Para-Sport:"Anna wird uns fehlen"

Anna Schaffelhuber LW 10 2 sitzend TSV Bayerbach Giant Slalom Female at the World Para Alpine Sk; Anna Schaffelhuber

So diszipliniert wie wenige andere Athletinnen: Anna Schaffelhuber bei der Para-Ski-WM 2019, als sie zum letzten Mal in ihrer Karriere Medaillen gewann.

(Foto: Ralf Kuckuck/imago)
  • Anna Schaffelhuber war über Jahre eines der bekanntesten Gesichter des deutschen Para-Sports.
  • Nun beginnt die 26-Jährige ein Referendariat an der Realschule in Wasserburg.
  • Sie zieht ein positives Fazit ihrer Zeit als Spitzensportlerin.

Von Johannes Knuth

Die letzten Jahre waren dann doch ein bisschen anders in ihrem Sportlerleben, sagt Anna Schaffelhuber, das schon. Geprägt von der Freiheit einer erfahrenen Athletin, nicht mehr alles machen zu müssen, was von ihr erwartet wird, sondern was sie für richtig hält. "Ich habe mir am Ende schon mehr Freiheiten genommen", sagt Schaffelhuber, wenn sie im Training mal eine andere Einheit absolvieren wollte als jene der Mannschaft: "Da lernt man mit den Jahren, auf seinen Instinkt zu hören", anstatt sich eisern an der Linie des Trainers zu orientieren. "Aber das war ja auch immer im Sinne der Trainer", sagt Schaffelhuber, "die gemerkt haben, dass mir das guttut."

Und das große Ganze, das hatte sie bei aller Intuition nie aus dem Blick verloren: dass sie zum Start dieses Winters, nach zwölf Jahren als Monoskifahrerin und mit dem just abgeschlossenen Lehramtsstudium in der Tasche, in ein neues Leben gleiten würde, eines ohne Spitzensport. "Ich muss ehrlich sagen", sagt Schaffelhuber, "ich habe das schon immer so geplant."

So gesehen ist sie sich bis zuletzt treu geblieben. Feuriger Eifer ist gut, Augenmaß und Planung ist besser, auch mit Blick auf die Karriere nach der Karriere. So hatte sie es stets gehalten, seit sie vor zwölf Jahren zum Skiteam des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) stieß, so kam sie später zu Erfolgen für drei Sportlerleben. Und so stieg sie auch zu einem Gesicht einer neuen Generation von Para-Sportlern auf, für die es längst selbstverständlich ist, dass der Leistungsgedanke im Mittelpunkt ihres Schaffens steht. Frühere Paralympier mussten ihr Tun oft erklären, weil das Publikum es nicht gewohnt war, dass Menschen mit Behinderung Leistungssportler sein können. Mittlerweile gehören die Paralympics fest zum Programm des modernen Mediensports, die Athletenförderung gleicht sich allmählich jener der Olympia-Kollegen an. Auch wenn jetzt, zu Schaffelhubers Rückzug, auch nachdenkliche Töne in ihrem Fazit erklingen.

Über ihre Behinderung hat Schaffelhuber, auch das ein Fortschritt, in all den Jahren wenig reden müssen. Sie kam vor 26 Jahren mit einer inkompletten Querschnittslähmung zur Welt, in Regensburg. Sie merkte als junge Skifahrerin, dass sie begabt war, und fasste einen Plan: "Ich will nach ganz oben." So wie viele andere junge, ambitionierte Athleten eben.

