Süddeutsche Zeitung

Paralympics:Aus der Betroffenheitsecke geklettert

Die paralympischen Sportler gehen unverkrampft mit ihrer Behinderung um. Doch wenn es um finanzielle Unterstützung geht, müssen sie manchmal ganz vorne anfangen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Wer in den kommenden Nächten den Fernseher einschaltet, um herausragenden Athleten mit einem Bein oder keinem Arm beim Spitzensport zuzusehen, Athleten im Rollstuhl, die Unfälle oder Krankheiten überlebt haben, der muss womöglich oft lachen. Für die ARD sind Niko Kappel und Mathias Mester als Experten bei den Winter-Paralympics, zwei kleinwüchsige Kugelstoßer, die trotz erschwerter Umstände (sie leben in Baden-Württemberg) sehr humorbegabt sind. In den sozialen Medien unterhalten sie ihre Gefolgschaft einerseits als erfolgreiche Profisportler, andererseits als Zwei-Mann- Comedy-Duo. Wobei sie sich eher "Ein-Mann-Comedy-Duo" nennen würden. Schließlich, so geht dann meistens die Pointe, sind sie ja zwei halbe.

Wenn alle zwei Jahre die Paralympics stattfinden, das drittgrößte Sportfest der Welt, liefert das immer Indizien und Anstöße dafür, wie locker oder verkrampft mit dem Thema Behinderung umgegangen wird. Früher war in Deutschland oft von "Opfern" die Rede, die "an den Rollstuhl gefesselt" waren, unter ihrem "Schicksal leiden" mussten und "trotz der Behinderung" zu "Helden" wurden. 2016 legte sich Mester, der ARD-Experte, auf dem Rückflug von den Paralympics in Rio de Janeiro für ein Foto ins Handgepäckfach, er passte ganz rein.

2018 wird eine amerikanische Snowboarderin mit Bein-Prothese in der Sports Illustrated im Bikini fotografiert und sagt: "Meine Motivation war, der Welt zu zeigen, wie selbstbewusst und stolz ich bin. Ich kann schön sein." Der Auftritt der 20 deutschen Athleten, von denen rund die Hälfte mit dem Sport Geld verdient, wird von einer professionell verfilmten Kampagne namens "We came back stronger" begleitet, die zwar dramatische Lebensläufe thematisiert, aber dabei kein Mitleid erregt. Nach der Eröffnungsfeier sagte die deutsche Fahnenträgerin Andrea Eskau: "Ich möchte jeden Tag Freude haben. Der Erfolg kommt auch, wenn man entspannt an die Sache herangeht und loslässt."

Der Fortschritt ist vor allem den Sportlern zu verdanken, die Höchstleistungen vollbringen und in der Mehrheit integer und selbstbewusst in die Öffentlichkeit drängen, ohne sich davor zu scheuen, die Besonderheit der Paralympics zu betonen, also ihre Behinderung zu zeigen - und dabei auch über sich selbst lachen können. Dennoch sollte man, auch wenn es etwas verkrampft klingt, hinzufügen: Im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe, zu der sich Deutschland durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat, ist im Sport weiter Überzeugungsarbeit zu leisten.

Statt Geld gibt es ein Paket voller Schokolade

Nachdem die paralympische Bewegung aus der Betroffenheitsecke geklettert ist, geht es darum, die Aufmerksamkeit zu nutzen. Laut einer Nielsen-Umfrage sind 89 Prozent der deutschen Bevölkerung die Paralympics bekannt, aber nur 22 Prozent interessieren sich dafür. Aus Interesse entstehen Chancen, zum Beispiel dafür, in Nachwuchsförderung und Talentsichtung aufzuholen, durch Landesverbände, die weiter hauptamtliche Trainer anstellen, und Vereine, die Behindertensportabteilungen pflegen.

Und manchmal muss der paralympische Sport auch im Jahr 2018 noch ganz von vorne anfangen, ohne den Humor zu verlieren. Anna-Lena Forster, eine der besten deutschen Monoskifahrerinnen und Herausforderin von Anna Schaffelhuber, der fünfmaligen Goldmedaillengewinnerin von Sotschi, sagt, sie habe das Gefühl, dass sie manchmal noch immer nicht als Athletin anerkannt werde, sondern als Mensch, dem man gerne mal was Gutes tut. Sie merkte das auf der Sponsorensuche, sie hatte einen großen Schokoladenhersteller nach möglicher Unterstützung für ihren Hochleistungssport gefragt. Sie bekam ein Paket Schokolade zugeschickt.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2018/schma
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