French Open:Wenn der Größte auf den Nobody trifft

French Open: Zum ersten Mal in der zweiten Runde eines Grand-Slam-Turniers: Oscar Otte

Zum ersten Mal in der zweiten Runde eines Grand-Slam-Turniers: Oscar Otte

(Foto: AFP)
  • Oscar Otte aus Köln trifft in der zweiten Runde der French Open auf Roger Federer.
  • Chancenlos sieht Otte sich nicht. Er fühlt sich fit, will alles genießen, und er hat ja einen Vorteil: Federer kennt ihn null.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der Mann, der an diesem Mittwochnachmittag ein Wunder schaffen will, heißt Oscar Otte, ist 25 Jahre alt, er kommt aus Köln. Der Tennisplatz, auf dem er die größte Stimmung erlebt hat bislang, waren die Heimspiele zu Hause für KTHC Stadion Rot-Weiss. "In der Bundesliga in Köln kommen immer viele gucken", sagt Otte und lacht, "die sind laut", und das Wichtigste: "Die sind alle für mich." Ansonsten spielt Oscar Otte meist auf Challenger-Turnieren, Events der zweiten Reihe im Profitennis, manchmal höchstens in der Qualifikation zu Turnieren der ATP-Serie.

An diesem Mittwoch darf er in eine Arena mit Plätzen für 15 000 Menschen. Ins neu aufgebaute Hauptstadion der French Open, auf den kastigen, einschüchternden Court Philippe Chatrier. Es wird, das weiß Otte, "eine komische Atmosphäre" sein. Denn normalerweise sind Zuschauer gerne für den Außenseiter. Aber nicht, wenn Roger Federer spielt. "Klar werden alle für ihn sein", sagt Otte, aber er will trotzdem zuversichtlich bleiben. Mal schauen einfach. Er nimmt sich vor, sich "nicht vor laufender Kamera demütigen zu lassen". Er sagt: "Es gibt immer eine Chance." Und er will sich seiner größten Stärke besinnen, die er so beschreibt: "Wenn ich gut aufschlage, steht da natürlich immer noch Roger Federer. Aber es würde mir extrem helfen. Da kann, blöd gesagt, wenn ich mit 220 in die Ecke serviere, auch Roger Federer nicht zaubern." Zumindest nicht immer.

Ja, so ist die Konstellation, sie ist sehr, sehr ungewöhnlich. Federer, der drei Jahre nicht in Paris antrat und bei seinem ersten Match gleich wie ein Heiliger gefeiert wurde, der über Wasser läuft, ist ein Weltstar. 20 Grand-Slams gewann er, sein Vermögen rast auf die Milliardengrenze zu, er kennt Hugh Jackson, Beyoncé, die Wintour, Kate und William, ach, alle Premiumkaliber vom roten Teppich. "Es wäre lustig, wenn er den Namen Oscar Otte kennen würde", sagt Oscar Otte dagegen. Dass er allein nach seinem gewonnenen Erstrundenmatch zu einer Pressekonferenz kommen und kurz über sich ein paar Sachen sagen darf, ist ungewohnt für ihn. Überhaupt ist es ein bisschen irre, dass Otte da sitzt. Denn: Er war ja schon draußen, aus den French Open. Manchmal hat das Schicksal verrückte Launen.

Während einer wie Federer ständig im Scheinwerferlicht lebt und mal froh ist, wenn er 15 Minuten nur seine Ruhe hat und einfach ein Mensch mit 37 Jahren und vier Kindern und einer Frau sein darf, muss einer wie Otte wie ein Ochse auf dem Acker darum schuften, einmal nur 15 Minuten Warhol'schen Ruhm abzukriegen. Und selbst wenn er schuftet, braucht er noch verdammtes Glück. Und jetzt hatte er es - nicht wie in Melbourne neulich. Da hatte Otte Matchball gegen Rudi Molleker, in der letzten Runde der Qualifikation. Vergeben, vorbei die Chance, wenigstens nach Roland Garros ein zweites Mal das Hauptfeld eines Grand Slams zu erreichen. 2018 war er in der ersten Runde dem Italiener Matteo Berrettini unterlegen.

Eigentlich war Otte schon draußen

Diesmal aber, die Qualifikation: klarer Sieg gegen den Briten James Ward, klarer Sieg gegen den Italiener Stefano Napolitano. Dann aber: 6:3, 4:6, 0:6 gegen den Spanier Guillermo Garcia-Lopez. Ende, eigentlich abreisen, wieder irgendwohin in die Prärie des Tennis. Jetzt aber meldete sich das Schicksal: Eine Viertelstunde vor Fristablauf am Freitag zog der Australier Nick Kyrgios zurück, angeblich krank. Nun wurde ein Platz im Hauptfeld frei. Und weil der Amerikaner Tennys Sandgren wiederum sein letztes Match in der Qualifikation gewann, rückte Otte in den Lostopf, weil er als 144. der Weltrangliste höher steht als der Franzose Mathias Bourgue (233.), der gegen Sandgren verlor. Und tatsächlich: Otte wurde gezogen, als Zweiter. Dann wurde Otte ins Draw, in die Auslosung gelost - und landete direkt in der Partie oberhalb Roger Federers Match gegen den Italiener Lorenzo Sonego. Ein Sieg von beiden, und es war klar: Der Größte würde auf den Nobody treffen, der natürlich kein Niemand ist, sondern ein richtig feiner Kerl aus dem Rheinland. Aber im Tennis ist diese Wahrnehmung so, und auch Otte weiß das.

"Ich hab es mir verdient"

Als er seinen Matchball gegen den Tunesier Malek Jaziri nach dem 6:3, 6:1, 4:6, 6:0-Sieg verwandelt hatte, war er nicht mehr zu halten, rannte wild auf dem kleinen Court 6 umher, klatschte Freunde, Trainer, Fremde ab, hier und da und dort. Jetzt gegen Federer? "Natürlich ist das Wahnsinn", sagt Otte. "Wenn man das Wort Tennis hört, verbindet man das sofort mit Roger Federer. Er symbolisiert das so ein bisschen für mich." Der Schweizer sei auch lange sein Vorbild gewesen. Einmal, erzählt er anrührend nett, habe er "'Hallo' zu mir" gesagt, in der Umkleide. Ansonsten habe Otte nur Geschichten von anderen über Federer gehört. Aber keine "crazy Sachen". Dass Glück im Spiel war, um ihn jetzt zu treffen? "Ich hab es mir verdient", sagt er. Allerdings.

Chancenlos sieht er sich nicht. Er fühlt sich fit, will alles genießen, und er hat ja einen Vorteil: Federer kennt ihn null. Gab der selbst zu. Federer kündigte gar an, dass sein Team nun über Ottes Tennisleben recherchieren werde. Da findet er dann sicher seinen Sieg beim Challenger in Lissabon 2017. Oder dass er die Rückhand beidhändig spielt. Wenn er jetzt aber denken sollte, er spiele nun gegen einen, der gerne Koch werden will, irrt Federer. Das stimmt nämlich gar nicht, was im ATP-Tour-Profil über Otte steht. "Boah", ruft Otte, als er das mit dem Kochen hört. Die Tour müsste dringend mal ihre Infos updaten, sagt Otte und lacht. Das müsse Jahre her sein, dass er das mal sagte.

Immerhin, Federer kann er nun persönlich sagen, dass er "gar nicht gern kocht". Dann weiß der schon mal Bescheid.

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