Paralympics:Kribbeln an der Platte

Thomas Schmidberger Tischtennis Paralympics 2012 London Xinhua/Imago

Hat für den Traum von der erneuten Medaille sein Sportstudium unterbrochen: Der Viechtacher Tischtennis-Weltranglistenerste Thomas Schmidberger.

(Foto: Xinhua/Imago)

2012 durfte Thomas Schmidberger die deutsche Fahne tragen, in Rio spielt er erneut um eine Medaille.

Von Alexander Augustin

Thomas Schmidberger gleicht derzeit einem sprechenden Terminkalender. Die Eckdaten der nächsten Tage sprudeln geradezu aus ihm heraus: "7. September, 22.45 Uhr: Eröffnungsfeier. 8. September, 9 Uhr: erstes Match." Trotz eines umfassenden Angebots an digitalen Sekretären nimmt der 24-Jährige sein Zeitmanagement gerne selbst in die Hand - auch, um seine Aufregung zu kanalisieren. Schmidberger startet als Führender der Rollstuhl-Tischtennis-Weltrangliste bei den Paralympics und zählt damit selbstredend zu den Favoriten auf Edelmetall.

Seit Donnerstag weilt Schmidberger in Rio und saugt das paralympische Flair auf. "Ich war wirklich lange sehr entspannt, aber seit Kurzem kribbelt es ziemlich", gibt er zu. Es ist die Vorfreude, die dem Niederbayer aus der Kleinstadt Viechtach im Bayerischen Wald dieses Gefühl verschafft. Den sportlichen Druck, als nominell weltbester Rollstuhl-Tischtennisspieler eine Olympiamedaille holen zu müssen, verspürt er nicht. Von seinem vermeintlichen Status als Topfavorit will er erst gar nichts wissen: "Mein Selbstvertrauen ist groß, aber im direkten Vergleich sind andere stärker." Schmidbergers Aussagen wirken geradezu kleinlaut, blickt man auf seine Bilanz der vergangenen Jahre: 2014 holte er bei der Weltmeisterschaft in China Silber, dazu ist er amtierender Europameister. Am wichtigsten aber: Der Viechtacher, der nach einem Autounfall seit seinem fünften Lebensjahr querschnittgelähmt ist, hat als Debütant bei den Paralympics 2012 in London zwei Medaillen errungen - Bronze im Einzel und Silber im Team. Seinen Traum von Edelmetall hat er sich also schon erfüllt. Der größte Druck ist weg.

Von dem Moment, in dem er 2012 die Fahne ins Wembley trug, schwärmt er noch heute

An seine paralympische Premiere vor vier Jahren hat Schmidberger überhaupt nur gute Erinnerungen. Das liegt nicht einmal vordergründig an den beiden Medaillen, die er aus London mit in den Bayerischen Wald nehmen konnte. Bei der Abschlussfeier der Paralympics durfte er vor 60 000 Menschen als deutscher Fahnenträger ins Wembley-Stadion einziehen. Der 24-Jährige schwärmt noch heute von diesem Erlebnis: "Das war ein unbeschreibliches Gefühl - noch besser als zwei Medaillen zu gewinnen." Ähnlich positive Eindrücke will er nun auch aus Rio mitbringen. Sportlich hat er in den vergangenen Wochen alles dafür getan, um auch bei diesen Sommerspielen um Medaillen kämpfen zu können. Die Art des Edelmetalls ist ihm dabei zunächst egal: "Natürlich wäre Gold toll, aber wenn ich wieder Silber und Bronze holen würde, wäre ich auch kein Kind von Traurigkeit."

In der Vorbereitung hat Schmidberger nichts dem Zufall überlassen: Er setzte sein Sportökonomie-Studium für ein Semester aus und konzentrierte sich voll auf den Sport. Um sich ähnlichen klimatischen Bedingungen wie an der Copacabana auszusetzen, trainierte er zuletzt eine Woche in der Türkei. Die Zeitverschiebung aber bereitet ihm trotz der rundum reibungslosen Vorbereitung Kopfzerbrechen: "Ich möchte schon gerne die Eröffnungsfeier miterleben. Aber sollte mir der Jetlag dann immer noch zu schaffen machen, wird das schwer." Wenn die Paralympics am kommenden Mittwoch eröffnet werden, ist es in Deutschland fast vier Uhr morgens. Sollte sich sein Schlafrhythmus bis dahin nicht eingependelt haben, will Schmidberger am Vorabend seines ersten Matches auf ein bayerisches Allheilmittel zurückgreifen: "Vielleicht trinke ich einfach noch ein oder zwei Weißbier und hoffe, dass es mich dann wegdreht", sagt er mit einem Augenzwinkern. Da ist sie wieder, die niederbayerische Nonchalance, mit der sich Schmidberger zum weltbesten Tischtennis-Spieler unter den Behindertensportlern entwickelt hat.

"Ich war anfangs sehr schlecht", erinnert er sich, "habe aber einen enormen Ehrgeiz entwickelt."

Dabei war dieser steile Aufstieg nicht vorgezeichnet. Im Alter von vier Jahren wird Schmidberger auf dem Heimweg vom Kindergarten von einem Auto angefahren. Seitdem ist er vom ersten Brustwirbel abwärts gelähmt. Mit Tischtennis kommt der sportbegeisterte Schmidberger, der unter anderem eine Dauerkarte für Eishockey-Erstligist Straubing Tigers hat, erstmals am Gymnasium in Berührung. Dort verbringt er mit seinen Klassenkameraden jede freie Minute an der Platte. "Ich war anfangs sehr schlecht, habe aber einen enormen Ehrgeiz entwickelt", erinnert er sich. Mit der RSG Plattling feiert er bald seine ersten Erfolge. Seit 2014 spielt er für das Rollstuhl-Team von Borussia Düsseldorf, mit dem er in der abgelaufenen Saison die Meisterschaft holte.

Bei allem sportlichen Ehrgeiz hat sich der Niederbayer seine Lockerheit immer bewahrt. Mit dieser Mischung ist er in den vergangenen Jahren zum besten Rollstuhl-Tischtennisspieler der Welt gereift - mit allen Freuden und Unannehmlichkeiten. Rund 60 000 Kilometer legt er jährlich mit einem eigens für ihn umgebauten Auto zurück. Presse- und Fototermine reihen sich in seinem vollgepackten Kalender an Trainingseinheiten. Einen Tag hat Schmidberger in seinem imaginären Planer schon dick markiert, auch wenn er noch nicht davon spricht: den 13. September. Dann findet das paralympische Tischtennis-Finale statt. An diesem Tag will Thomas Schmidberger seinen Medaillensatz mit Gold vervollständigen. Ein Weißbier wäre dann sicher auch drin.

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