Süddeutsche Zeitung

Olympische Winterspiele:Will niemand mehr Winter-Olympia?

Nach Vancouvers Aus legt der Favorit Sapporo seine Bewerbung für 2030 auf Eis - wegen des großen Skandals rund um die Sommerspiele von Tokio. Das IOC ist alarmiert.

Von Thomas Hahn, Tokio

Über Weihnachten ist Schnee angesagt in Sapporo. Der Winter hält demnach, was er verspricht in der Millionenstadt auf der japanischen Nordinsel Hokkaido, wie immer. So sehr hat der Klimawandel das Wetter dann doch noch nicht durcheinandergebracht, als dass man sich nicht auf den kalten Wind aus Sibirien verlassen könnte, der in der dunkleren Jahreszeit über das nördliche Japanische Meer fegt, Feuchtigkeit aufnimmt, gegen die Berge Hokkaidos prallt und sich dort in ergiebigen Schneefällen entlädt. Daran ändert sich so schnell wohl auch nichts. Die University of Waterloo in Kanada hat vergangenen Januar eine Studie veröffentlicht, wonach Sapporo, Gastgeber der Winterspiele 1972, am Ende dieses Jahrhunderts von allen Ex-Olympia-Städten die einzige sein werde, deren Kältebedingungen noch für Winterspiele zu gebrauchen sind.

Den japanischen Standort sollte das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf jeden Fall in Ehren halten, wenn ihm seine Winterspiele lieb sind. Ob das klappt? Gerade ist das fraglich.

Am Dienstag hat Sapporos Bürgermeister Katsuhiro Akimoto nämlich verkündet, die Bewerbung seiner Stadt für 2030 sei vorerst auf Eis gelegt. "Wir müssen zunächst das Unbehagen der Öffentlichkeit zerstreuen und dürfen nicht blindlings und ohne Rücksicht auf das aktuelle Erscheinungsbild vorpreschen", sagte er. Es kann demnach sein, dass die anhaltende Vertrauenskrise des Spiele-Zirkels bald den nächsten kompetenten Bewerber von der Bühne pustet. Denn der Hintergrund für Sapporos neue Zurückhaltung sind die Nachwehen des jüngsten japanischen Spiele-Abenteuers.

Eine Verhaftung, drei Razzien - und der Verdacht, dass bei der Vergabe manipuliert wurde

Bestechungsvorwürfe umwehen das mittlerweile aufgelöste Organisationskomitee der Tokio-Spiele (Tocog). Ex-Vorstandsmitglied Haruyuki Takahashi, ein einflussreicher Sportvermarkter, und andere Geschäftsleute wurden verhaftet. Im Zuge des Skandals kam auch der Verdacht auf, es könnte zu Manipulationen bei den Bewerbungen um Olympia 2020 gekommen sein. Es gab Razzien bei drei Marketing-Agenturen, unter anderem beim Branchen-Riesen Dentsu, einem langjährigen IOC-Partner.

Die Tokio-Spiele waren ohnehin nicht die beliebteste Veranstaltung in Japans Geschichte. Trotz Corona-Welle wurden sie im Sommer 2021 durchgezogen. Zuschauer waren nicht zugelassen, Auslandstouristen sowieso nicht. Es gab viele japanische Medaillen, der Virusschutz funktionierte, die Organisatoren waren zufrieden. Aber jetzt sind die meisten Sportstätten in Tokio abgebaut - und übrig geblieben ist vom Fest nicht viel mehr als dieser Skandal, der Sapporos Vorhaben belastet.

So bescheiden ist die Olympia-Stimmung in Japan, dass nicht einmal mehr die Politikprominenz zweckoptimistisch ist. "Wenn man die Reihe von Problemen im Zusammenhang mit den Spielen in Tokio betrachtet, wird es schwierig sein, ein Momentum aufzubauen", sagte zuletzt Hokkaidos Gouverneur Naomichi Suzuki. Die frühere Olympia-Ministerin und Ex-Tocog-Chefin Seiko Hashimoto erklärte ihre Bedenken sogar mit der Feststellung: "Bedeutung und Wert der Spiele in Tokio sind in Frage gestellt."

Dazu kommt, dass das IOC gerade selbst nicht so richtig weiter weiß mit seinen Winterspielen. Die Entscheidung über den Olympia-Gastgeber 2030 sollte eigentlich im September 2023 fallen. Aber sie wurde auf einen noch unbestimmten Termin im Jahr 2024 vertagt. Forschungsergebnisse über den fortschreitenden Klimawandel haben das IOC offensichtlich aufgeschreckt. Zumindest verwies Christophe Dubi, geschäftsführender Direktor der Olympischen Spiele, auf einer Pressekonferenz am 6. Dezember auf Studien, nach denen die Gefahr bestehe, dass es bald weniger Orte mit garantiertem Winterspiele-Wetter gebe. Deshalb habe das IOC seiner Winterspiel-Kommission mehr Zeit geben wollen, das Problem zu studieren.

Jetzt bleibt nur noch Salt Lake City, aber die Amerikaner sind eigentlich eher auf 2034 aus

Dass es dazu mehr Zeit braucht, ist ein bisschen überraschend. Neu ist der Klimawandel ja nicht. Aber vielleicht hat der Aufschub auch mit der unübersehbaren Bewerber-Krise des IOC zu tun. Erst im Oktober ging der Bewerbung aus Vancouver die Luft aus, weil sie der Regierung von British Columbia zu teuer war. Neben Sapporo war danach nur noch Salt Lake City im Rennen, wobei die Amerikaner wegen Sommer-Olympia 2028 in Los Angeles lieber 2034 dran wären. Und nun steht also Favorit Sapporo auf der Kippe. Beginnt allmählich das Ende der Olympischen Winterspiele?

Bürgermeister Akimoto legt Wert auf die Feststellung, dass Sapporos Bewerbung nicht tot sei. Es gehe nur um eine Neuausrichtung, um nach den Tokio-Enthüllungen die Bedenken zu zerstreuen. Man wolle strenge Anti-Korruptions-Maßnahmen auflegen, sagte Akimoto am Dienstag: "Wir werden unseren operativen Plan überarbeiten und veröffentlichen und dabei den Willen der Öffentlichkeit bestätigen." Im Frühling soll das neue Spiele-Konzept fertig sein. Danach ist eine nationale Umfrage geplant, um festzustellen, ob die Japanerinnen und Japaner für oder gegen Olympia in Sapporo sind. Wenn die Spiele-Kritiker dann gewinnen, verliert das IOC bis auf Weiteres seinen schneesichersten Olympia-Bewerber.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5720013
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/aum/sjo/cch
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.