"Es braucht im Para-Sport weniger Mittel - aber die braucht es halt", sagt sie

Mit 17 gewann sie ihre erste Paralympics-Medaille, Bronze im Super-Riesenslalom, weitere Titel folgten rasch. Der Knaller waren natürlich die fünf Goldmedaillen in Sotschi 2014, in Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Slalom und Super-Kombination. Schaffelhuber war damals 21. Vier Jahre später gewann sie zwei weitere Paralympics-Titel, in Super-G und Abfahrt, das war ihr immens wichtig. Nach oben kommen ist das eine, oben bleiben ungleich schwerer. Er habe selten eine "so disziplinierte Athletin erlebt", hat der Bundestrainer Justus Wolf einmal gesagt, eine, die immer die Ideallinie findet - auch wenn die Ideallinie im Skisport nicht immer die Allerschnellste ist, aber geschenkt. Sieben paralympische Goldmedaillen, elf WM-Titel, sechs Gesamtweltcup-Siege standen am Ende in Schaffelhubers Vita, und das sind nur die Highlights. Klar, dass man sich da "komplett" fühlt, auch mit 26 Jahren.

Schaffelhuber haben all die Anfragen, Galas und Interviews, die nach Sotschi auf sie einprasselten, recht unvorbereitet getroffen, aber mit der Zeit, sagt sie, habe sie es "auch genossen, dass ich gehört wurde. Da konnte ich vielleicht auch das eine oder andere beeinflussen." Para-Sportler können sich mittlerweile in den Behördengruppen des Bundes bewerben, die Skifahrer im Zoll-Team etwa, wie die Kollegen aus dem olympischen Ressort. Wobei die Fördersummen noch nicht die gleichen sind. "Man schiebt das oft auf die Politik, aber ich habe oft das Gefühl, dass man sich manchmal auf dem Erreichten etwas ausruht, anstatt weiter zu handeln", sagt Schaffelhuber. Ähnliches hat sie in der Gesellschaft beobachtet: "Man ist auf einem richtig guten Weg", was die Inklusion angeht, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung also. Aber auch da sehe sie noch Defizite, bei der Barrierefreiheit etwa, "meinem Lieblingsthema", sagt sie. "Da sage ich immer: Ich kann in der Gesellschaft nicht dabei sein, wenn ich nicht hinkomme" - ob das eine Bürgerversammlung ist oder der Kraftraum an ihrem einstigen Olympiastützpunkt München, der bis zuletzt für Rollstuhlfahrer wie sie nicht ohne weiteres zugänglich war.

"Anna", hat der DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher kürzlich gesagt, "wird uns fehlen", als Fürsprecherin und Medaillengarantin. Auch Teamkollege Georg Kreiter, 2015 Weltmeister im Riesenslalom und der Kombination, hat zuletzt ja seine Karriere beendet, die Nachwuchsförderung wurde lange vernachlässigt. Das habe sich wieder stark gebessert, sagt Schaffelhuber, dank der Einstellung einer Nachwuchstrainerin wie Maike Hujara etwa. "Aber bis so etwas anläuft und Ergebnisse sichtbar werden, dauert es halt", sagt sie. Auch im Parasport wird vermehrt getüftelt, an der Dämpfung der Monoski etwa, andere Nationen haben die Deutschen zuletzt überholt oder werden es künftig noch tun. "Dabei braucht es im Para-Sport deutlich weniger Mittel als im olympischen, um in der Weltspitze konstant mitzuhalten", sagt Schaffelhuber: "Aber diese Mittel braucht es halt."

Anna Schaffelhuber wird sich weiter einbringen. Mit ihren Sport-Camps für Jugendliche mit und ohne Behinderung etwa, wobei es da weniger darum geht, den nächsten Paralympics-Sieger zu casten, sondern um Inklusion und Selbstwertgefühl. Und irgendwann, nach ihrem Referendariat an der Realschule in Wasserburg und einigen Jahren im Beruf, kann sich Schaffelhuber auch vorstellen, im Verband zu arbeiten, in der Nachwuchsarbeit etwa. Auch wenn sie glaubt, "dass die Position, die mir vorschwebt, im Verband auch erst mal geschaffen werden müsste". Pionierarbeit also, wieder einmal. Den nötigen Plan aber, klar, den hat sie schon in der Tasche.

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