Otto Rehhagels erster Auftritt in Berlin:Rettungsschirm aus Griechenland

Dass seine zahlreichen Feinde ihn für einen überheblichen Trainer von vorgestern halten, ist ihm in überzeugender Überheblichkeit egal: Otto Rehhagel erfüllt schon bei seiner Präsentation seine Hauptaufgabe als neuer Hertha-Trainer - er steht publikumswirksam im Mittelpunkt.

Christof Kneer

Niemand hat Otto Rehhagel am Sonntag nach Angelos Charisteas gefragt, auch die Frage nach Traianos Dellas ist ausgeblieben. Für die Verantwortlichen des Erstligisten Hertha BSC war das ein erster schöner Erfolg, denn das hätten sie ja gar nicht gebrauchen können: dass der Tag, an dem alles besser werden soll in Berlin, gleich mit wüsten Kampfhandlungen losgeht.

Dass also jemand fragt, ob Rehhagel wieder mit Libero (Dellas) spielen werde wie damals mit seinen alten Griechen und ob er wieder seine ganze Taktik darauf ausrichte, dass am Ende einer (Charisteas) ein Kopfballtor erzielt. Dass Rehhagel polternd kontert, dass er abschätzig fragt, ob der Journalist überhaupt die Aufstellung des EM-Finales von 2004 kenne und ob er sich in seiner Redaktion nicht in eine andere Abteilung versetzen lassen wolle.

Das hat es alles schon gegeben, genau so, wortwörtlich. Aber an diesem Sonntagnachmittag war nichts davon wahr. Otto Rehhagel, ein leidenschaftlicher Journalistenfeind, ein entrückter Besserwisser? Ach was. Ein Charmebolzen ist er, ein saulässiger. "Kommt, Jungs, is' gut jetzt, haut ab", hat er mit einem Augenzwinkern den Fotografen zugeraunt, die ihn vor seiner ersten Pressekonferenz als Trainer von Hertha BSC so dicht umschlossen, als wären sie ein Abwehrbollwerk aus Rehhagel'scher Produktion.

Otto Rehhagel, 73, Fußballtrainer und Gelegenheitsgott, saß dort oben auf dem Podium und strahlte nur diese eine Botschaft aus: Leute, was für euch hier im Saal so aufregend ist, hab' ich schon tausendmal erlebt. Mir kann keiner was.

Wer Augenzeuge dieser Pressekonferenz war, hat schon mal eine Ahnung davon bekommen, warum sie bei Hertha BSC die schrullige Idee hatten, sich unter einen Rettungsschirm aus Griechenland zu flüchten. Man kann sich nach dieser Pressekonferenz sehr gut vorstellen, wie Rehhagel in der Kabine zum Spieler Christian Lell geht, ihm den Arm um die Schultern legt und sagt: "Christian, Sie sind mein Mann, Sie müssen mir helfen, den Bock umzustoßen."

Und wie die Spieler, die vielleicht gestern noch Rehhagel-Witze erzählten, mit leuchtenden Augen aus der Kabine treten und mal eben Europameister oder irgendsowas werden.

Man kann sich geehrt fühlen, wenn man mit so einer Trainergröße zusammenarbeiten darf", sagte Hertha-Angreifer Pierre-Michel Lasogga nach dem 0:1 gegen Dortmund. Gut, Lasogga dürfte leicht parteiisch sein, er ist der Stiefsohn von Oliver Reck, der einst als Torwart in Bremen Rehhagels an Sturheit grenzende Treue genießen durfte. Aber auch jenen Hertha-Profis, die nicht über einen Stiefvater verfügen, der mal bei Bremen war, dürfte es gut tun, dass dieser wunderliche Mann sie erst mal von der Bühne verdrängt.

Sie können in seinem Schatten regenerieren. Selbst den umstrittenen Sportchef Michael Preetz haben die Medien am Sonntag mit einem kleinen Begrüßungs-Statement davonkommen lassen. Am Samstag hatten die Journalisten noch gemeine Sachen wissen wollen, ob Preetz sein Schicksal mit Rehhagel verbinde (Antwort: nein) und Ähnliches. Am Sonntag reichte ihnen Rehhagel.

