Russland und Belarus dürfen starten:Paralympisches Wegschauen

Russland und Belarus dürfen starten: Sollen in Peking auch gegen Russen antreten: Athleten aus der Ukraine.

Sollen in Peking auch gegen Russen antreten: Athleten aus der Ukraine.

(Foto: Alex Davidson/Getty Images)

Bei den Paralympics in Peking sollen russische und belarussische Athleten unter neutraler Flagge teilnehmen dürfen. Das Paralympische Komitee beruft sich auf juristische Bedenken - und wird hart kritisiert.

Von Sebastian Fischer

Wenn noch Zweifel daran bestanden, dass die 13. Winterspiele für Menschen mit Behinderung unter dem Eindruck eines Krieges stattfinden werden, dann waren sie mit der ersten Frage im Main Press Centre von Peking hinfällig. Dort, wo schon im vergangenen Monat die Macher von Olympia politische Fragen sauber von sportlichen zu trennen versuchten, finden auch die Pressekonferenzen für die Paralympics statt, die am Freitag beginnen sollen.

Nun, Mittwochabend chinesischer Zeit, stand ein Mann am Mikrofon, er trug eine Jacke in den Landesfarben der Ukraine. Er stellte sich mit leicht zitternder Stimme als Lee Reaney vor, Journalist der Kyiv Post, einer englischsprachigen Zeitung in Kiew. Er sagte, er sei der einzige Journalist, der aus der Ukraine nach China reisen konnte. Er hielt ein Bild des gefallenen Biathleten Jewhen Malyschew in den Händen. Und dann fragte er Andrew Parsons, den Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), wie dieser Malyschews Familie die Entscheidung des IPC erklären würde, "Athleten aus dem Staat des Aggressors die Teilnahme am Wettbewerb zu erlauben".

Parsons, 45, sprach ausführlich sein Beileid aus. Der Krieg in der Ukraine, sei "widerwärtig" und "gegen die Menschlichkeit". Aber: "Wir müssen den Regeln unseres Verbandes folgen."

Ähnlich wie bei Olympia ist auch bei den Paralympics davon auszugehen, dass Russlands Erfolge die Wettkämpfe prägen

Kurz davor hatte das IPC seine Entscheidung bekanntgegeben: Athleten aus Russland und Belarus dürfen als "Neutrale Athleten" an den Paralympics teilnehmen, trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Obwohl diverse Verbände des Weltsports Russland seit Beginn der Woche ausgeschlossen hatten. Obwohl gar das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Ausschluss empfahl.

Das IOC, mit dem IPC in einem Kooperationsvertrag verbunden, hatte seinem Partnerkomitee zuvor ein Schlupfloch offen gelassen. Sollte es Weltverbänden aus "zeitlichen oder rechtlichen Gründen" nicht möglich sein, Athleten aus Russland und Belarus auszuschließen, sollten diese zumindest unter neutraler Flagge antreten. Auf rechtliche Gründe berief sich dann auch Parsons: "Wofür wir uns entschieden haben, ist die härteste Bestrafung, die wir im Rahmen unserer Verfassung und der aktuellen IPC-Regeln verhängen können", sagte er. Ein Ausschluss, meinte er, würde von deutschen Gerichten - der Sitz des IPC ist Bonn - wieder aufgehoben werden.

Russland und Belarus dürfen starten: Ein Journalist der Kyiv Post hält ein Bild des im Krieg getöteten Biathleten Yevhen Malyshev bei der Pressekonferenz hoch.

Ein Journalist der Kyiv Post hält ein Bild des im Krieg getöteten Biathleten Yevhen Malyshev bei der Pressekonferenz hoch.

(Foto: Sergei Savostyanov/ITAR-TASS/Imago)

Nun sollen russische Erfolge nicht im Medaillenspiegel gelistet werden, die Hymne nicht gespielt, die Flaggen nicht gehisst. Doch diese Strafen hätten nach dem Staatsdoping-Skandal 2014 ohnehin schon gegolten, so wie es auch bei Olympia war. Und ähnlich wie bei Olympia ist auch bei den Paralympics davon auszugehen, dass Russlands Erfolge die Wettkämpfe prägen.

71 Aktive umfasst das Team, besonders in den nordischen Disziplinen ist Russland dominant. Bei den Weltmeisterschaften in Lillehammer zu Beginn des Jahres standen in so gut wie jedem Wettbewerb russische Athleten auf dem Podium. 54 Medaillen, davon 19 in Gold, holte das Team. Langläufer und Biathlet Wladislaw Lekomtsew gewann sieben von sieben möglichen Titeln.

Lekomtsew, 27, dem der linke Arm fehlt, läuft wie in seiner eigenen Klasse, mit beeindruckender Athletik. Doch Lekomtsew zeigt auch, wie schwierig die Trennung zwischen Sport und Politik nun mal ist: Seinen biografischen Angaben auf der Webseite des IPC zufolge ist er ein Botschafter für das russische Sportabzeichen GTO - ein Relikt aus der Sowjetzeit, das unter Wladimir Putin wiedereingeführt wurde.

"Ich erwarte nun von allen Teilnehmern, dass sie die neutralen Athleten wie jeden anderen Athleten bei diesen Spielen behandeln, egal wie schwierig dies auch sein mag", sagte IPC-Präsident Parsons. "Im Gegensatz zu ihren jeweiligen Regierungen sind diese paralympischen Athleten und Funktionäre nicht die Aggressoren. Sie sind hier, um wie alle anderen an einem Sportereignis teilzunehmen."

