Para-WM:Der Nächste der Holzbein-Gang

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Léon Schäfer visiert Gold bei der Weltmeisterschaft in Dubai im Weitsprung der über dem Knie amputierten Athleten an. Und er will für den Sport werben und Menschen nach Amputationen helfen wie sein Vorbild Heinrich Popow.

Von Sebastian Fischer, Dubai/München

Als die Bühne für ihn frei wurde, stand Léon Schäfer noch als Zuschauer und Freund daneben, verletzt nach einem Kreuzbandriss. Es war im Sommer 2018, bei den Europameisterschaften der paralympischen Leichtathletik in Berlin, es war der letzte Weitsprung in der Karriere von Heinrich Popow, dem Paralympics-Sieger und Kämpfer für das Ansehen des Behindertensports in Deutschland. Als Popow darüber sprach, wie es ohne ihn weitergehen werde, da sagte er unter anderem: mit Schäfer.

Etwas mehr als ein Jahr später, an diesem Sonntag, wird Léon Schäfer, 22, bei den Weltmeisterschaften in Dubai als Favorit im Weitsprung der über dem Knie amputierten Athleten antreten. Er hat im Sommer zunächst Popows Weltrekord auf 6,80 Meter verbessert, wenig später sprang er gar 6,99 Meter. "Es ist schon ein sehr wichtiges Jahr", sagt Schäfer. Er will in Dubai Gold gewinnen. Und er würde gerne einen ähnlichen Weg einschlagen, wie Popow, 36, ihn vorgezeichnet hat.

Schäfer, als Kind ein talentierter Fußballer in der Bremer Stadtauswahl, kam zur Para-Leichtathletik, weil er einen Flyer mit Behindertensportangeboten des TSV Bayer 04 Leverkusen in die Hand gedrückt bekam, als man seinen Knochenkrebs im Krankenhaus behandelte. Nach mehreren Operationen wurden sein rechter Unterschenkel und sein Knie amputiert. Er wünschte sich eine Begegnung mit einem Sportler mit Prothese, traf den Paralympics-Sieger Markus Rehm beim Training in Leverkusen. "Ich wusste direkt, dass ich das machen will", sagt Schäfer. Seit 2011 startet er für Bayer 04. Und an einem seiner ersten Tage, so erinnert er sich, habe ihn Popow angesprochen, mit dem er später in einer Gruppe trainierte und in der gleichen Startklasse antrat. "Er hat mich direkt unter seine Fittiche genommen, hat hier rumgeschraubt und da rumgeschraubt" - an seiner Prothese. "Wir sind enge Freunde geworden."

Schäfers Geschichte ist eine, die auch für den Erfolg des Standorts Leverkusen steht. Neun Athleten von Bayer 04 starten bei der WM, die am Donnerstag begann und bis Freitag andauert. Johannes Floors, 24, hat Weltrekorde über 100 und 200 Meter aufgestellt, über 400 Meter ist er der Titelverteidiger, bei der WM 2017 war er mit dreimal Gold der beste Deutsche. Felix Streng, 24, hat bei der EM 2018 Gold über 100 und 200 Meter gewonnen. Sie sind derzeit die erfolgreichsten Athleten der jüngeren Leverkusener Generation, der "Holzbein-Gang", wie Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann die Bayer-Athleten mit Prothesen nennt. Schäfer, der auch über 100 Meter antritt, gehörte zur Leverkusener 4 x 100-Meter-Staffel, die 2017 WM-Gold gewann. Eine Einzelmedaille fehlt ihm noch. Es werde Zeit, findet er.

Die Verletzungspause 2018 nennt er einen Wendepunkt, weil er erkannt habe, wie wichtig ihm der Sport sei, "für meinen Körper, meinen Kopf". Nun will er auch dafür werben, dass sein Sport in der Gesellschaft wichtig ist. "Ich denke nicht, dass wir genauso gesehen werden wie nicht gehandicapte Athleten", sagt Schäfer, der in Köln BWL studiert. Er spricht noch nicht so knallige Sätze wie früher Popow, aber er sagt, dass er in dessen Fußstapfen treten will. Dass er sich auch vorstellen kann, wie Popow Menschen nach Amputationen zu helfen und sie für den Sport zu motivieren.

Popow sagt, dass Schäfer ein noch zielorientierterer Leistungssportler sei, als er es war, und dass er dem Behindertensport "neuen Glanz" verleihen könne. Popow ist auch in Dubai, bis zu den Paralympics in Tokio 2020 berät er Japans Team. Er war auch da, als Schäfer im Sommer seinen Weltrekord überbot. Er gab ihm vor dem Wettkampf Tipps. Danach umarmten sie sich.

© SZ vom 10.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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