Süddeutsche Zeitung

Paralympics:Selbst die Überraschungserfolge sind politisch

Deutsche Medaillen in Abwesenheit starker Russinnen, umstrittene chinesische Dominanz - und ein wendiger Präsident: Geschichten zum Abschluss der Paralympics in Peking.

Von SZ-Autoren

Die Jüngste

"Es ist schon noch mal etwas ganz Besonderes, wenn man da in der Mitte stehen darf", sagt Linn Kazmaier, man erreicht sie am Sonntag auf dem Weg zur Abschlussfeier. Auf dem Podest stand sie mit ihrem Guide Florian Baumann in Peking oft, in der Mitte einmal - nach Gold über 10 Kilometer Langlauf. Das Duo steht exemplarisch für ein kleines deutsches Team mit vielen jungen und wenigen arrivierten Athleten. Gemessen an den Ergebnislisten ist der Generationenwechsel gelungen. Wie 2018 holten die Deutschen 19 Medaillen, allein fünf davon gewann die 15 Jahre alte Kazmaier im Biathlon und Langlauf der sehbeeinträchtigten Sportlerinnen. Dabei spielte auch der Ausschluss Russlands eine Rolle: "Die sind gerade in meiner Klasse sehr stark", sagt Kazmaier. Es war eben nichts unpolitisch bei diesen Paralympics. Jonas Wengert

Fahnenübergabe

Vielleicht haben die Erfolge der Jungen ihn ja in seiner Entscheidung bestätigt: Während der Spiele gab Martin Fleig, 32, jedenfalls bekannt, dass er seine Karriere beendet. "Ehrlich gesagt wirkt es noch ein bisschen unreal", sagte er am Sonntag nach seinem letzten Rennen. Eine Medaille hatte er sich schon vorher gesichert - Silber im Biathlon über zehn Kilometer in der sitzenden Klasse. "Für die Mannschaft ist es schade", sagte Bundestrainer Ralf Rombach: "Aber ich gönne es ihm." Vor vier Jahren hatte Fleig Gold über 15 Kilometer gewonnen, damals seine erste Paralympics-Medaille überhaupt. "So eine Karriere", sagte Rombach, "hätte vor Jahren niemand für möglich gehalten." Bei der Eröffnungsfeier trug Fleig die deutsche Fahne. Bei der Schlussfeier trug sie die 18 Jahre alte Biathlon-Goldmedaillengewinnerin Leonie Walter. Jonas Wengert

Die Einzige

Eine Rekordzahl an Frauen werde teilnehmen, verkündete das IPC vor den Spielen, 138. Doch bei mehr als 500 Teilnehmern insgesamt bleibt das eher ein Missverhältnis. Am deutlichsten wurde das in der Mixed-Sportart Para-Eishockey, in der Männer und Frauen eingesetzt werden dürfen. Es gab nur eine Spielerin: Yu Jing, 38, für China. Ihr Debüt gab sie am Weltfrauentag, im Viertelfinale gegen Italien. China gewann Bronze mit einem Team, das es erst seit 2017 gibt, eine der vielen erstaunlichen Medaillen für den umstrittenen Gastgeber, der die Nationenwertung gewann. Yu blieb allerdings ohne weiteren Einsatz. Immerhin reiht sie sich in eine kurze Liste ein. Erst zwei Eishockeyspielerinnen wurden bei Paralympics bislang eingesetzt: 1994 Brit Mjaasund Oeyen und 2018 Lena Schroeder, jeweils für Norwegen. Benjamin Markthaler

Wendig unterwegs

Auch rekordverdächtig: das Wendemanöver, mit dem Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, die Spiele in Peking gewissermaßen eröffnete. Erst erklärte der Brasilianer, dass man Para-Athleten aus Russland und Belarus leider nicht von den Spielen fernhalten könne, während deren Länder einen Angriffskrieg führen. 20 Stunden später, nach einem Orkan der Entrüstung, waren die Sportler dann doch ausgeschlossen. Parsons rief während der Eröffnungsfeier sogar lautstark zum Frieden auf (was im chinesischen TV offenbar nicht übersetzt wurde). Bei der Schlussfeier wünschte er sich, dass die Einigkeit der Para-Athleten "die "Verantwortlichen in aller Welt inspirieren" möge. Und sonst so? Hatten die Peking-Spiele "neue Maßstäbe gesetzt", sagte Parsons. Zur umstrittenen Menschenrechtslage im Land: kein Wort. Johannes Knuth

Laute Kritikerin

61 Medaillen gewann China insgesamt, 18 in Gold. Aber die Erfolge der vorher in der Szene oft unbekannten Athleten begleitete die Skepsis der Konkurrenz. Niemand formulierte es deutlicher als Oksana Masters. "Du Betrügerin", rief die US-Amerikanerin der chinesischen Siegerin Yang Hongqiong im Vorbeifahren in der Mixed Zone zu. Masters, 32, Gewinnerin vieler paralympischer Goldmedaillen, war diesmal im Langlauf-Sprint der sitzenden Klasse nur Zweite geworden. Ihr Vorwurf: Die Chinesin sei falsch klassifiziert, also gemäß ihrer Behinderung falsch eingeordnet worden - und habe deshalb einen Vorteil gegenüber stärker eingeschränkter Konkurrenz. So sahen das wohl viele unterlegene Nationen in vielen Disziplinen. Deutschlands Chef de Mission Karl Quade sagte vorsichtig: "Schon ein bisschen erstaunlich, wie gut einige sind." Sebastian Fischer

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