Olympischer Sport:Wie eine Meisterschaft im eigenen Garten

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Digitale Gartenparty: Renaud Lavillenie, Sam Kendricks und Armand Duplantis (von oben rechts im Uhrzeigersinn) messen sich auf ihren eigenen Stabhochsprung-Anlagen in einer Art Ausdauerwettkampf – begleitet von einem Moderator und rund 100 000 Aufrufen auf der Videoplattform Youtube. (Foto: World Athletics / Reuters)

Wie schafft es der Sport aus der Isolation zurück ins öffentliche Bewusstsein? Viele Sportarten experimentieren derzeit mit kontaktlosen Wettbewerben - der Wiedereintritt in den Alltag ist aber kompliziert.

Von Johannes Knuth, München

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, wie heftig die Entzugserscheinungen gewesen waren, musste man nur auf das Ende dieses Schauwettkampfs blicken. Armand Duplantis, der 20 Jahre alte Weltrekordhalter, WM-Zweite und Europameister im Stabhochsprung, stand in seinem Garten in Louisiana; er war auf der dortigen Anlage gerade 36 Mal binnen 30 Minuten über fünf Meter geflogen - und bat jetzt flehentlich darum, den Wettstreit um weitere drei Minuten zu verlängern. Aber Renaud Lavillenie, der in seinem Garten in Clermont-Ferrand ebenfalls 36 Versuche über dieselbe Höhe gemeistert hatte, hielt nichts von einem Stechen: Er wähnte sich am Ende seiner Kräfte. Die Jury, die digital zugeschaltet war, beendete schließlich die Feilscherei, sie erklärte beide zu Siegern. Spätestens da war klar, was Duplantis gemeint hatte, als er vor diesem Gartenduell gesagt hatte: "Ich bin jemand, der den Wettkampf braucht. Ich habe das so vermisst." Lavillenie befand gar: "Es ist verrückt, aber ich habe heute in meinem Garten das gleiche Gefühl gehabt wie bei einer großen Meisterschaft."

Das traditionelle Wettkampfgeschehen liegt weiter still, aber das hindert nicht mal die oft als antiquiert verschrieene Leichtathletik daran, ein wenig neumodischen Live-Sport aufzuführen. Am späten Sonntag brachte sie drei der weltbesten Stabhochspringer zusammen: Duplantis, der für Schweden startet und in den USA lebt, Lavillenie sowie den Amerikaner Sam Kendricks, den Weltmeister von 2019. Jeder versuchte parallel auf seiner heimischen Trainingsanlage, sich binnen einer halben Stunde so oft wie möglich über fünf Meter zu heben, das Ganze wurde in einem Live-Stream zusammengekoppelt, die Idee hatten die Athleten selbst gehabt. Es war alles etwas improvisiert und nur begrenzt aussagekräftig, schon allein weil Wetter und Anlagen schwer vergleichbar waren. Aber es hatte wohl auch deshalb Charme. Nebenbei erhaschte man einen Blick in die Hinterhöfe der Springer, auf Kendricks sehr professionelle Anlage in Oxford, Mississippi vor sehr dichter Bewaldung, auf die Kinderschaukeln neben Lavillenies Matte und die Pflanzen, die neben Duplantis Anlaufspur sprießen. Wer auch immer in ein paar Jahrhunderten auf dieses Videomaterial stößt, fragt sich vermutlich, was der Weltsport im Jahr 2020 im Urwald suchte.

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Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, bedankte sich in einer digitalen Grußbotschaft bei den Athleten jedenfalls artig für die, wie er fand, "brillante Idee" - und dafür, "dass ihr etwas Sport in unser Leben zurückbringt". Man entwerfe gerade auch weitere, ähnliche Formate, teilte sein Weltverband später mit, auch wenn das zumindest im Mehrkampf oder Hammerwurf einige recht innovative Ansätze erfordern würde - in jedem Fall ein paar sehr große Gärten.

