Olympisches Schwimmen:Ein Fabelrennen

Weltrekord auf Weltrekord: Vor allem das Staffel-Rennen über 4x100 Meter Freistil dürfte in die Geschichte eingehen. Auf die Deutschen prasselt Kritik ein, doch es gibt einen Lichtblick.

Thomas Hummel

Die historische Olympia-Mission des Michael Phelps geht in eine neue Dimension. Kurzfristig hatten ihn die Chefs des US-Schwimmteams für die 4x100 Meter Freistilstaffel nominiert, und mit der gewann Phelps nach einem dramatischen Rennen sein zweites Gold in Peking.

Olympisches Schwimmen: Riesenjubel: Michael Phelps (r.) und Garrett Weber-Gale nach dem Gold über 4x100 Meter Freistil.

Riesenjubel: Michael Phelps (r.) und Garrett Weber-Gale nach dem Gold über 4x100 Meter Freistil.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch als die letzten Schwimmer der 4x100-Meter-Freistil-Staffel zum letzten Mal wendeten, schien Phelps und seine Mannschaft geschlagen. Frankreich war enteilt, Weltrekordhalter Alain Bernard lag eine halbe Körperlänge vor dem US-Schwimmer Jason Lezak. Der sonst so introvertierte Phelps schrie verzweifelt, er gestikulierte wild. In diesem Moment sah man, wie viel ihm seine Mission "Achtmal Gold" in Peking bedeutet.

Fast wie Oliver Kahn

Lezak holte tatsächlich auf, Bernard schien auf den letzten Metern im Vergleich fast unterzugehen, am Ende berührte der Amerikaner acht Hundertstelsekunden vor dem Franzosen die Beckenwand. Oben jubelte Michael Phelps wie ein Showcatcher nach einem kapitalen Überwurf. So hatte man den 23-Jährigen aus Maryland noch nie gesehen, er sah mit seinen angespannten Muskeln, mit seinem offenen Mund fast so aus wie Oliver Kahn nach einem gewonnenen Elfmeterschießen.

Dass die Amerikaner um Phelps dieses Rennen noch gewannen, könnte ihrem Superstar die nötigen Flügel verleihen, um die restlichen sechs Goldmedaillen zu holen. Die 4x100 Meter Freistil waren ein Endlauf der Superlative: Phelps ging als Erster für die USA ins Becken, doch neben ihm schwamm der Australier Eamon Sullivan in 47,24 Sekunden einen Weltrekord, danach enteilten die Franzosen. Am Ende blieben die Staffeln der USA und aus Frankreich fast genau vier Sekunden unter dem bisherigen Weltrekord, auch die Drittplatzierten Australier hätten die alte Bestzeit deutlich unterboten - ein Fabelrennen.

Doch es war nicht die einzige Disziplin mit neuen Bestzeiten. Über 100 Meter Rücken der Frauen stellte Kirsty Coventry aus Simbabwe bereits im Vorlauf mit 58,77 Sekunden einen Weltrekord auf. Der Japaner Kosuoke Kitajima blieb bei seiner Titelverteidigung über 100 Meter Brust als erster Mensch unter 59 Sekunden (58,91).

"Die Leistungssprünge werden anhalten."

Solche Zeiten schaffen Argwohn in einer dopinganfälligen Sportart wie Schwimmen. Doch nach Ansicht von Experten gibt es auch Gründe für legale Leistungssteigerungen. Das Schwimmen wird in vielen Ländern erst seit ein paar Jahren professionell betrieben, nun etwa in Korea, Japan und China. Die Schwimmtechniken haben sich rasant entwickelt, etwa bei Start, Tauchphase oder auch bei der Wende. Zuletzt sollen viele Sportler durch extremes Krafttraining einen Schub bekommen haben. Der deutsche Cheftrainer Örjan Madsen sagt: "Die Leistungssprünge werden noch einige Zeit anhalten."

Solche Argumente werfen allerdings ein schales Licht auf die Darbietungen der deutschen Schwimmer. Bislang konnten die meisten von ihnen in Peking nicht einmal ihre eigenen Bestleistungen bringen, einige wie die bisherigen Europarekord-Halter Helge Meeuws oder Sarah Poewe brachen regelrecht ein.

Nach den vielen Enttäuschungen suchen die Deutschen in Peking schon nach den Ursachen. Kritiker glauben, den Grund zu kennen: Die deutschen Schwimmer sind immer noch föderal organisiert, die meisten Olympia-Starter führen ein Einzelkämpfer-Dasein, während andere Nationen die besten Athleten längst zentral koordinieren. Örjan Madsen hat angedeutet, dass er in den vergangenen Monaten schon ein-, zweimal an Rücktritt dachte, weil er auf die meisten Sportler keinen Zugriff hatte. Erst nach den Olympischen Spielen stellt der Deutsche Schwimmverband sein System um.

Der erste Endlaufteilnehmer

Einer der wenigen, der Madsens Trainingsplan gefolgt ist, hat es nun als Erster in ein Einzelfinale geschafft: Paul Biedermann. Der 22-Jährige aus Halle an der Saale erreichte als Fünftschnellster der Halbfinals über 200 Meter Freistil den morgigen Endlauf. "Das war mein Ziel, darauf habe ich vier Jahre lang hingearbeitet", sagte Biedermann. Und übte indirekt Kritik an den Kollegen, die sich vor Olympia lange Zeit im Training abschotteten, statt wie er die großen Rennen zu suchen wie die Europameisterschaft im März in Eindhoven. "Ich messe mich gerne in großen Wettkämpfen und habe auch keine Angst, gegen einen Michael Phelps zu schwimmen. Vielleicht ist im Finale deutscher Rekord möglich".

Eine Medaille dürfte Biedermann damit zwar nicht gewinnen. Dennoch ist er mit seiner Leistung und Einstellung ein heller Lichtblick im weiten Dunkel der deutschen Schwimm-Mannschaft.

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