Paralympics:Gestärkt aus der Krise

Nach andauerndem Chaos und Reglement-Querelen blickt der Behindertensport-Verband den Paralympics 2008 in Peking positiv entgegen.

Thomas Hahn

Ralf Otto kann manchmal selbst nicht glauben, welchen Unsinn er anstellen muss, um erfolgreich zu sein. Neulich bei den Weltmeisterschaften der Amputierten und Rollstuhlfahrer in Taipeh hat Otto, Abteilungsleiter Leichtathletik im Deutschen Behindertensport-Verband (DBS), penibel darauf achten müssen, dass sein Paralympics-Sieger Wojtek Czyz nicht zu gut ist. Weitsprung-Weltmeister durfte Czyz werden, aber auf keinen Fall mit Weltrekord.

Paralympics: Behindertensportler Wojtek Czyz: Weltmeister ja, Weltrekord nein.

Behindertensportler Wojtek Czyz: Weltmeister ja, Weltrekord nein.

(Foto: Foto: dpa)

"Farce ohne Ende"

In der Wettkampfklasse des oberschenkelamputierten Czyz starten Sportler mit unterschiedlichen Behinderungen. Um Chancengleichheit herzustellen, gibt es ein Punktesystem, das sich an Vorleistungen orientiert. Je höher die Bestleistung, desto weiter muss Czyz bei den Paralympics 2008 für ein hohes Punkteergebnis springen. Seinen Weltrekord von 6,23 Meter zu verbessern, hätte das Unternehmen Gold in Peking erschwert. Also durfte Czyz fünfmal übertreten und nur einen Sicherheitssprung machen: 5,88 Meter. Otto darf darüber gar nicht nachdenken: "Vom leistungssportlichen Gedanken her ist das eine Farce ohne Ende."

Weniger als ein Jahr dauert es noch bis zu den Paralympics in Peking. Längst haben die Athleten das Ziel ins Visier genommen, die ersten haben sich schon qualifiziert. Und zu den Vorbereitungen gehört bisweilen eben auch, intelligent mit den Unzulänglichkeiten des Behindertensport-Betriebs umzugehen. Otto kann dabei sogar der Tatsache etwas abgewinnen, dass das öffentliche Interesse an seinem Sport außerhalb der Paralympics noch wenig ausgeprägt ist. Zum Beispiel bei der WM in Taipeh, bei der die Veranstalter die Tradition chaotisch organisierter Behindertensport-Titelkämpfe fortschrieben. "Kritische Journalisten wären problematisch gewesen", sagt Otto. Aber da waren ja keine Journalisten. "Es waren auch keine Zuschauer da. Es gab am ersten Tag auch keine Medaillen, weil sie die vergessen hatten." Ralf Otto beklagt sich nicht. Er weiß, dass er in seinem Amt mit dem Chaos leben muss.

Solange es dabei nicht um die Existenz geht. Aber auch die war ja in diesem Jahr nicht immer sicher. Auf dem weiten Sportmarkt ist nämlich etwas untergegangen, dass der DBS eine heftige Krise durchlebte: Die Pleite drohte. Sie ließ sich nur abwenden, weil der Deutsche Fußball-Bund eine Million Euro vom Gewinn der WM 2006 zur Förderung des Fußballs im DBS überwies und das Geld zur Überbrückung der finanziellen Engpässe dienen konnte. Generalsekretär Dieter Keuther musste gehen. Interimsmanager Michael Rosenbaum hat eine groß angelegte Reform eingeleitet. Der Leistungssport im DBS musste sich deswegen nicht einschränken, weil dessen Finanzen vor allem das Bundesinnenministerium bestreitet. Dafür ächzte die Abteilung unter den Dopingaffären des Radsports, weil die Freiburger Verbandsärzte Andreas Schmid und Lothar Huber nach ihren Geständnissen auch für den DBS nicht mehr tragbar waren. "Wir haben aufregende Zeiten hinter uns", sagt Sportdirektor Frank-Thomas Hartleb.

Der Verband scheint aus dem Gröbsten raus zu sein. "Die finanzwirtschaftlichen Probleme", wie Rosenbaum die Krise nennt, sind noch nicht ganz behoben, "aber wir sind große Schritte vorangekommen". Hartleb glaubt sogar, "wir gehen gestärkt aus der Krise hervor". Vorerst allerdings dreht sich viel darum, den Verband fit für die Zukunft zu machen. Eine positive Bilanz bei den Paralympics in Peking wäre dabei zwar hilfreich, vor allem um der Sponsoren willen.

"Es liegt im Interesse unserer Partner, dass wir viele Medaillen gewinnen", sagt Rosenbaum. Aber den DBS zu modernisieren, ist eine Aufgabe, die um einiges größer ist als eine Paralympics-Kampagne für Peking. "Der DBS durchlebt einen Prozess, in dem viel bewegt wird", sagt Rosenbaum. Da fällt den Leistungssportschaffenden der einzelnen Sportarten schon auf, dass sie sich mit ihren Bedürfnissen hinten anstellen müssen. "Es ist schwierig, jemanden beim DBS an die Strippe zu bekommen", sagt Ralf Otto.

Was das für die Medaillenbilanz in Peking bedeutet, ist nicht klar, zumal keiner weiß, was die Konkurrenz macht, vor allem Gastgeber China, der besonderen Ehrgeiz entwickelt und nahe Peking ein gewaltiges Leistungssportzentrum für seine Staatsparalympier errichtet hat. Ziele haben die Deutschen schon: So viele Medaillen wie 2004 in Athen wollen sie, was schon deshalb gewagt ist, weil es in Peking ein strafferes Programm mit weniger Entscheidungen geben wird. Wir leben noch, will der DBS mit diesem Mut wohl ausdrücken. Ralf Otto jedenfalls sieht den Spielen mit Interesse entgegen. Das Chaos wird bestimmt geringer sein als neulich in Taipeh. Und Wojtek Czyz wird endlich zeigen dürfen, was er wirklich kann.

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