Süddeutsche Zeitung

Olympia:Wenn schon kein Protest, dann richtig

Laut einer IOC-Umfrage sollten Athleten bei Olympia auf politische Protestnoten verzichten. Das kann man so sehen - aber dann müssen die Regeln wirklich für alle gelten.

Kommentar von Johannes Knuth

Mit den Bemühungen des organisierten Sports, sich selbst zu durchleuchten, könnte man längst das kriselnde Genre der TV-Abendunterhaltung retten. Ein steter Quell der Heiterkeit: das Internationale Olympische Komitee (IOC). Was haben dessen Kommissionen, Vertreter und Zuträger nicht schon alles, tja, erforscht? Ein Klassiker ist die These, dass Olympische Spiele ein Segen für Städte und Volkswirtschaften seien (während gigantische Kosten gerne in separaten Budgets geparkt werden, aber: psssst!). Auch nicht schlecht: Ohne Olympia hätte München vielleicht bis heute keine U-Bahn; ein Märchen, das der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach mal höchstpersönlich bemühte. Zur Not fände sich im Sport bestimmt auch eine Kommission, die ermitteln würde, dass man einen Marathon im Marianengraben laufen könnte, elf Kilometer unterhalb des Meeresspiegels.

Man darf also die Stirn runzeln, wenn das IOC - Pardon, eine völlig autark operierende Athletenkommission - jetzt eine Feldforschung vorstellt, die zufällig das zementiert, was im Olymp schon immer gepredigt wurde: Die Arena und alle benachbarten Flächen haben - demnächst in Tokio und überhaupt - politisch neutral zu bleiben, sprich: keine Protestbotschaften, kein Handzeichen, weder auf den Podien noch in den Arenen oder bei offiziellen Zeremonien. Der Wunsch nach mehr Demonstrationsrecht war zuletzt wieder aufgekeimt, viele amerikanische Athleten hatten in der Heimat gegen Polizeigewalt und Rassismus protestiert, auch auf deutschen Spielfeldern wurden explizite Botschaften auf T-Shirts gepinselt und gekniet. Obwohl die Richtlinien das verbieten.

Die Ergebnisse der IOC-Studie sind nun recht klar, auf den ersten Blick zumindest: Athleten sollten sich rund um die olympischen Wettstreite gerne zu allem äußern dürfen, in Interviews und Pressekonferenzen etwa. Podium, Spielfeld und offizielle Zeremonien sollen aber protestfreie Zone bleiben, so sahen das rund zwei Drittel von 3500 befragten Athleten aus 185 Nationalen Olympischen Komitees. Man würde es aber begrüßen, heißt es in der Studie, dass Athleten Gegenstände mit generellen Botschaften tragen dürfen, wie "Frieden", "Respekt" oder "Solidarität". Oder dass man im olympischen Eid eine Botschaft gegen Diskriminierung einwebt.

Sportlern vorschreiben, wie sie ihre Meinung zu sagen haben? Das sei das Gegenteil von Meinungsfreiheit, finden Athletenvertreter

Kurzum: Alles wie gehabt, bis auf ein paar Armbänder mit unverfänglichen Schlagworten. Aber nicht nur deshalb ist der Vorgang interessant - und entlarvend.

Schon ein paar Details im Zahlendickicht der Studie sind interessant: Die stärkste Rücklaufquote kam aus China (14 Prozent), von jenen Athleten also, die sich - völlig überraschend? - kritisch gegen jede Form von politischen Äußerungen aussprachen. Die Athletenvereinigung Global Athlete teilte prompt mit, dass von ihr befragte Sozialwissenschaftler die Methodik als "mängelbehaftet" erachteten, allerdings ohne Details zu nennen. Es ergäbe jedenfalls keinen Sinn, so die Vereinigung, Sportler demokratische Verse aufsagen zu lassen und ihnen zugleich zu diktieren, wie sie das zu tun hätten - das sei "das Gegenteil von Meinungsfreiheit". Auch die Vertretung Athleten Deutschland, die in der IOC-Studie zu Wort gekommen war, reagierte enttäuscht: Man respektiere die Bekundungen einer Mehrheit; auch von den befragten Athleten aus Deutschland und den USA sprachen sich ja bestenfalls ein Drittel für Proteste in den Arenen aus. Aber: Auch eine Minderheit müsse sich "jederzeit" zu den Werten einer demokratischen Gesellschaft bekennen dürfen, wie der Bekämpfung von Rassismus. Wer sich aus der deutschen Delegation in Tokio dazu entschlösse, dem werde man Rechtsbeistand anbieten.

Man kann es natürlich auch so sehen: Dass eine Minderheit den Wunsch einer Mehrheit zu respektieren hat. Oder dass ein privates Unternehmen bestimmte Flächen zur politikfreien Zone ausrufen darf. Nur: Wenn sich das IOC unbedingt an seine Verbotspolitik klammern will, dann bitteschön konsequent. Dann dürfen auch die Spiele-Macher nicht mehr in den heiligen Arenen politisieren, wie es ihnen gerade passt. Im olympischen Eishockeyturnier 2018 in Südkorea etwa, da schickten die Gastgeber ein hastig zusammengewürfeltes Frauenteam aus Nord- und Südkorea aufs Feld, Athletinnen, die jahrelang für das Turnier trainiert hatten, wurden zu Statisten für eine politische Friedensmission. Auf der Tribüne applaudierten Südkoreas Präsident, die Schwester des nordkoreanischen Diktators und ein bizarres Cheerleader-Ensemble. Das IOC war entzückt.

Was wohl eine Mehrheit der Athleten davon hält? Man müsste sie mal fragen.

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