Identität vorleben, Identität stiften

Nach dem grotesken 52-Tage-Experiment mit dem Trainer Michael Skibbe bleibt Hertha nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der Fußball wirklich so banal ist, wie er sich am Sonntag präsentierte. Er werde "den Jungs sagen, was wichtig ist", sagte Rehhagel, und was dieses Wichtige ist, verriet er auch: "Wir schaffen es, aber nur gemeinsam. Unnötige Kriegsschauplätze müssen außen vor bleiben. Ich rede nur noch über Fußball. Es sind noch zwölf Spiele. Die drei Monate ist an nichts anderes mehr zu denken."

Bestimmt hat Rehhagel auch in Berlin wieder diese praktische Wagenburg zum Aufblasen dabei, hinter der man sich so herrlich verschanzen und gegen die Außenwelt verschwören kann. "Das war die Antwort auf die miesen Presse-Kommentare", sagte der griechische Stürmer Salpingidis im Herbst 2009 über sein Tor, das Rehhagels Elf zur WM brachte. Rehhagels Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Botschaften funktionieren immer noch.

Er habe das mit Hertha "auch deshalb gemacht, weil Berlin ein besonderer Ort ist und weil ich möchte, dass Hertha in der Bundesliga bleibt", sagte Rehhagel noch. Allen, die versehentlich nach ihm geboren sind, kann er als Beweis seine Spielerbiographie vorlegen, der zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass ein Otto Rehhagel von 1963 bis 1966 für Hertha grätschte.

Identität stiften, Identität vorleben, auch das gehört zu seinem Umarmungsprogramm, mit dem er sich auch schon bei seinen neuen Assistenten René Tretschok und Ante Covic beliebt gemacht hat. Die erste Trainingswoche lege er in die Hände der jungen Kollegen, sagte Rehhagel. Es sei "eine riesige Freude", dass Rehhagel da sei, meinte Tretschok denn auch gleich, von einem wie ihm könne man "so viel lernen".

Es ist mehr als zwölf Jahre her, dass Rehhagel letztmals einen Bundesligisten trainierte, auf die Idee, ihn einen modernen Trainer zu nennen, würde niemand kommen - Rehhagel selbst übrigens auch nicht. Als in Deutschland das Wort "Konzepttrainer" erfunden wurde, wurde er mit Griechenland gerade Europameister.

Dass seine zahlreichen Feinde ihn für einen überheblichen Trainer von vorgestern halten, ist ihm in überzeugender Überheblichkeit egal. Er hält das für "Kokolores", ein Wort, das er möglicherweise ebenso erfunden hat wie den SV Werder Bremen und seine Ehefrau Beate. Rehhagel weiß: Für seine Getreuen ist er einer, der nie aus der Mode kommt.

Tatsächlich besitzt der Trainer Rehhagel die Fähigkeit, das Spiel radikal zu reduzieren. Er taucht nicht ein in die Tiefen der Lehre wie diese neumodischen Sportlehrer. Aber er kann ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, Spieler richtig aufstellen und klare Aufträge erteilen.

Den Begriff "win-win-Situation" gab es vermutlich auch noch nicht, als Rehhagel seine große Zeit hatte, aber genau eine solche Situation könnte er in Berlin nun vorfinden. Er tut dem Sportchef Preetz einen Gefallen, der nun bei seiner Suche nach einer langfristigen Trainerlösung Zeit gewonnen hat. Preetz hat das Potential erkannt, das in dem Übergangsmodell mit dem Kauz steckt.

Er muss sich nicht an Namen wie Balakow oder Doll binden, die in Berlin keinen vollständig überzeugen. Und der Kauz selbst hat ja seit jeher ein Gespür dafür, welche Milieus ihm taugen könnten. Bayern München, das war nichts für ihn, er ist ein Held der kleinen Welten wie Kaiserslautern oder Griechenland; auch die Hertha ist ja in den letzten Wochen klein und immer kleiner geworden. Jetzt ist sie so klein, dass sie ihm gerade recht kommt.

Er mache das "nur diese drei Monate", hat Rehhagel noch gesagt, was die Nachfrage provozierte: Und danach? Er könne sich vorstellen, "auch nächstes Jahr Bundesliga-Trainer zu sein, ich bin fit, ich weiß, was gefragt ist: Attack, attack, go!" Michael Preetz hat gelacht, vielleicht das erste Mal seit Wochen.

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