vor ihrer Reise nach Rio getroffen: Nach den Paralympics wird Schluss sein. Mit dem Sport und vielleicht auch mit ihrem Leben. Marieke Vervoort, 37, leidet an einer unheilbaren Muskelkrankheit. 2012 hatte die Belgierin in London mit ihrem Rennrollstuhl Gold über 100 Meter und Silber über 200 Meter gewonnen. Inzwischen, sagte sie vor ein paar Wochen einer belgischen Zeitung, seien die Schmerzen unerträglich, im Sport und im Alltag. Deshalb erwäge sie, die in Belgien erlaubte Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. "Der Sport ist mein einziger Grund zu leben", erklärte sie. Die Schlagzeilen danach waren groß. Dabei hatte sie auch gesagt: "Wir werden sehen, was das Leben danach für mich bereithält." Einfach so aufgeben möchte Vervoort nicht, das hat sie noch nie getan. Anna Dreher

Ricardinho

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(Foto: imago/Fotoarena)

Als Ricardo Steinmetz Alves, 27, im Alter von acht Jahren wegen eines Netzhautfehlers erblindete, dachte er, sein Traum von einer Fußballerkarriere sei beendet. Heute weiß er: Die Karriere ging damit erst richtig los. Der Mann aus Brasiliens südlichem Städtchen Osorio gilt längst als einer der besten Blindenfußballer des Planeten. Brasilien ist hier noch eine Weltmacht, vor allem wegen seines Zehners und Kapitäns, den sie in seinem Heimatland Ricardinho nennen. Mit 15 wurde er erstmals in die Selecão berufen. In seinem ersten Länderspiel schoss er fünf Tore. Seit Blindenfußball 2004 ins paralympische Programm aufgenommen wurde, hat immer Brasilien gewonnen, dreimal war Ricardinho dabei. Die Spiele in Rio hätte er wegen eines Fußbruchs fast verpasst. Wie so oft in seinem Leben hat er sich zurückgekämpft. Boris Herrmann

Tatyana McFadden

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(Foto: Dan Mullan/Getty Images)

Die Geschichte von Tatyana McFadden, 27, klingt wie das Drehbuch eines Hollywood-Streifens: Ein behindertes russisches Findelkind, das von einem lesbischen Paar aus den USA adoptiert und Profisportlerin wird. Elf paralympische Medaillen (darunter eine von den Winterspielen in Sotschi) hat McFadden, die mit einer Fehlbildung des Rückenmarks lebt, schon gewonnen, die ersten holte sie mit 15 Jahren in Athen. In Brasilien will sie sieben Mal Gold holen: über 100, 400, 800, 1500 und 5000 Meter, bei der 4x400 Meter-Staffel und im Marathon. In Rio geht auch ihre Schwester Hannah, die aus Albanien adoptiert wurde, an den Start. "Ich bin gut vorbereitet", sagt McFadden. "Das wird sich wie im Training anfühlen, nichts Neues für mich." Auch das Gefühl, ganz oben zu stehen, kennt die Rollstuhlfahrerin schon. Sieben Mal wäre aber auch für sie außergewöhnlich. Anna Dreher

Ibrahim Al-Hussein

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(Foto: Getty Images)

Irgendwann, sagt Ibrahim Al-Hussein, habe er beschlossen, dass in seinem Leben alles wieder gut sei. Einfach so. Aber natürlich fängt einen wie ihn die Vergangenheit ständig ein. Weil er vor vier Jahren, in Syrien wütete gerade der Bürgerkrieg, nach einer Explosion einem Freund half, selbst von getroffen wurde, den rechten Unterschenkel verlor. Weil er dann in einem Gummiboot übers Meer flüchtete und in Athen ein neues Leben aufbaute. Al-Hussein, 27, war schon immer ein guter Schwimmer, jetzt startet er in Rio für das paralympische Flüchtlingsteam, zuvor trug er die paralympische Fackel. Und wenn er in diesen Tagen mal wieder auf sein Leben angesprochen wird, sagt er: "Ich will allen Versehrten zeigen, dass man auch so seine Ziele erreichen kann. Schaut nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Johannes Knuth

Libby Kosmala

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(Foto: AFP)

Sie wolle mehr Zeit mit ihren Enkelsöhnen verbringen, hat Libby Kosmala einst gesagt, und zu diesem Satz muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Kosmala ist Sportschützin, sie hat 13 Medaillen bei den Paralympics gewonnen, davon neun goldene. Zweitens: Mit dem Satz hat Kosmala ihren Rücktritt erklärt, nach den Paralympics in London 2012. Doch nun tritt die Australierin wieder an, mit 74 Jahren, als älteste Athletin. Ihre letzten Medaillen gewann sie in Seoul 1988. Marianne Buggenhagen hat 1992 zum ersten Mal teilgenommen, die Paralympics in Rio sind ihre siebten, im Diskuswerfen und Kugelstoßen holte sie zuvor Medaillen. Mit 63 Jahren ist Buggenhagen die älteste Athletin aus Deutschland. Aber wie sagte sie selbst in einem Interview? "Zunächst einmal ist Leistung grundsätzlich keine Frage des Alters." Christopher Gerards

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