Paralympics:"Ein Boykott ist eine Möglichkeit"

2014 Paralympic Winter Games - Day 1

Arendz, hier nach dem Gewinn seiner Silbermedaille in Sotschi 2014, ist seit März 2017 Athletensprecher.

(Foto: Ronald Martinez/Getty)

Trotz des Dopings-Skandals dürfen einzelne russische Sportler bei den Paralympics starten. Mark Arendz, Athletensprecher der paralympischen Biathleten und Langläufer, redet über angedachte Konsequenzen.

Interview von Sebastian Fischer

Mark Arendz gewann zwei Medaillen, doch die Russen waren zu stark. Bei den Paralympics 2014 in Sotschi wurde der Kanadier im Biathlon über 7,5 Kilometer Zweiter, hinter Wladislaw Lekomtsew. Über 12,5 Kilometer wurde er Dritter, Gold gewann Azat Karachurin. Auch die Paralympics werden im McLaren-Report erwähnt, der Russlands Doping-Skandal belegte; von sechs Gewinnern von 21 Medaillen ist die Rede, deren Urinproben manipuliert gewesen seien. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hat bislang keine Medaillen aberkannt, die Ermittlungen dauern an, heißt es auf Anfrage. 2016, vor den Paralympics in Rio, schloss das IPC Russland aus. Doch in dieser Woche entschied das IPC, das Russische Paralympische Komitee (RPC) zwar weiterhin zu suspendieren, aber einzelnen Russen den Start in Pyeongchang (9. bis 18. März) als "Neutrale Paralympische Athleten" zu erlauben.

Arendz, 27, mehrmaliger Weltmeister und Athletensprecher der paralympischen Biathleten und Langläufer, erklärt, wie er über die Entscheidung denkt - und was die Konsequenzen sein könnten.

SZ: Herr Arendz, waren Sie wütend nach der IPC-Entscheidung am Montag?

Mark Arendz: Die Situation ist sehr komplex. Das IPC achtet darauf, Schlupflöcher zu vermeiden, agiert sehr sorgfältig - es dauert länger als beim IOC. Ich glaube, das ist die richtige Herangehensweise. Aber es ist frustrierend für uns Athleten, dass wir noch nicht wissen, ob wir gegen Athleten antreten, die vom Betrug profitieren, den der russische Staat in Auftrag gegeben hat. Das IPC veröffentlicht keine Namen einzelner Athleten, solange es keine Rechtsfälle gibt. Aber es gibt so viele Indizien, und ich bin sicher, dass Namen paralympischer Athleten involviert sind. Das macht die aktuelle Entscheidung so schwierig. Wir wissen zwar, dass keine Männer in nordischen Disziplinen in Pyeongchang teilnehmen können (da alle Qualifikations-Plätze vergeben sind, siehe Erklärung rechts). Aber es ist wahrscheinlich, dass russische Frauen teilnehmen werden - damit sind wir als Sportart betroffen, und wir sind sehr stark betroffen: Die nordischen Disziplinen sind ein Hort der Erfolge für Russland. Wir können nur hoffen, dass das IPC seine strengen Kriterien tatsächlich anwendet.

Der deutsche Bundestrainer Ralf Rombach sprach davon, dass in Athletenkreisen für den Fall der Teilnahme russischer Athleten die Möglichkeit eines Boykotts der Staffelrennen besprochen wurde. Was können Sie zu diesen Plänen sagen?

Es ist etwas, das wir diskutiert haben, es ist eine Möglichkeit. Aktuell ist die Entscheidung noch sehr frisch. Erst wenn Namen bekannt sind, werden wir weiter diskutieren, was wir tun können. Und was wir erreichen wollen.

Ein Boykott ist ein extremer Schritt. Wie viele Athleten waren interessiert?

Es bräuchte schon eine extreme Ungerechtigkeit, um derart zu protestieren. Die Paralympics sind für die meisten von uns ja der Karrierehöhepunkt, ein Boykott wäre keine leichte Entscheidung. Aber ich hatte Unterstützung von Athleten aus acht verschiedenen Nationen. Aus welchen, das würde ich zum jetzigen Zeitpunkt ungern sagen.

Es war Ihre Idee?

Ich habe das zunächst als Möglichkeit mit langjährigen Athleten besprochen und an weitere Athleten weitergegeben, um zu sehen, ob die Idee Unterstützung findet.

Und die Unterstützung war groß?

Ja.

Wie ist Ihre Beziehung zu den russischen Athleten?

Wie soll ich das sagen? Sie hat sich eigentlich nicht großartig verändert im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Wenn wir aneinander vorbeilaufen, nicken wir uns zu. Wir sagen morgens "Hi", solche Sachen. Aber wenn wir sie sehen, dann stellen wir uns nun immer Fragen, und das ist nicht gut für beide Seiten. Hoffentlich wissen wir bald die Wahrheit über die einzelnen Athleten. Hoffentlich können wir dann nach vorne schauen und vorankommen.

Die Entscheidung des IPC 2016 wurde als Zeichen für sauberen Sport interpretiert. Auch deshalb wurde der Entschluss am Montag scharf kritisiert. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, sprach von einem "Schlag ins Gesicht der sauberen Sportler". Hat das IPC es diesmal verpasst, ein Zeichen zu setzen?

Ich weiß nicht, ob es fair wäre, das zu sagen. Dafür fehlen mir Informationen. Im Sport muss man stets versuchen, faire Entscheidungen zu treffen. Mal klappt das besser, mal schlechter. 2016 musste es diesen Schritt geben. Ich war sehr ermutigt von der Entscheidung - und Freunde von mir, olympische Athleten, waren frustriert, weil das IOC so wenig getan hat.

Verlieren Sie in diesen Tagen angesichts der Nachrichtenlage nicht den Glauben daran, dass es fairen Sport geben kann?

Ja, manchmal ist es schwierig, daran zu glauben. Aber alles, was ich tun kann, ist mich selbst zu kontrollieren und hart zu trainieren. Ich will daran glauben, dass auch meine Kontrahenten sauber sind. Aber ich weiß es nicht. Die Geschehnisse in Sotschi haben vielen Menschen die Augen geöffnet, wie weit Athleten und sogar Nationen für den Erfolg zu gehen bereit sind. Ich hoffe, wir lernen daraus. Abschreckende Strafen sind der Schlüssel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: