Para-Sprinter Johannes Floors:Schnell, aber ohne Bühne

Dubai 2019 World Para Athletics Championships; United Arab Emirates, 10.11.2019 Johannes Floors (GER) setzt neuen Weltr

„Ziemlich sicher, dass ich noch schneller werden kann“: Johannes Floors, hier bei seinem Weltrekordlauf über 100 Meter 2019.

(Foto: Beautiful Sports/Imago)

Johannes Floors wollte 2020 Paralympics-Gold über 400 Meter gewinnen. Stattdessen steckte er sich mit Corona an - und musste eine Enttäuschung über den deutschen Leichtathletik-Verband verarbeiten.

Von Sebastian Fischer

Johannes Floors ist schon da gelaufen, wo noch fast niemand laufen durfte. Es war kurz vor Weihnachten 2019, als der Ansager im Nationalstadion von Tokio seinen Namen rief und er für einen Show-Staffellauf vor 60 000 Menschen eine halbe Stadionrunde zurücklegte. Auch Usain Bolt machte mit, der ehemals schnellste Mann der Welt. Bolt stand fürs Gruppenfoto später neben Floors, dem derzeit schnellsten Mann auf Prothesen. Es war die Feier zur Eröffnung jener Sportstätte, in der in diesem Sommer ursprünglich Olympia und Paralympics stattfinden sollten. "Das war gigantisch", sagt er. Es wurde sein letztes Rennen vor acht Monaten Wettkampfpause.

Floors, 25, an beiden Beinen unter den Knien amputierter Sprinter von Bayer Leverkusen, gilt spätestens seit November 2019 als einer der begabtesten paralympischen Leichtathleten der Welt. Damals gewann er bei den Para-Weltmeisterschaften in Dubai über 100 Meter in 10,54 Sekunden, Weltrekord. Über 400 Meter gewann er in 45,78 Sekunden und war nur rund sieben Zehntelsekunden langsamer als Oscar Pistorius, der wohl berühmteste Behindertensportler der Geschichte. 2012 lief der Südafrikaner als erster amputierter Sprinter bei Olympia mit; inzwischen ist er wegen Mordes an seiner Freundin verurteilt.

"Keine Glanzleistung vom DLV", sagt Floors zur Kommunikation über einen möglichen DM-Start

2020 sollte für Floors das Jahr werden, in dem er schneller laufen wollte als Pistorius und Gold gewinnen bei den Paralympics, die am Dienstag hätten beginnen sollten. Es wurde bislang ein Jahr des Wartens, für ihn noch mehr als für andere Athleten.

Als die Pandemie Deutschland erreichte, joggte er zunächst im Wald - was harmloser klingt, als es ist, wenn man dabei auf Prothesen unterwegs ist. Ständig droht man umzuknicken, im Grunde geht es gar nicht. Ende März hatte er immerhin die Gewissheit, dass er nicht in Bestform kommen musste, Olympia und Paralympics wurden verschoben. Im April durften Kaderathleten wieder auf der Bahn trainieren, Floors widmete sich mehr als sonst seinem Maschinenbaustudium. Als es im Juli die ersten Wettkampfmöglichkeiten gab, fiel er allerdings aus einem anderen Grund aus: Er war mit dem Coronavirus infiziert.

Zum Gespräch per Videochat sitzt er in seiner Wohnung, dort, wo er zwei Wochen in Quarantäne verbrachte, eine davon mit Symptomen wie bei einer Grippe. Wenn er darüber spricht, betont er auch, wie viel Verständnis er für Sicherheitsmaßnahmen habe und wie wenig er die lange Wettkampfpause jemandem vorwerfe - kann ja niemand was dafür. Dass diese Pause für ihn allerdings noch weiterging, als er aus der Quarantäne zurückkam, dafür hat er einen Mitverantwortlichen gefunden: den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV).

Während sich der Veranstaltungskalender für olympische Athleten inzwischen schon wieder recht passabel füllt, ist es für die kleine Szene der Para-Athleten schwieriger. In Leverkusen, wo der Großteil der Spitze der deutschen Para-Leichtathletik trainiert, haben sie am Freitag ihr jährliches Sportfest ausgerichtet, das diesmal nicht Sportfest hieß, weil Sportfeste in Nordrhein-Westfalen noch bis zum 31. Oktober verboten sind. Sie haben es "Para-Leichtathletik-Heimspiel" genannt, es waren keine Zuschauer erlaubt, auch kaum internationale Athleten am Start. Und doch war es nach einem Meeting in Niedersachsen und ein paar Wettkampfmöglichkeiten in der Schweiz so etwas wie der Saisonhöhepunkt. Auch Floors war erstmals wieder am Start, allerdings nur über 100 und 200 Meter. Läufe im Trainingsmodus.

Nicht nur angesichts der wenigen Möglichkeiten wäre er gerne bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften Anfang August gelaufen. Sie fanden in Braunschweig statt, wo Floors einst das Laufen auf Prothesen lernte. Er wurde mit einem Fibula-Gendefekt geboren, der verkümmerte Füße und Schmerzen bedeutete; als Jugendlicher entschied er sich für die Amputation. 2013 war er im Eintracht-Stadion erstmals im Leichtathletik-Training. Dort wieder zu laufen, "das wäre super schön gewesen".

Prothesensprinter Leeper hofft auf Olympia

Der an einem Bein amputierte Weitspringer Markus Rehm springt seit Jahren bei den nationalen Titelkämpfen gegen die nicht behinderte Konkurrenz, außerhalb der Wertung. 2018 durften auch Floors und Felix Streng, einseitig amputierter Europameister über 100 und 200 Meter, in den Vorläufen dabei sein: Streng über 200, Floors über 200 und 400 Meter - als Geste der Inklusion. Jörg Frischmann, Geschäftsführer des Leverkusener Para-Sports, wollte alle drei auch diesmal mit separater Wertung melden, zur Meisterschaft mit Sicherheitskonzept und limitierten Teilnehmerfeldern.

Er erhielt eine Absage mit der Begründung, dass die Para-Athleten nicht in den Rankinglisten des DLV auftauchen, über die in diesem Jahr die Qualifikation stattfand. Allerdings erhielt er die Antwort erst Ende Juli auf die dritte Mail-Nachfrage, eineinhalb Monate nach der ersten Mail. Der DLV begründet dies auf SZ-Nachfrage damit, dass erst dann, rund eine Woche vor den Meisterschaften, die genaue Teilnehmerzahl festgestanden habe.

In Leverkusen waren sie nicht so begeistert. Floors sagt: "E-Mails zu ignorieren ist keine Glanzleistung vom DLV, das ist nicht die Kommunikation, die ich mir wünschen würde. Die wissen, dass wir da sind, die wissen, dass wir wie in den Jahren zuvor auch gerne gestartet wären." Er sah stattdessen im Fernsehen, wie Marvin Schlegel das 400-Meter-Finale gewann, in 45,80 Sekunden, zwei Hundertstel langsamer als Floors' Bestzeit vom November 2019. "Ich bin quasi noch der schnellste aktive deutsche 400-Meter-Sprinter", sagt er - und grinst. Es führt zur nächsten Geschichte, die ihn in diesem Sommer beschäftigt.

Der Amerikaner Blake Leeper, beidseitig amputierter Sprinter und theoretisch ein Konkurrent von Floors mit besserer 400-Meter-Bestzeit, klagt gerade vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas dagegen, dass ihn der Weltverband World Athletics nicht zu den Olympischen Spielen zulässt. Leeper muss dafür beweisen, dass seine Prothesen keinen Vorteil darstellen. Er startet nicht mehr bei den Paralympics, dafür sind seine Prothesen nach veränderten Klassifizierungs-Regeln zu lang. Der Cas hat ihn im Juli angehört, aber noch keine Entscheidung getroffen.

Floors sieht Leepers Vorhaben kritisch. Zur Vergleichbarkeit vom Laufen auf Prothesen und natürlichen Füßen hat er eine klare Meinung, mit der er in der Szene wohl zur Mehrheit gehört: Es seien verschiedene Disziplinen, nicht vergleichbar. Er verfolgt den Fall natürlich trotzdem auch aus Eigeninteresse. Er sagt zwar einerseits deutlich: "Ich bin stolz darauf, dass wir die Paralympics haben. Dass wir die Möglichkeit haben, die spannenden Geschichten zu erzählen, die hinter jedem paralympischen Athleten stecken." Doch ausschließen, dass er es auch mit einer Olympia-Teilnahme versuchen würde, sollte Leeper überraschend recht bekommen, möchte er nicht: "Es wäre natürlich für den einzelnen Athleten gigantisch."

Floors sagt, er denke kaum daran, dass er jetzt im Grunde gerade in Tokio sein sollte. Seine Ziele hat er einfach auf 2021 verschoben, dann will er auch wieder gegen Menschen mit zwei Beinen laufen, bei den deutschen Meisterschaften, auf Meetings. Und er will bei den Paralympics Gold gewinnen. "Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher", sagt er, "dass ich noch schneller werden kann."

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