Digitale Duelle können echten Sport kaum ersetzen - aber sie bringen etwas Struktur zurück

Aber die damit verknüpfte Frage ist gerade ja schon eine drängende: Wie schafft es der Sport aus der Isolation zurück ins öffentliche Bewusstsein? Und vielleicht sogar zurück ins Wettkampfleben? Viele experimentieren derzeit mit kontaktlosen Wettbewerben: die Formel 1 zum Beispiel im Simulator, und die Radprofis holen auf der Rolle sogar Rundfahrten und Frühjahrsklassiker nach. In Höhr-Grenzhausen in Rheinland-Pfalz ging am Montagabend eines der weltweit ersten Geisterturniere im Tennis zu Ende, spanische, britsche und amerikanische Medien berichten. Der Ozeanische Gewichtheberverband (OWF) plant für Ende Juli einen "Internationalen E-Mail-Cup", die Teilnehmer sollen dabei in Eigenregie stemmen und die Daten dann per Mail einreichen. An der Integrität dieses Formats hat aber selbst OWF-Präsident Paul Coffa leichte Zweifel, er sagte zuletzt: "Wir müssen darauf vertrauen, dass das, was eingereicht wird, korrekt ist."

All das zeigt schon, dass digital gestützte Duelle den echten Sport kaum ersetzen können. Sie sind bestenfalls ein Ziel, das etwas Struktur in den leer geräumten Sportleralltag speist; eine Hilfe, sich an Wettkämpfe heranzutasten, die im olympischen Sport wohl frühestens im Herbst wieder anlaufen. Wie kompliziert der Wiedereintritt in den Alltag ist, deutet auch ein Positionspapier an, das der Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) jetzt freischaltete: Die Verfasser skizzieren darin mit fast schon rührender Sorgfalt, wie Vereins- und Spitzensport demnächst wieder stattfinden könnten: Training nur in Gruppen von maximal fünf Athleten und mit Sicherheitsabstand, Desinfizierung von gemeinsam genutzten Geräten, Corona-Fragebögen, dringende Maskenempfehlung - Letzteres immerhin nur für die Trainer.

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Mäßige Freude in der Ausdauerszene

Echte Wettkämpfe in technischen Disziplinen, folgert der DLV, könnte man vor diesem Hintergrund noch am leichtesten in naher Zukunft veranstalten. Bei Sprints würde man jede zweite Bahn freilassen. Längere Lauf-, Geher- und Staffelrennen, bei denen sich Athleten nahekommen, seien dagegen kaum denkbar - oder nur unter der Voraussetzung, "dass über entsprechende zeitnahe Gesundheitsnachweise (z.B. Corona-Schnelltest, Fiebermessung) alle teilnehmenden Sportler gesund sind". Aber ob das im Sport zeitnah möglich sein wird? Man ziele jedenfalls weiter "auf die Realisierung einer späten nationalen Wettkampfsaison", so der Verband. Die Kugelstoßerin Christina Schwanitz hatte zuletzt in der ARD gefordert, die Saison 2020 lieber gleich ganz abzubrechen - schon allein, weil die Trainingsbedingungen in vielen Bundesländern unterschiedlich sind.

In der Ausdauerszene stößt das Konzept aus anderem Grund auf mäßige Freude: Es wäre "für den Bereich Lauf der Knockout für baldige kleinere Wettkämpfe", sagt Kurt Ring, der Trainer der seit Jahren erfolgreichen Laufszene in Regensburg. Er findet, man solle vielmehr "den Traditionalismus in unserer Sportart etwas beiseitelegen", dann seien Lauf-Formate schon jetzt möglich: 800 Meter als Verfolgungsrennen wie im Bahnradsport etwa, oder Langstreckenläufe mit zeitversetzten Starts wie im Biathlon. Und wer einen anderen überholen möchte, der müsse dabei halt ein wenig Abstand halten. Offizielle Rekorde ließen sich so nicht erschaffen, aber gerade gehe es ja mehr um innovative Lösungen, findet Ring. Die Stabhochspringer im Garten haben zumindest mal etwas vorgemacht.

© SZ vom 05.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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