Markus Rehm bei den Paralympics:Viermal Gold, aber da geht noch was

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Der erste deutsche Mann in der Leichtathletik, ob bei Olympia oder Paralympics, der im Stade de France die Glocke für die Sieger läutete: Markus Rehm hat zum vierten Mal den Weitsprung mit Prothese gewonnen. (Foto: Ezra Shaw/Getty Images)

Weitspringer Markus Rehm siegt bei seinen vierten Paralympics und setzt sich schon das Ziel für die nächste Saison: Noch will er Grenzen austesten, auch weil er neue Konkurrenten hat – und ihm seine Prothese Rätsel aufgibt.

Von Sebastian Fischer, Paris

Irgendwann auf der Ehrenrunde durchs Stade de France sah er dann doch fröhlicher aus als nach seinem letzten Sprung. Auch die französischen Fans bejubelten Markus Rehm, was in diesem Sommer in Paris für einen deutschen Leichtathleten eine Art Ritterschlag sein dürfte. Als er bei seinen Fans an der Weitsprunggrube ankam, die ihn noch etwas euphorischer feierten, erinnerte allerdings ein Plakat wieder daran, dass er einem Ziel an diesem Abend nicht nahegekommen war. „Let’s go Markus!“, stand darauf, darunter ein Pfeil in Richtung „9 m“.

Ein Sprung über neun Meter, weiter als es je ein Mensch geschafft hat? „Ich glaube, es ist möglich. Dieses Jahr war es nicht möglich“, sagte Rehm. Und: „Gold ist gewonnen, aber super happy bin ich damit natürlich nicht.“ Wobei er ziemlich viel lächelte, während er diese Sätze sagte.

Die sechste Goldmedaille für Deutschland bei diesen Paralympics, die erste in der Leichtathletik, das war bei diesen Spielen mal wieder die am leichtesten vorherzusagende. Rehm gewann zum vierten Mal den Weitsprung mit Prothese, der 36-Jährige bleibt seit 13 Jahren ungeschlagen, quasi seine gesamte Karriere lang. So weit, so normal, wenn man Ausnahmeleistungen von einem Ausnahmeathleten erwartet.

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Sein Status als Ikone der paralympischen Bewegung war schon bei der Eröffnungsfeier mit neuen Bildern angefüttert worden: Da war er einer jener Sportler, die vor der Entzündung des paralympischen Feuers die Fackel trugen. Und er ging mit einem noch weiteren Weltrekord als 2021 in Tokio an den Start. 2023 sprang er 8,72 Meter. In diesem Jahr jedoch kam Rehm nicht in Form, er gewann mit 8,13 Metern. Das entspricht der persönlichen Bestleistung des Silbermedaillengewinners Derek Loccident aus den USA, der es am Mittwochabend zwar nur auf 7,79 Meter schaffte, aber danach sagte, er habe das Gefühl gehabt, Rehm diesmal schlagen zu können, „zweifellos“.

Für Loccident waren es die ersten Paralympics, 2018 wurde sein linkes Bein unter dem Knie nach einem Unfall amputiert, der 26-Jährige spielte trotzdem weiter College-Football, seit 2021 ist er Leichtathlet, 2023 bestritt er seine erste WM. Sein Entwicklungspotenzial ist groß, das war auch bei seinen Sprüngen in Paris zu sehen, vor allem bei der Landung verschenkte er viel. Bronzegewinner Jarryd Wallace kam auf 7,49 Meter.

Rehm hat noch während der Paralympics an seiner Prothese geschraubt und getüftelt

Rehm, der jahrelang wie in seiner eigenen Champions League unterwegs war, während andere Weitspringer mit Prothese versuchten, in die zweite Liga aufzusteigen, hat nun also wirklich Konkurrenten – das war die eine Geschichte des Abends. „Das ist das, was ich all die Jahre immer haben wollte. Jetzt habe ich’s, jetzt darf ich mich nicht beschweren“, sagte Rehm. Er sprach recht deutlich darüber, dass das Ende seiner Athletenkarriere nicht mehr ganz so fern sein dürfte. Los Angeles 2028, das sei noch sehr lange hin, er wäre dann 40. „Meine Zeit wird kommen, die Jungs werden besser werden“, sagte er: „Ich hoffe, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, wenn sie mich schlagen. Das ist dann der Zeitpunkt, wenn ich abtreten kann.“

Jahrelang war Markus Rehm (Mitte) quasi in seiner eigenen Champions League unterwegs, nun hat er wirklich Konkurrenten: Silbermedaillengewinner Derek Loccident (links) ist auch schon über acht Meter weit gesprungen. (Foto: Ezra Shaw/Getty Images)

Die andere Geschichte des Abends war allerdings: Noch ist es nicht so weit, nicht ganz jedenfalls. Nun, da er nicht mehr der einzige Acht-Meter-Weitspringer mit Prothese auf der Welt ist, würde er gerne noch mitmachen, das Niveau ein bisschen weiterzuentwickeln, sagte Rehm.

Dass er das noch kann, davon ist er trotz einer für seine Verhältnisse schwachen Saison überzeugt. Er sei „eigentlich in Topform“, erzählte er, sei „stärker geworden, schneller geworden“. Deshalb wollte Rehm ursprünglich mit einer dazu passenden, hart eingestellten Prothese abspringen. Doch er habe den Rhythmus dieser härteren Prothese „noch nicht verstanden“, wie der Orthopädietechnikermeister Rehm es ausdrückte. Weshalb er etwas machte, was er noch nie gemacht hatte und wovon er jungen Athleten stets abrät: Er hatte noch während der Paralympics, Tage vor dem Wettkampf, an seiner Prothese geschraubt und getüftelt.

Wenn man ihn richtig verstand, dann ging er für den Weitsprung am Mittwoch schließlich auf Nummer sicher, auch weil er mit viel Gegenwind rechnete, und wählte eine weiche Prothese, die aus dem vergangenen Jahr. Und dann haderte er doch wieder. Bei aller Freude am Wettkampf sah man es ihm nach seinen Sprüngen an. 8,13 Meter schaffte er erst im vorletzten Versuch, 8,04 Meter im zweiten, was letztendlich auch gereicht hätte, für seine Verhältnisse aber arg kurz ist.

„Das müssen wir jetzt echt mal analysieren, weil das ärgert mich ein bisschen“, sagte Rehm, ein Vorhaben für die kommende Leichtathletiksaison ist also schon mal gesetzt. Er sprach dann auch über sein Lieblingsthema, Wettkämpfe mit olympischen Athleten, von denen er sich in der Diamond League mehr wünscht. Immerhin einen Vergleich gewann er in der Hinsicht. Er war der erste männliche Leichtathlet aus Deutschland, ob bei Olympia oder Paralympics, der im Stade de France die Glocke für die Sieger läutete. Dabei sah er ohne jegliche Einschränkungen glücklich aus.

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