Paralympics:Begleiter aus der Partnerbörse

2016 Rio Paralympics - Day 4

Kai Kruse und Stefan Nimke: Bronze bei den Paralympics

(Foto: Getty Images)

Stefan Nimke ist Olympiasieger und hat nun auch Paralympics-Bronze - durch sein Tandem mit dem blinden Radfahrer Kai Kruse.

Von Ronny Blaschke, Rio de Janeiro

Wenn man die paralympischen Medaillen von Rio ein wenig schüttelt, dann geben sie ein Geräusch ab. "Das hat mir gefallen", sagt Stefan Nimke, "eine solche Medaille wollte ich auch haben." Wenn Nimke über die Weltspiele des Behindertensports spricht, dann klingt er nicht wie ein gereifter Sportsmann im Alter von 38 Jahren, er klingt eher wie ein Junge, der alles genau beobachten möchte, der all die frischen Eindrücke aufsaugt.

Als Bahnradsportler hat Stefan Nimke an vier Olympischen Spielen teilgenommen, er gewann vier Medaillen in allen Farben, darunter Gold 2004 im Teamsprint. 2012 sollte Schluss sein, stattdessen ging es noch einmal von vorne los. Nimke wurde Paralympier, als Tandempartner des sehbehinderten Fahrers Kai Kruse. Im ersten gemeinsamen Wettbewerb gewann das Duo am vergangenen Sonntag Bronze im 1000-Meter-Zeitfahren. Im Straßenrennen an diesem Samstag belegten sie Platz 20. Nimke ist nun der erste deutsche Athlet, der bei olympischen und paralympischen Spielen eine Medaille gewann, eine ohne und eine mit Geräusch.

Doch es ist nicht nur die besondere Medaille, die ihm in Erinnerung bleiben wird. "Ich habe sehr viel erfahren über die Schicksale der Sportler. Das hat mich menschlich weiter gebracht", sagt Nimke. 2013 haben Kruse und Nimke sich bei einem Sportlertreffen kennengelernt, die Basis legte das Projekt "Tandem 2016", eine Art Partnerbörse des Deutschen Behindertensportverbandes. "Wir müssen beide fünfzig Prozent der Kraft aufbringen", sagt Nimke. "Wir müssen gemeinsam stark sein und wir müssen uns blind vertrauen." Zwei Personen, ein Rhythmus. Synchronsport auf Rädern. "Der Trainingsaufwand", sagt Nimke, "war für mich genauso groß wie in den Wochen vor Olympia, vielleicht sogar größer."

Kruse verpasste im Rudern eine Medaille - und stieg aufs Radfahren um

Das Vertrauen kam über die Jahre, durch Trainingslager, Wettkämpfe, viele Gespräche. Auf dem Tandem sind sich die Fahrer sehr nahe. Auf der hinteren Position berühren die Hände von Kruse fast Nimkes Oberschenkel. Er gibt vorn zwar kurze Kommandos, "aber inzwischen passiert vieles intuitiv", sagt Nimke. "Wir spüren, wenn der andere eine Entscheidung trifft."

Kruse, 25, stieß als Dreijähriger beim Laufen in der Halle mit einem Kind zusammen und erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Ein Nerv wurde stark verletzt, sodass er einen Teil seiner Sehkraft verlor. Kruse begann mit dem paralympischen Rudern, ruderte in der Bundesliga, 2012 verpasste er mit dem Mixed-Vierer in London die Goldmedaille. Dann begann er noch einmal von vorn, auf dem Tandem.

Blinde oder sehgeschädigte Radfahrer gingen erstmals in den achtziger Jahren auf die Strecke. Radsport auf der Straße ist seit 1988 paralympisch, auf der Bahn seit 1996. Es gibt Wettbewerbe mit Zweirädern, Dreirädern, Tandems oder handgetriebenen Rollstühlen. Mit dabei sind Sportler mit Amputationen, Sehbeeinträchtigungen oder Wirbelsäulenschäden. Blinde Athleten gehen mit Partnern ins Rennen, liebevoll auch Piloten genannt.

Es dauert Jahre, bis man sich vertrauen kann

Selten ist der Wert der Zusammenarbeit von Nichtbehinderten und blinden Athleten so offensichtlich wie beim Tandemfahren, doch nur selten schaffen es die Begleiter ins Rampenlicht: 2000 in Sydney lief der Kenianer Henry Wanyoike über 5000 Meter zu Gold. Sein Begleiter Joseph Kibunja konnte nicht mithalten und erlitt einen Schwächeanfall. 2009 stürzte die Biathletin Verena Bentele einen Abhang hinunter und zog sich innere Verletzungen zu. Sie suchte lange nach einem neuen Partner und stand kurz vor dem Karriereende. Mit dem Sportwissenschaftler Thomas Friedrich gewann sie in Vancouver 2010 fünfmal Gold.

Technik, Taktik, Kommunikation. Zwei Jahre könne es dauern, bis ein Duo ein belastbares Vertrauen entwickelt habe, sagt Verena Bentele, die seit 2014 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist. Mehrfach musste sie einem Partner alles von vorn erklären. Mehrfach machte sie sich für dessen Bezahlung stark, denn für den großen Aufwand werden die "Guides" und "Piloten" kaum entlohnt.

Stefan Nimke hat bei der Sportfördergruppe der Landespolizei in Mecklenburg-Vorpommern ein sicheres Auskommen. Kai Kruse würde gern eine solche Stelle annehmen, etwa als Sportsoldat, doch das lässt seine Behinderung nicht zu. "Wenn wir in Deutschland konkurrenzfähig bleiben wollen", sagt er, "sollten wir über solche Stellen im öffentlichen Dienst nachdenken."

Kruse arbeitet als Physiotherapeut in Berlin, zuletzt nur zwei Tage die Woche. Nach den Paralympics muss er das Pensum wieder erhöhen. Ihm steht ein Jahr an beruflichen Fortbildungen bevor, das Training muss hintenanstehen. Doch vor Tokio 2020 wird sie dann schon wieder kommen, die Lust, Medaillen zu gewinnen. Auch wenn Kruse und Nimke jetzt wissen, wie sie sich anhören.

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