Karl Quade, Deutschlands Chef de Mission, sagt, er schäme sich "zutiefst"

IOC-Präsident Thomas Bach meldete sich am Abend mit Unterstützung für das IPC zu Wort. "Dieser Beschluss ist im Einklang mit den übergreifenden Empfehlungen", sagte er. Doch in der Mehrzahl waren die Stimmen der deutlichen Kritiker.

"Das ist enttäuschend und mutlos. Angesichts der täglichen Kriegsgräuel in der Ukraine hätten wir einen solchen Beschluss nicht für möglich gehalten", sagte Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS). Er sprach von einem "völlig falschen Signal". Karl Quade, Deutschlands Chef de Mission, sagte, er schäme sich "zutiefst". Auch DOSB-Präsident Thomas Weikert unterstützte die Argumentation des DBS.

Wie sehr der Krieg auch bei den Wettkämpfen in Peking präsent sein dürfte, das zeigt schon ein zweiter Blick auf die Ergebnisse der Weltmeisterschaften des paralympischen Wintersports in Lillehammer im Januar. Die zweitbeste Mannschaft, mit 21 Medaillen: die ukrainische.

20 Athleten und neun Guides für die sehbehinderten Starter, so groß ist das ukrainische Team, das am Mittwoch in Peking landete. Parsons lobte die Sportler in dick aufgetragenen Worten, er nannte es "eine fantastische Geschichte von menschlicher Widerstandsfähigkeit", dass die Ukraine in China antrete. Doch man konnte sich vorstellen, wie zynisch den Athleten solche Sätze vorkommen mussten.

Selbst Parsons gab zu, dass der Komitee-Chef der Ukraine, Waleri Suskewitsch, im Gespräch mit ihm gefordert habe, russische Athleten nicht antreten zu lassen. Und entsprechend empört klang auch eine Stellungnahme des Teams. "Während russische und belarussische Bomben auf Bürger der Ukraine regnen, hat das Internationale Paralympische Komitee heute jedem ukrainischen Athleten einen weiteren Schlag versetzt", heißt es in einem gemeinsamen Statement der "Athleten der Ukraine" und dem Bündnis "Global Athlete".

Russland und Belarus dürfen starten: Andrew Parsons, Vorsitzender des IPC, versucht bei einer Pressekonferenz die Entscheidung zu begründen.

Andrew Parsons, Vorsitzender des IPC, versucht bei einer Pressekonferenz die Entscheidung zu begründen.

(Foto: Sergei Savostyanov/ITAR-TASS/Imago)

Dass die Begegnungen zwischen paralympischen Athleten aus Russland und der Ukraine abseits der Wettkämpfe besser vermieden werden sollten, zu dieser Erkenntnis gelangte der Verband offenbar schon vor Ausbruch des Krieges. Zu Beginn der vergangenen Woche wurde der deutsche Verband nach eigenen Angaben gefragt, ob man innerhalb des paralympischen Dorfs umziehen wolle: Ursprünglich waren dort die Häuser der russischen und ukrainischen Komitees in unmittelbarer Nachbarschaft eingeplant.

Die Deutschen stimmten zu, mit der Ukraine die Häuser zu tauschen. Ihre Nachbarn sind nun also die Russen. Eine Mannschaft, von der Verbandspräsident Beucher sagte, dass er sich nicht vorstellen könne und wolle, wie sie am Freitag bei der Eröffnungsfeier ins Stadion einzieht. Eine Mannschaft, deren Verhältnis zu den Paralympics im internationalen Sport ohnehin zuletzt eine besondere Rolle einnahm.

Über den Krieg, entschied die 14-köpfige IPC-Exekutive, soll erst nach den Spielen wieder gesprochen werden

2014 liefen die Spiele in Sotschi, während Russland die Krim annektierte. Wladimir Putin bedankte sich damals, "dass die Paralympischen Spiele draußen geblieben sind aus der Politik und den komplizierten Umständen, die - wie Sie alle sehr gut wissen - keinen Einfluss auf die Spiele hatten". Natürlich stimmte das so schon damals nicht.

Zwei Jahre später waren anders als bei Olympia bei den Paralympics in Rio wegen des Staatsdoping-Skandals keine russischen Athleten am Start. Doch was manche als Ehrenrettung des Sports wahrnahmen, änderte sich bald darauf wieder. 2018 in Pyeongchang nahmen russische Sportler wieder teil.

Unter Parsons, Präsident seit 2017, hat sich das IPC dem IOC wieder angenähert. Und es klang seinem Kollegen Bach auch gar nicht so unähnlich, was Parsons im Interview mit der Deutschen Welle jüngst über Meinungsäußerungen der Athleten in China sagte: "Die behinderten Sportlerinnen und Sportler sind hier, um die Welt zu inspirieren. Sie können doch auch positive Dinge sagen, über Frieden und Inklusion."

Über den Krieg, so entschied es die 14-köpfige IPC-Exekutive, soll erst nach den Spielen wieder gesprochen werden. Erst dann sollen die 206 Mitgliedsorganisationen darüber entscheiden, ob Verstöße gegen den "Olympischen Waffenstillstand" zukünftig zum Ausschluss führen können.

Er persönlich sei dafür, sagte Parsons. Doch für die Paralympics in Peking kommt das zu spät. Im russischen Haus, so wurde es von den deutschen Nachbarn berichtet, sei am Mittwoch Jubel aufgebrandet.

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