Olympische Spiele in London:Ärger im East End

Das fast fertiggestellte Londoner Olympiastadion sollte ein Vermächtnis der Spiele 2012 sein - doch daraus wird vermutlich nichts: Nachmieter ist nun der Fußballklub West Ham United. Die Kritik an dieser Entscheidung ist enorm.

Raphael Honigstein

Am Dienstag gab es zur Abwechslung frohe Kunde aus dem Bezirk E14: In Stratford wurde das Velodrom der Bahnradsportler als erste Sportstätte der Olympischen Spiele 2012 fertiggestellt. 56 km sibirisches Kienholz verbaute man in der 111 Millionen Euro teuren Anlage, die von Außen an einen Kartoffelchip erinnert und deswegen im Volksmund als "The Pringle" firmiert.

Construction site of Olympic Stadium in London

Umstrittenes Rund: Das neue Londoner Olympiastadion.

(Foto: dpa)

Ob das neue Olympiastadion bald auch einen netten Spitznamen bekommt, ist unklar. Wie Daniel Levy die Arena im tiefsten Osten der britischen Hauptstadt nennt, kann man sich zwar gut vorstellen, druckbar wäre es aber nicht. Der Geschäftsführer von Tottenham Hotspur ist der große Verlierer im Streit um die Zukunft des Stadions und entsprechend verärgert.

Levys Spurs hatten sich bei der Olympic Park Legacy Company (OPLC), der Olympiagesellschaft, um die Übernahme des 585 Millionen Euro teuren Areals beworben, waren jedoch vor zehn Tagen dem Ligakonkurrenten West Ham United unterlegen. Die einstimme Entscheidung der OPLC für den Klub von Thomas Hitzlsperger muss noch vom Sport-Ministerium und dem Londoner Bürgermeister Boris Johnson bestätigt werden, aber die Hammers sind sich ihrer Sache ziemlich sicher.

Geschäftsführerin Karren Brady fantasierte in der Sun bereits vom ersten Ligaspiel im Sommer 2014 und einem prominenten Gast: "Wir begrüßen heute in unserem ausverkauften Olympiastadion England-Trainer Harry Redknapp, der uns in einem wunderbaren Sommer wieder zu einem WM-Triumph geführt hat. Seine Jungs sind aus Brasilien zurück und haben den Pokal mitgebracht, der die nächsten zwölf Monate in unserem Museum stehen wird."

Bis zu diesen wundervoll-rosigen Zeiten muss West Ham jedoch noch mit viel Opposition rechnen. Die enthusiastischen Reaktion von Lord Coe, dem Vorsitzenden des Organisationskomitees für 2012 ("Ich bin hoch zufrieden mit dieser Wahl, sie konnte nicht anders ausfallen") kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im East End nun zu jener Lösung gekommen ist, die man von Anfang explizit vermeiden wollte. Bei der Präsentation vor dem IOC im Juli 2005 in Singapur war viel vom "olympischen Vermächtnis", aber nicht von einem Fußballklub als Nachmieter die Rede gewesen.

Geplant war, das 80.000 Zuschauer fassende Rund nach den Spielen zu einer reinen Leichtathletik-Arena für 25.000 Besucher umzubauen. Als im Zuge der Finanzkrise noch einmal nachgerechnet wurde, war allerdings schnell klar, dass dieses Vermächtnis die öffentliche Hand sehr teuer zu stehen kommen würde.

And the winner is: West Ham

Levy bewarb sich mit einer radikalen Idee. Tottenham wollte das Olympiastadion abreißen und durch eine neue, 300 Millionen Euro teure Fußballarena ohne Laufbahn ersetzen; zum Ausgleich wollte man das alte Crystal-Palace-Leichtathletik-Stadion im Süden der Stadt modernisieren. Zahlreiche Spurs-Fans wetterten gegen den Umzug von der White Hart Lane ins 16 Kilometer entfernte Stratford, für die OPLC war aber wohl eher die Symbolkraft ausschlaggebend.

Construction site of Olympic Stadium in London

Fußballstadion mit Laufbahn - niemals, wenn es nach Spurs-Trainer Harry Redknapp geht.

(Foto: dpa)

Wenige Wochen nach dem Ende der Spiele wären an der Marshgate Lane die Bulldozer angerückt; "ein mit Steuergeldern finanziertes, 500 Millionen Pfund teures Stadion gleich wieder abzureißen käme einem unternehmerischen Verbrechen gleich", polemisierte Karren Brady.

West Ham bekam den Zuschlag, weil die einst mit dem Vetrieb von Siebziger-Jahre-Sexheftchen reich gewordenen Eigentümer David Sullivan und David Gold den Erhalt der Laufbahn zusicherten. Das Stadion soll nach einem 110 Millionen Euro teuren Umbau 60.000 Zuschauern Platz bieten, die Bahn wird unter entfernbaren Sitzreihen versteckt. "Die Sicht wird nicht schlechter als im Wembley-Stadion sein", verspricht Sullivan, 61. Über die Mietkonditionen machte die OPLC keine Angaben.

Während die Spurs lästern ("Ich würde mir kein Spiel in einem Stadion mit Bahn anschauen - keine Atmosphäre", sagte Trainer Redknapp) und Kritiker bezweifeln, dass United auch in der zweiten Liga im Olympiastadion überleben könnte, hat sich nun ein dritter Klub zu Wort gemeldet.

Die Drittligisten von Leyton Orient, seit 130 Jahren im East End beheimatet, fürchten um ihre Existenz. "Wenn hier um die Ecke ein Gigant wie West Ham einzieht und die Leute mit billigen Tickets in ein riesiges Stadion lockt, müssen wir dicht machen", warnt der Orient-Vorsitzende Barry Hearn: "Wir sind gar nicht konsultiert worden. Wir lassen uns nicht drangsalieren."

Hearn strebt eine gerichtliche Überprüfung des Entscheids an, dabei will der bauernschlaue Box-Promoter in Wahrheit etwas ganz anderes. "Wir hätten gerne", sagt er, "dass man uns das olympische Hockeystadion überlasst."

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