Zukunft im Modernen Fünfkampf:Mit Tarzan in die neue Zeit

Zukunft im Modernen Fünfkampf: Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Fünfkämpferin hangelt: Die Australierin Olivia Vivian präsentiert als Ninja Warrior vor einem Jahr den neuen Hindernisparcours im Rahmen eines Testwettbewerbs in Ankara.

Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Fünfkämpferin hangelt: Die Australierin Olivia Vivian präsentiert als Ninja Warrior vor einem Jahr den neuen Hindernisparcours im Rahmen eines Testwettbewerbs in Ankara.

(Foto: AP)

Knapp zwei Jahre nach der Farce von Tokio haben die Modernen Fünfkämpfer eine neue Disziplin gefunden. Es ist abermals ein Parcours - nur springen und hangeln die Athleten hier ohne Pferd.

Von Volker Kreisl

Würde man auch Pferde offiziell ehren, so gebührte Saint Boy ein besonderer Lohn. Die Urkunde für seine Verdienste sollte aber nicht im Büro des Minakuchi Riding Clubs, Präfektur Shiga in Japan hängen, oder wo immer er gerade lebt, sondern im Stall. Denn Menschen hatten mit Saint Boys Eingriff in die Sportgeschichte kaum etwas zu tun. Auch eine Sonderportion Möhren lebenslang oder ein Luxussattel aus extra geschmeidigem Leder wären angebracht, zudem regelmäßiges Springen über Hindernisse - wenn er denn möchte.

Saint Boy riss nicht nur Balken nieder, sondern eine ganze Sportart

Saint Boy ist das Pferd, das bei den Olympischen Spielen in Tokio vor zwei Jahren nicht nur im Finale den Dienst verweigerte, nicht nur den einen oder anderen Hindernisbalken niederriss, sondern eine ganze Sportart: den Modernen Fünfkampf in seiner damaligen Form. Einen schlechten Tag hatte er im olympischen Finale erwischt. Doch hinterher hatte Saint Boy, der nervös wirkte und überfordert war, den Menschen, die von Ruhm und Siegen träumen, eine Lehre erteilt.

Reiter können auf ihnen zugelosten fremden Mietpferden nun mal nur bedingt Erfolg haben, weil jederzeit alles passieren kann. In Tokio traf es Annika Schleu, die große Favoritin aus Deutschland, die auf Saint Boy nach vier Verweigerungen vor dem Hindernis ausschied, den möglichen Olympiasieg vergab. Verband und Olympiamacher reagierten auf die weltweit vernichtende Kritik an dieser Farce und beschlossen Ende April: Das Springreiten, die dritte der fünf Disziplinen, wird durch einen Parcours ohne Pferde ersetzt.

Nur, geht das so leicht? Kann man einfach in die Abläufe eines Sports eingreifen, die Statik des Wettkampfs, die Gewohnheiten der Sportler neu definieren? Man will ja weiterhin ernst genommen werden und nicht als beliebige TV-Show beim Zuschauer rüberkommen. Bis zu 50 Vorschläge wurden unterbreitet, nun hat man sich auf den Vorschlag geeinigt, der schon länger in den Köpfen steckte: ein Hindernislauf, entlehnt dem RTL-Format "Ninja Warrior", in dem sich Kämpfer nach Tarzan-Art durch Hindernisstrecken hangeln, am Schluss eine 3,50 Meter hohe Wand hinaufspringen und da oben per Schlag auf einen Buzzer die Zeit stoppen.

Insgesamt ist das für ältere Multisportler gewöhnungsbedürftig, aber auch zukunftsträchtig, denn jüngere Fünfkämpfer könnten sich dafür richtig begeistern. Und schließlich erinnert dieser Hindernispark ja auch etwas ans Springreiten, die Akteure starten ebenfalls in einen Parcours, nur hangeln sie sich halt unter den meisten Hindernissen durch statt drüberzuspringen - und die Pferde bleiben im Stall oder auf der Wiese.

