Olympische Spiele:IOC ist die Braut, der keiner traut

IOC-Präsident Thomas Bach in Südkorea

IOC-Präsident Thomas Bach schlägt während eines Südkorea-Besuchs in Taekwondo-Kluft ein Brett kaputt.

(Foto: Lee Yun-Seung/dpa)
  • Am Dienstag entscheidet das Internationale Olympische Komitee über die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028, Los Angeles und Paris sind die einzig verbliebenen Bewerber.
  • Das IOC hält die Doppelvergabe für "gerechter", aber sie soll nur kaschieren, dass damit die Debatte um Olympias rasanten Attraktivitätsschwund für einige Jahre gestoppt werden soll.
  • Hinter der Hochglanzkulisse sieht es so aus: Strafbehörden ermitteln zu zwei Städtevergaben, schwer wiegt der Korruptionsverdacht gegen Rio 2016 und Tokio 2020.

Von Thomas Kistner, Paris

Hektische Betriebsamkeit in Lausanne. Am Sitz der Bewegung entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag über die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028. Aber das ist nur Formsache, die breite Zustimmung ist ein Selbstläufer im Dachgremium des Sports, dessen Spitzenleute traditionell Resultate schaffen, die man sonst nur aus totalitären Staaten kennt.

Der viertägige IOC-Konvent in Lausanne ist ein kosmetischer Großeingriff. Die ramponierte olympische Bewegung versucht sich als das darzustellen, was sie bis vor zehn Jahren war: eine begehrte Braut, um deren Gunst die halbe Welt buhlt. Doch das ist längst vorbei. Eine desaströse Anti-Doping-Politik, der galoppierende Gigantismus und eine in Fifa'sche Sphären reichende Skandaldichte haben für eine Abkehr der westlichen Welt von der Ringe-Industrie gesorgt. Wie dramatisch der Bedeutungsverlust ist, offenbart ein kleiner Zirkelschluss in Fernost: Pyeongchang (Südkorea), Tokio (Japan) und Peking (China) richten die nächsten drei Spiele aus - keine zwei Flugstunden voneinander entfernt. Es wird bis ins Jahr 2022 schwer fallen, bei Olympia den kulturellen Reichtum der Globalgesellschaft aufzufächern.

Der Prozess des Niedergangs hat auch das Rennen um die Spiele 2024, die eigentlich allein zur Vergabe anstünden, massiv geprägt. Ein Bewerber nach dem anderen hat sich verabschiedet. So blieben nur Paris und Los Angeles (welches seinerseits zweite Wahl ist für Boston, das wieder absprang). Die Liste der Aussteiger für 2024 ergänzen Hamburg, Rom und Budapest.

Erdrückende Beweislast

Angesichts der letzten zwei Mohikaner hat das IOC reagiert und die Not zur Chance gemacht. Indem es keck behauptet, es ginge bei Olympia nun um eine tiefere Gerechtigkeit. Das soll kaschieren, dass mit der Doppelvergabe die Debatte um Olympias rasanten Attraktivitätsschwund für einige Jahre gestoppt werden soll. Nach den dreifachen Asien-Games muss die westliche Hemisphäre dringend wieder her; hier sind die meisten TV-Sender und Sponsoren, hier wurzeln die meisten Sportarten. Die abgetakelte Braut Olympia stellt sich also wieder ins Fenster und nimmt in dieser Woche, protokollarisch korrekt, die Honneurs der verbliebenen Bewerberländer entgegen. Etwa beim für Montag geplanten Dinner von Frankreichs neuem Staatschef Emmanuel Macron mit Olympias altem Strippenzieher Thomas Bach.

Während in Lausanne also ein Bewerbungsprozess simuliert wird, obwohl unter der Hand sogar die Reihenfolge (Paris 2024, Los Angeles 2028) schon geregelt erscheint, bescheren dem IOC seine früheren, realen Bewerbungen sehr viel Ärger. Hinter der Hochglanzkulisse sieht es so aus: Strafbehörden ermitteln zu zwei Städtevergaben, schwer wiegt der Korruptionsverdacht. Ausgerechnet Macrons Frankreich spielt dabei eine Schlüsselrolle: Die Ende 2013 kreierte Sonderstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF) hat sowohl die vergangenen wie die nächsten Sommerspiele im Visier, Rio 2016 und Tokio 2020.

