Die Geschichte mit den Außerirdischen darf natürlich nicht fehlen, und als sie zur Sprache kommt, schnappt sich Kirsan Iljumschinow Block und Stift des Reporters. Er malt eine zweispaltige Tabelle. Ein großes Plus auf die eine und ein großes Minus auf die andere Seite, und dann füllt sich die Minus-Spalte rasend schnell. "Ehefrau" steht da, "Freunde", "Verwandte", "Schachwelt" und noch ein paar andere Dinge. Die andere, die Plus-Spalte, die bleibt quasi leer.
So in etwa habe er vor ein paar Jahren da gesessen, sagt Kirsan Iljumschinow, und sich gefragt, ob er der Welt von seinem fulminanten Erlebnis berichten solle. Er habe Vor- und Nachteile abgewogen, und natürlich habe er die vielen Aspekte auf der Minus-Seite gesehen und gewusst, dass ihn alle für durchgeknallt erklären würden. Aber irgendjemand müsse halt mal mit der Wahrheit raus. Und so entschied er sich dann, alles auszuhalten und die Geschichte zu erzählen.
Von jenem Tag im September 1997, als er sich ganz friedlich in seinem Moskauer Apartment befand, bis er Besuch von einem Trupp Außerirdischer bekam. In gelben Anzügen seien sie gekommen, menschenähnlich die Gestalt, aber nicht menschenähnlich die Sprache, weswegen eine direkte Kommunikation nicht recht möglich gewesen sei. Ganz genau wisse er auch nicht, was das war, sagt er, aber ganz gewiss habe er dann einige Zeit nicht in seiner Wohnung verbracht, sondern irgendwo draußen mit den Aliens.
Die Welt hat Iljumschinow verlacht oder für irre erklärt, manche haben ihn immerhin als PR-Fuchs gewürdigt. Aber er sitzt noch heute da und sagt: "Manche glauben an Gott, manche an irgendetwas anderes - und ich glaube halt an Außerirdische."
Kirsan Nikolajewitsch Iljumschinow, 54, ist nicht nur wegen der Sache mit den Aliens eine der kuriosesten und dubiosesten Figuren der an kuriosen und dubiosen Figuren nun wahrlich nicht armen Sportfunktionärswelt. Mehr als 15 Jahre lang war er Präsident der autonomen Republik Kalmückien in Russlands Süden; dazu scheffelte er als Geschäftsmann Hunderte von Millionen; und seit zwei Dekaden ist er der Chef des Welt-Schachverbandes Fide. Vielen gilt er wegen seines Gebarens schon auf diesem Posten als Schrecken. Aber inzwischen ist er auch ein Fall für die US-Behörden, die glauben, dass er Syriens Regime beim illegalen Öl-Einkauf unterstützte, und die ihn deswegen auf ihre Sanktionsliste setzten. Und auch aufgrund von Dokumenten aus den Panama Papers stellen sich an ihn nun neue Fragen.
Wer Kirsan Iljumschinow trifft, kann das kaum glauben. In einem Moskauer Geschäftshaus bittet er zum Gespräch, freundlich und bescheiden tritt er auf. Ausführlich entschuldigt er sich - nicht gerade üblich für russische Funktionäre - für den verzögerten Beginn des Interviews, dann lässt er grünen Tee servieren und nimmt sich fast zwei Stunden Zeit. Nur einmal bittet er kurz um eine Pause, der Sportminister Witalij Mutko, gerade aufgrund des großen Dopingskandals selbst in Schwierigkeiten, will noch anrufen.
Klar ist: Kirsan Iljumschinow kann wunderbar erzählen. Nicht so klar ist, was man ihm glauben darf, auch wenn es nicht um Außerirdische geht. Wenn er erzählt, und er liebt es zu erzählen, dann geht es schon mal darum, wie beeindruckend viel Wodka er verträgt, dass er in seinem früheren Leben eine Frau war, oder dass er in den Trümmern des World Trade Center in New York ein gigantisches Schachzentrum errichten würde. Nun gibt es in der Sportfunktionärswelt viele lustige Gestalten, da könnte sie auch einen netten Herrn aus Kalmückien vertragen, der sich mit Aliens trifft und unterhaltsame Geschichten zum Besten gibt. Aber Kirsan Iljumschinow steht eben auch wegen manch anderem Tun in der Kritik - inner- und außerhalb der Schach-Welt.