Para-Sport:Von 61 Medaillen auf null

Para-Sport: Gewohntes Bild vor einem Jahr: Die Chinesin Yang Hongqiong bejubelt eine chinesische Goldmedaille bei den Winter-Paralympics.

Gewohntes Bild vor einem Jahr: Die Chinesin Yang Hongqiong bejubelt eine chinesische Goldmedaille bei den Winter-Paralympics.

(Foto: Hou Zhaokang/Xinhua/Imago)

Aus dem Nichts dominierte China 2022 die Winter-Paralympics in Peking - den Weltmeisterschaften im Januar blieb es fern. Die Konkurrenz fragt sich, ob das Engagement für den Para-Sport nachhaltig ist oder ob alles eine einmalige Inszenierung war.

Von Sebastian Fischer

Yang Hongqiong wollte nichts falsch machen im ruhmreichsten Moment ihrer Sportlerinnenkarriere. Dem Volunteer, der ihr vor der Abschlussfeier der Paralympics in Peking im vergangenen Jahr beim Befestigen der chinesischen Flagge an ihrem Rollstuhl half, dem habe sie genaue Anweisungen erteilt, so erzählte sie es dem chinesischen Auslandssender CGTN: "Ich habe ihn darum gebeten, dass sie aufrecht ist, nicht ein kleines bisschen schief."

Yang Hongqiong war mit drei Goldmedaillen im Langlauf der sitzenden Klasse die erfolgreichste Athletin des mit Abstand erfolgreichsten Teams der Spiele, deshalb wurde sie zur Fahnenträgerin gekürt. Unter den Augen von Staatschef Xi Jinping rollte sie ins "Vogelnest" genannte Olympiastadion, führte die Delegation ihres Landes an und war die Hauptdarstellerin eines Auftritts, der inzwischen wie eine Abschiedsvorstellung wirkt. Denn so unvermittelt die chinesische Mannschaft zu den Paralympics im eigenen Land antrat und 18 Wettbewerbe gewann, nachdem zuvor in der Geschichte der Winterspiele für Menschen mit Behinderung nur eine Goldmedaille an China gegangen war, so unvermittelt ist die Mannschaft erst mal wieder verschwunden.

Am vergangenen Wochenende endeten die zwei Höhepunkte der Saison im Para-Wintersport, die nordische Ski-WM in Östersund/Schweden und die alpine WM in Espot/Spanien. Die deutsche Mannschaft gewann 13 Mal Gold. Aber zehn Monate nach den Paralympics fehlten die damals stärksten Konkurrenten. Aus China war niemand da, und so richtig überraschend war das nicht. "Es ist schon ein Tritt vors Schienbein der paralympischen Bewegung", sagte Karl Quade, Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), dem Sport-Informationsdienst: "Dass die komplett nicht mehr antreten, ist ein bisschen merkwürdig. Offensichtlich haben sie für die WM keine Priorität gesetzt."

Schon bei den Spielen in Peking waren die Leistungen der chinesischen Mannschaft, die insgesamt 61 Medaillen gewann, umstritten gewesen. "Fuck Doping!", schrie einmal im Zielraum die US-Amerikanerin Oksana Masters, als es für sie zum dritten Mal hinter Yang Hongqiong nur zu Silber gereicht hatte. "Ich will mich mit ehrlichen Menschen messen", fügte sie noch hinzu, bevor ihr Lebensgefährte und Teamkollege ihr die Hand vor den Mund hielt, auf dass sie sich nicht um Kopf und Kragen rede. Belege nannte sie keine.

Recht offen wurden dagegen Zweifel an der richtigen Klassifizierung formuliert, also der dem Grad der Beeinträchtigung entsprechenden Einordnung in Wettkampfklassen - ein altes Problem im Behindertensport. Weil die Chinesinnen und Chinesen zuvor nicht im Weltcup angetreten waren, konnten ihre Klassifizierungen nicht angepasst werden. "Wir sind der Meinung, dass einige Chinesen bezüglich der Klassifizierung überprüfbar sind", sagte DBS-Leistungssportchef Quade damals.

Dem entgegengehalten wurde das Argument, dass Chinas Team durch die rigiden Corona-Beschränkungen im Land vorher an keinen Wettbewerben teilnehmen konnte - sowie der unvergleichliche Aufwand, mit dem anlässlich der Spiele im eigenen Land ein paralympisches Wintersportprogramm aus dem Boden gestampft worden war. Von einem überharten Trainingssystem war die Rede, von großem Druck sprach die Langläuferin Yang Hongqiong selbst. Als sie von den Erfolgen ihrer Kollegen gehört habe, habe sie sich "sehr gestresst" gefühlt: "Ich habe mich nachts im Bett hin und her gewälzt. Mein Herz schlug so schnell, dass es mir fast aus dem Hals sprang."

Und so stand über allem umso mehr die Frage, ob es dem chinesischen Regime um eine nachhaltige Förderung des Wintersports für rund 85 Millionen Menschen mit Behinderung ging oder vor allem um die Pflicht, zur Inszenierung passende Erfolgsbilder zu produzieren, die mit dem Abschluss der Paralympics erfüllt war. Nach den Sommerspielen 2008 in Peking war es zwar tatsächlich so, dass sich ein paar langfristige Effekte für chinesische Sportler mit Behinderung einstellten. Aber im Wintersport?

"Sie werden versuchen, in der nächsten Saison mit einem kleinen Team neu zu starten."

Dario Capelli hat sich diese Frage allein schon aus Eigeninteresse gestellt. Der Italiener, 52, war von 2018 bis 2022 Trainer des chinesischen Ski-alpin-Teams, einer von mehreren für die Spiele angestellten ausländischen Experten. Sein Vertrag endete mit den Paralympics. Er erzählt am Telefon von der harten Arbeit mit den Athleten, jeden Tag, elf Monate im Jahr. Und er erzählt von der vorsichtigen Enttäuschung derselben Athleten, wenn er sich jetzt noch gelegentlich mit ihnen austausche. "Sie versuchen manchmal Ski zu fahren", in ihren Provinzen, ohne professionelle Trainer. "Es ist schwierig."

Capelli sagt, er habe es schon während der Spiele geahnt, dass es so kommen könnte, dieses Gefühl sei jedenfalls präsent gewesen: Es sei immer nur um den Erfolg bei den Paralympics gegangen, dafür habe es ein großes Budget gegeben. Über Perspektiven darüber hinaus habe mit ihm niemand gesprochen. Er will das nicht als Kritik verstanden wissen. Er erinnere sich gern an die Arbeit in China, sagt er.

So unwahrscheinlich es gerade wirkt, glaubt er auch daran, dass China wieder an paralympischen Wintersport-Events teilnimmt. Es sei zwar offenbar entschieden worden, für ein Jahr alles zu stoppen, das Training, die Wettkämpfe. Aber Capelli erklärt sich das auch damit, dass neue Funktionäre übernommen hätten. Von jenen, mit denen er gearbeitet habe, sei keiner mehr beim Verband.

"Sie werden versuchen, in der nächsten Saison mit einem kleinen Team neu zu starten", sagt Capelli. Da sei er sich "zu 99 Prozent" sicher. Sollte es so kommen, könnte er China übrigens als Konkurrent begegnen. Bei der WM arbeitete er für die japanische Mannschaft.

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