Das Prinzip, fremde Pferde per Los zuzuweisen, hatte versagt

Nach den Spielen in Paris im kommenden Jahr wird der letzte Huf ein olympisches Fünfkampfstadion verlassen, es beginnt die neue Zeit. Und die meisten ambitionierten Pentathleten werden erleichtert sein. Denn was Annika Schleu in Tokio passiert war, kommt durchaus häufiger vor, nur passiert es nicht auf der größtmöglichen Bühne.

Saint Boy, von einer anderen Reiterin davor unsensibel behandelt, schien in Panik zu geraten. Und Schleu durchlitt in Tokio den Absturz von einer Fast-Olympiasiegerin zu einer scheinbar versagenden Sportlerin. Ihr großer Vorsprung im Gesamtklassement wirkte zunächst beruhigend, zog am Ende aber nur Schleus Albtraum in die Länge. Besonders perfide wirkte das Spannungsmoment, dass sich aus der permanenten Frage ergab, ob Saint Boy vor dem nächsten Sprung verweigerte oder nicht. Weil Schleu in ihrer Verzweiflung vermehrt von der Gerte Gebrauch machte und ihre Trainerin Kim Raisner sie vor Live-Mikrofonen dazu aufforderte, war sie in den sozialen Medien zunächst vor großem Publikum die Buhfrau der Spiele.

Ironischerweise war dieser dramatische Ablauf genau das, was diesem einst aus dem Militärischen abgeleiteten, heute etwas künstlich wirkenden Mehrkampf vielleicht doch noch eine Zukunft ermöglichte. Das Prinzip, fremde Pferde per Los zuzuweisen, war endgültig entblößt. Und nach der ersten Aufarbeitung machten die Fünfkampf-Strategen das, was sie schon immer gut beherrschten: Sie erfanden sich neu.

Dieser Sport hat kaum Zuschauer - und wird daher ständig hinterfragt

Von jenem Pentathlon, den Olympia-Initiator Pierre de Coubertin 1912 bei den Sommerspielen eingeführt hatte, ist ja nicht mehr viel übrig. Die Fünfkämpfer stehen schon lange unter dem Druck ständiger Optimierung, es ist fast eine Art übergeordnete Disziplin. "Der Moderne Fünfkampf ist ein sehr veränderungsfreudiger Sport", sagt auch Olaf Kleidon, Präsident des Bayerischen Landesverbands für Modernen Fünfkampf. Weil es relativ wenige Zuschauer gebe, stehe der gesamte Sport dauernd unter Beobachtung: "Es heißt immer: Warum ist der Fünfkampf überhaupt noch olympisch?"

Und so ging es durch alle Disziplinen: Das Schießen wurde vom Kleinkaliber auf Luftpistole umgestellt, weil das relativ schwere KK zusätzliche Formalitäten nach sich zog: eine Waffenbesitzkarte, einen Platz an einem Schießstand, überhaupt eine formelle Einweisung. Die Luftpistole ist für einen Mehrkämpfer einfacher, trotzdem kam Ärger auf, weil die Traditionalisten dies als Frevel empfanden. Dabei wussten diese noch gar nicht, was die Reformer ein paar Jahre später ersannen: den Laser-Run - da wurde nicht nur mit leichterer, sondern ganz ohne Munition geschossen. Und zwar in einer Art Querfeldein-Biathlon auf Gras, statt mit Gewehr auf dem Rücken mit einer Liegepistole, die sich der Läufer schnappt und innerhalb einer festen Zeitspanne möglichst oft per Laserstrahl das Schwarze markiert.

Dieser Sport hat sich also wieder fit für die Zukunft gemacht. Nostalgiker werden noch eine Weile dem Springreiten nachhängen, in kleineren regionalen Turnieren könnte es noch ein wenig praktiziert werden. Doch international gehört die Zukunft des Fünfkampfs dem Hangel-Parcours. Er erfordert ebenfalls technische Fähigkeiten für Bewegung und vor allem Oberarmkräfte, was dem Verlauf eines Fünfkampfs nach dem Schwimmen und Fechten und vor der Laser-Lauf-Kombi eine Wendung geben könnte. Schnell Hangeln kann jeder günstig lernen, und es braucht nichts weiter als die eigene Technik und Muskeln - und keinen Saint Boy mehr, wo auch immer er gerade ist.

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