Die Beweislast wirkt in beiden Fällen erdrückend - wozu passt, dass die Qualität der Kooperation mit den betroffenen Ländern äußerst unterschiedlich ist. Die Brasilianer haben die Party hinter sich und suchen nun nach Beweismitteln gegen so ziemlich alle politischen Köpfe, die ihnen dieses Milliarden-Desaster eingebrockt haben; sie arbeiten den französischen Kollegen bereitwillig zu. Hingegen werden Japans Ermittler von Kennern der Vorgänge als sehr zurückhaltend beschrieben. Zugleich soll Tokio an Akten aus dem Rio-Verfahren interessiert sein, diese wollen die Franzosen nach SZ-Informationen aber nicht herausrücken. Die Bande des künftigen Spiele-Ausrichters mit dem IOC sind naturgemäß eng; man hat ein gemeinsames Ziel. Und generell darf vermutet werden, dass alle Beteiligten gerne wüssten, was noch alles auf sie zukommen kann.

Auch die US-Behörden verfolgen die laufenden Ermittlungen genau

Beide Verdachtsfälle verraten dasselbe Muster. Kurz vor den Vergaben an Rio im Jahr 2009 bzw. Tokio anno 2013 gab es millionenschwere Geldbewegungen von Konten, die jeweils dem engen Bewerberumfeld zuzuordnen sind. Empfänger waren Firmen des Sohnes des damals mächtigsten Afrika-Funktionärs, Lamine Diack. Der Senegalese präsidierte zugleich dem Leichtathletik-Weltverband IAAF. Als 2015 aufflog, dass sein Sohn Dopingfälle gegen Geld vertuscht haben soll, schritt die Staatsgewalt ein; seither steht Diack, 84, in Frankreich unter Hausarrest. Seinen umtriebigen Filius sucht Interpol per Haftbefehl; er dürfte den Senegal nicht verlassen.

Tokios Bewerber hatten an Diacks Firma Black Tidings zwei Millionen Dollar gezahlt, angeblich für Beratungsdienste. Was nicht nur aus dem Raster der Geschäftsaktivitäten Diacks und seiner Agentur fiele, sondern auch die spannende Frage aufwirft: Warum ging die erste Tranche erst drei Wochen vor der Kür ein? Die Bewerber können nicht weiterhelfen, sie stufen ihren Beratervertrag als so vertraulich ein, dass sie ihn nicht offenlegen wollen. Auch deshalb sind die Strafermittler überzeugt, Diack habe mit dem Geld Allianzen der afrikanischen Wahlleute im IOC organisiert.

Verdächtige Kontobewegungen

Ähnlich klar erscheint die Sache in Rio. Dort hatte der Geschäftsmann Arthur Soares, der mit seinen Firmen den Dienstleistungsbereich der Spiele-Stadt beherrschte, zwei Millionen Dollar an Diack Junior überwiesen - nur drei Tage vor der Kür. Gekauft wurden damit unter anderem Uhren und Schmuck. Äußerst pikant erscheint zudem ein Geldtransfer am Tag der Rio-Kür von Diack an eine Firma des Ex-Sprinters Frankie Fredericks. Der Namibier ist seit 2012 IOC-Mitglied, er leitete bis März 2017 die Evaluierungskommission für die Spiele 2024. Fredericks weist jeden Verdacht von sich, die Zahlung sei vielmehr ohne Bezug zum Wahltag erfolgt.

In Paris heißt es, die Ermittler wollten nun auch ins IOC hinein leuchten. Es dürfte nicht nur um Fragen der edlen Körperkultur unterm Eiffelturm gehen, die Bach und Macron Montagabend beschäftigen.

Und dann sind da im Hintergrund noch die Amerikaner. Sie sind über die Schritte ihrer französischen und brasilianischen Kollegen stets informiert. Gerade der Verdacht auf gekaufte Rio-Spiele kann bittere Folgen haben, damals stand auch Chicago im Rennen. Die US-Metropole scheiterte in Runde eins. Barack Obama hielt dazu fest: "Wir haben gelernt, dass IOC-Entscheidungen ähnlich wie Entscheide der Fifa sind: ein bisschen frisiert."

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