Transgender-Athletin bei den Paralympics:Lauf für die Geschichtsbücher

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Valentina Petrillo auf der 400-Meter-Strecke im Stade de France in Paris bei den Paralympischen Sommerspielen. (Foto: Ezra Shaw/Getty Images)

Valentina Petrillo bestritt Wettkämpfe als Mann, nach einer Hormontherapie vor fünf Jahren tritt sie mit 51 bei den Paralympics gegen Frauen an. Über 400 Meter scheidet sie aus, startet aber noch über 200 – und die Debatte um Fälle wie ihren geht weiter.

Von Sebastian Fischer, Paris

Verglichen mit der Aufregung zuvor war das erste Rennen von Valentina Petrillo in Paris unspektakulär. Sie reckte vor dem Start die Faust Richtung Publikum, die Ränge im Stade de France waren am Montagvormittag noch spärlich besetzt. Dann lief sie über 400 Meter in 58,35 Sekunden auf den zweiten von drei Plätzen ihres Vorlaufs. Sie stand damit als Teilnehmerin an Paralympics in den Sportgeschichtsbüchern.

Abends schied sie aus, als Dritte in ihrem Halbfinale. „Ich bin ein bisschen niedergeschlagen, aber ich hoffe, mein Sohn ist stolz auf mich. Das ist mir wichtig, weil er einen trans Vater hat, nicht den Vater, von dem jeder träumt“, sagte Petrillo. Dann brach sie das Interview unter Tränen ab. Und es war nur zu erahnen, wie sehr sie die vergangenen Wochen mitgenommen haben.

Petrillo, 51, wurde in Neapel als Mann geboren, „aber ich habe mich als Frau identifiziert, und das war ein großes Problem“, sagte sie dieser Tage in einem ihrer zuletzt vielen Interviews. Das Interesse an ihr ist groß. Sie ist dem Weltverband der Para-Leichtathletik zufolge die erste Teilnehmerin an Spielen für Menschen mit Behinderung, die offen als trans Person lebt. Die erste trans Person, die damals jedoch keine mediale Aufmerksamkeit erregte, war demnach 2016 eine niederländische Diskuswerferin. Aber diesmal ist die Opposition laut. Eine italienische Anwältin, die Konkurrentinnen von Petrillo vertrat, sagte vor den Spielen der BBC, dass in diesem Fall Inklusion Fairness vorgezogen werde. Weltweit griffen Medien das Thema auf. Nach dem Eklat bei Olympia um zwei Boxerinnen und ihre angeblichen XY-Chromosomen debattieren nun die Paralympics um soziales und biologisches Geschlecht.

Petrillo, so erzählt sie ihre Geschichte, begann als Kind mit der Leichtathletik, als Fan des 200-Meter-Läufers Pietro Mennea, der 1980 Olympiagold gewann. Als sie 14 war, wurde bei ihr Morbus Stargardt diagnostiziert, eine unheilbare Netzhauterkrankung. Im Studium kam sie zum Para-Sport, spielte Blindenfußball. Erst mit 41 begann sie mit Para-Leichtathletik. Binnen drei Jahren gewann sie elf nationale Meisterschaften in ihrer Kategorie – das alles bis dahin als Mann gegen Männer, als Vater und Ehemann. Ihr ganzes Leben habe sie sich als Frau gefühlt und „als Mann verkleidet“.

Erst 2020 lief sie erstmals gegen Frauen

2017 erzählte sie ihrer Ehefrau davon, mit deren Unterstützung sie 2018 begann, als Frau zu leben. 2019 startete sie mit einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie. 2020 lief sie erstmals gegen Frauen – langsamer, aber glücklicher. Bei den Weltmeisterschaften der Para-Leichtathletik 2023 gewann sie Bronze über 200 und 400 Meter. Über 200 Meter startet sie auch in Paris noch mal.

Das Internationale Paralympische Komitee (IPC), respektive der ihm untergliederte Leichtathletikverband, sieht die Sache so: Solange Petrillo die erforderlichen Testosteronwerte für Frauenwettbewerbe nachweise, darf sie gegen Frauen antreten. IPC-Präsident Andrew Parsons sagte der BBC, Petrillo sei in Paris willkommen. Das ist verständlich, die Paralympics verstehen sich als Botschafter für Inklusion. Andererseits wirkt es auch im Para-Sport mit seinen unzähligen nach Behinderungsarten geordneten Startklassen gewagt, „Geschlechterschranken zu durchbrechen“, wie es in einem Feature des Verbands über Petrillo heißt. Parsons verwies auf Regeln, die „für den Moment“ gelten. Der Sport müsse „bessere Antworten für diese Situationen und für trans Athletinnen finden“, er wünsche sich eine „einheitliche“ Lösung.

Die ist im Sport noch fern. Auch das IOC überlässt Entscheidungen über trans Personen den Fachverbänden. In der olympischen Leichtathletik etwa gilt das Durchleben der männlichen Pubertät als Ausschlusskriterium in Frauenwettbewerben. In der Wissenschaft herrscht noch kein Konsens. Wie sind etwa anatomische Merkmale wie die Größe zu bewerten?

Petrillo muss auf solche Fragen keine Antworten geben. „Endlich, ich habe es geschafft“, sagte sie nach ihrem Vorlauf, da noch ohne Tränen in den Augen. Der 2. September, das sei nun ein historisches Datum.

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