Paralympics 2008:Ruhe bis zum letzten Feuerwerk

Das nacholympische Peking ist das vorparalympische - und deswegen immer noch sehr aufgeräumt.

Thomas Hahn

Der Wind ist da. Ein paar Gärtner stochern in den Beeten des Spiele-Parks, und in der Weite des weißen Platzes verlieren sich einsame Spaziergänger, denen natürlich eine bunte Akkreditierungsmarke um den Hals baumelt, weil sie sonst nie hierher hätten kommen dürfen, ins Herz der stadtteilgroßen Pekinger Sicherheitszone Olympisches Grün. Aber sonst? Die Sportpaläste Vogelnest und Wasserwürfel liegen wie die Kulissen einer Geisterstadt in der Abendsonne, Touristen müssen in der Ferne hinter hohen Zäunen bleiben. Alles ist ruhig. So ruhig, dass ein chinesischer Sicherheitsbeamter dem Frieden nicht mehr standhalten konnte und unter einem umgestürzten Sonnenschirm in ein anderes Traumland hinübergeglitten ist. Selbst die mächtige Fackel, aus der während der 16 Tage der Spiele das olympische Feuer senkrecht in die Höhe loderte, liegt nun quer auf dem Dach des Nationalstadions, als habe sie sich schlafen gelegt.

Paralympics 2008: Weder Propaganda noch Bildfälschung: Noch immer ist der Himmel über Pekings Olympiastadion blau.

Weder Propaganda noch Bildfälschung: Noch immer ist der Himmel über Pekings Olympiastadion blau.

(Foto: Foto: AP)

Zehn Tage ist es her, dass das letzte Feuerwerk der olympischen Schlussfeier in der Pekinger Nacht verglühte, und die 15-Millionen-Stadt wirkt immer noch so aufgeräumt und sauber gefegt wie während der Spiele. Rund um den Olympiapark ohnehin, denn von diesem Samstag an werden dort bis zum 17. September die Weltspiele des Behindertensports stattfinden, und Liu Qi, Präsident des Organisationskomitees Bocog, hat vorige Woche nochmal klargestellt: "Zweierlei Spiele - der gleichen Glanz."

Aber auch sonst: Peking hat sich eine Disziplin auferlegt, die es keinesfalls zu früh aufgeben will, denn noch hat die internationale Sportwelt den Blick nicht ganz von der chinesischen Hauptstadt genommen. Die Olympia-Akkreditierungen gelten bis Ende September als Visum. 6000 Medienschaffende sind für die Paralympics akkreditiert. Es sind noch genügend internationale Beobachter da, die brennend interessiert, ob der stolze Olympia-Gastgeber nach der weltweit beachteten Milliarden-Party ausgerechnet beim weniger prominenten Folgeereignis auf einmal schlampig wird.

Kein Stau, klare Sicht

Keine Frage, die chinesisch-sportliche Image-Kampagne muss weitergehen. Deswegen hat sich auch das berüchtigte Pekinger Verkehrschaos nicht gleich nach Olympia wieder mit ganzer Kraft eingestellt. Und die Sicht war nach einer kurzen Rückkehr des Stadtnebels in den vergangenen Tagen wieder so klar, dass man vom Hügel der Weißen Dagoba im Beihai-Park tief ins Hinterland schauen konnte. Die Verkehrs-Beschränkungen, die seit 20. Juli gelten, sind zwar gelockert, aber innerhalb der fünften Ringstraße und auf den Schnellstraßen zum Flughafen, nach Chengde und Badaling dürfen weiterhin täglich abwechselnd nur Autos mit geraden oder ungeraden Nummernschildern fahren.

Die Debatte dazu kann man in der englischen Version der staatlichen Zeitung China Daily verfolgen. Kolumnisten und Internetnutzer diskutieren unter dem Titel the odd-even-debate (die Ungerade-Gerade-Debatte), ob die bessere Pekinger Luft es nicht wert sei, die Fahrverbote über ihr Ende am 20. September hinaus bis in alle Ewigkeit zu verlängern. Tendenz: keine realistische Vision. Vor allem aber zeigen die Beiträge, wie rege Chinas neue Zivilgesellschaft auch in der Pekinger Parteidiktatur diskutieren kann. Oder sollen sie das nur zeigen?

Man darf das chinesische Bürgertum nicht unterschätzen, aber es fällt schon auf, wie die Staatsmedien die Spiele im Sinne der China-Werbung nachbereiten. Vor wenigen Monaten noch, als nach den März-Unruhen in Tibet die europäischen und amerikanischen Etappen der olympischen Fackelstaffel von Anti-China-Protesten begleitet wurden, verzeichnete Chinas Regierung ein heftiges PR-Desaster.

Nicht alles Harmonie

Jetzt aber - viele streng bewachte asiatische Staffel-Etappen, eine Mount-Everest-Besteigung mit olympischem Feuer und perfekt organisierte Sommerspiele später - hat sich das Blatt gewendet. Die Kraft der schönen Bilder wirkt, niemand kann sich ihr entziehen. Szenen der Eröffnungsfeier laufen in Endlosschleife auf den Info-Schirmen einzelner U-Bahn-Linien zur getragenen Olympia-Melodie - da können Fahrgäste schon mal mitten im Alltag in eine tiefe, nacholympische, nationale Rührung versinken. China Daily und Staatsfernsehen CCTV spielen dazu harmlose Folgedebatten und Meinungsbeiträge, die immer irgendwann beim Thema Chinas Stärke enden. In den Nachrichten treten bewegte Fackelläufer auf sowie begeisterte Maskottchen-Käufer im Beijing-2008-Laden.

Gar nicht passt hingegen zur Spiele-Folklore, dass die Regierung während Olympia keinen einzigen Antrag für die eigens angelegten Protestparks gewährte und selbst bei Kleinstkritikern nervös wurde. Das US-Magazin Newsweek erinnert noch einmal daran, indem es den Pekinger Li Xuehui mit der rhetorischen Frage zitiert: "Mit welcher Art von Umerziehung durch Arbeit kann sie dienen?" Sie ist Lis 79-jährige Mutter, Wu Dianyuan, die wegen ihres Versuchs, gegen den Abriss ihrer früheren Wohnung zu demonstrieren, zu einem Jahr Zwangsarbeit verurteilt wurde; immerhin ist das Urteil mittlerweile zurückgenommen.

Als völkerübergreifendes Publikumsereignis verklärt manch chinesischer Kolumnist die Pekinger Spiele. Dabei schafften es doch nur wenige Ausländer ins sicherheitsbewegte China. Und vor dem nächsten Fest beklagen auch einzelne Nationale Paralympische Komitees (NPC), dass Sicherheitsvorschriften sowie die Ticketpolitik des Organisationskomitees Bocog es ihnen erschwerten, ihre mitgereisten Zuschauer mit Karten zu versorgen. "Die Kommunikation läuft nicht so gut", sagt Markéta Marzoli, Sprecherin des deutschen NPC. Steffi Klein, Sprecherin des Internationalen Paralympischen Komitees, erklärt die Unannehmlichkeiten mit dem großen Zuschauerinteresse. Sie sagt: "Bocog hat sich offiziell bei uns entschuldigt." Und so erfährt man trotz der starken Bilder: In der Ruhe ist nicht alles Harmonie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: