Paradoxer Leistungsdruck:Ausgebrannte Selbstoptimierer

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Psychische Leiden gelten im Leistungsport immer noch als Schwäche und Makel. Dabei fördert der extreme Druck auf die Spitzensportler Depressionen. Helfen kann der Zuspruch für die Betroffenen - das Gegenteil von Felix Magaths Plänen.

Werner Bartens

Torwart Markus Miller vom Bundesligisten Hannover 96 leidet an, wie er es nennt, "mentaler Erschöpfung" und sucht eine Klinik auf. Seit Mai sind drei Profis der NHL, der besten Eishockeyliga der Welt, ums Leben gekommen, vermutlich durch Selbstmord. Fast zwei Jahre nach dem Suizid von Hannovers Torhüter Robert Enke sind psychische Leiden im Leistungssport immer noch ein Tabu, gelten als Schwäche und Makel, der womöglich über Sieg oder Niederlage entscheidet.

Hatte zuletzt immer seltener das Gefühl, der Mannschaft helfen zu können: Markus Miller, der sich wegen "mentaler Erschöpfung" behandeln lässt. (Foto: dapd)

Dabei kann gerade der Spitzensport Burnout und Depressionen fördern. Es gibt zwar genetische Auslöser und Umweltfaktoren, die das Leiden begünstigen - gerade ergab eine umfangreiche Studie, dass mehr als ein Drittel der Europäer einmal im Jahr an psychischen Leiden erkranken, besonders an Angststörungen, Schlaflosigkeit und Depression. Der moderne Mensch soll sich in allen Lebenslagen eigenverantwortlich, kreativ, flexibel und risikobewusst verhalten. Zufrieden und gesund macht das nicht.

Die Erwartung, Überstunden oder Zusatztraining abzuleisten nimmt zu, weil mehr Freiheit und Flexibilität an mehr Wettbewerb gekoppelt sind. Zwang geht weniger von Trainern und Vorgesetzten aus, sondern von der Notwendigkeit, mitzuhalten. Soll in einer Woche die Präsentation stattfinden, steigt der Druck, auch wenn man selbst entscheiden kann, wie man fertig wird. Fordern Trainer "höchste Konzentration" und "Konkurrenz auf allen Positionen", wird jeder Fehlpass zum Wettbewerbsnachteil.

Leistungssport wie Arbeitswelt wollen den smarten Selbstoptimierer, doch der erlebt sich immer auch als unzulänglich. Die Erwartungen an Angestellte wie Sportler steigen ins Paradoxe: Fußballer sollen großartige Individualisten sein, sich aber gleichzeitig in den Dienst der Mannschaft stellen. Sie sollen mit kühlem Kopf kalkulieren, ob sich Vorstoß oder Foul lohnen - und sich zugleich bedingungslos ins Spiel stürzen. Gesucht wird ein Klon aus Ribéry und Schwarzenbeck.

Markus Miller hatte zuletzt "immer seltener das Gefühl, dass ich der Mannschaft helfe oder etwas Wesentliches bewirke", stattdessen erlebte er "großen inneren Druck und Anspannung". Ärzte kennen das: Von wem ständige Aktivität gefordert ist, dem droht Antriebslosigkeit. Auch Kreativen fällt manchmal nichts mehr ein. Was dann hilft, ist der Zuspruch, auch unabhängig vom Leistungstief oder dem Leben auf der Ersatzbank ein geschätzter Kollege oder Spieler zu sein.

Kontraproduktiv ist indes der Plan von Wolfsburgs Trainer Felix Magath, Fehlpässe mit Geldbußen von bis zu 10 000 Euro zu bestrafen. Angesichts dieses Tiefpunkts der Mitarbeiterführung ist Magath und seinen Spielern zu wünschen, dass der VfL Wolfsburg auch seriöse Therapieangebote in seinem Umfeld ermöglicht.

© SZ vom 07.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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