Olympische Spiele:Bloß nicht daran denken

June 28, 2021, Tokyo, Japan - Japanese Olympic Committee (JOC) president Yasuhiro Yamashita speaks at the Foreign Corres

"Die Athleten sollen ihre Träume jagen": Yasuhiro Yamashita, Präsident des Japanischen Olympischen Komitees (JOC) - und Beschwichtiger.

(Foto: Yoshio Tsunoda/imago)

Eigentlich soll Japans Olympia-Mannschaft in diesen Corona-Zeiten für Ablenkung sorgen - doch die Pandemie beschäftigt mehr denn je auch das Team des Gastgebers.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Frage nach dem Wert der Medaillen fand Yasuhiro Yamashita "wundervoll", vielleicht hatte der Präsident des Japanischen Olympischen Komitees (JOC) sogar auf sie gewartet. Bei der Pressekonferenz im Foreign Correspondents Club in Tokio hatte er bis dahin vor allem kritische Erkundigungen zum Thema Spiele in der Pandemie abgewehrt. Jetzt konnte Yamashita, selbst ein Judo-Goldgewinner von 1984, seine präsidiale Milde ausspielen.

30 Goldmedaillen hatte das JOC für seine Tokyo2020-Mannschaft ursprünglich als Ziel ausgegeben. Acht Monate lang habe man herumgerechnet, ehe man sich auf diese Rekordzahl festlegte, erzählte Yamashita. Aber dann? Pandemie. Verschiebung auf Sommer 2021. Erschwertes Training. Kaum Vergleiche mit der Konkurrenz. "Wenn mich jemand fragt, ob es wichtig sei, 30 Goldmedaillen zu gewinnen, will ich klar sagen: nein", sagte Yamashita: "Die Athleten sollen ihre Träume jagen, an sich selbst und ihre Kameraden glauben und die Herausforderung des Wettkampfs annehmen."

Pandemische Spiele als Bekenntnis zum wahren Sportsgeist - so erzählt der Funktionär Yamashita also das olympische Sportfest, das Japans Regierung und das Internationale Olympische Komitee trotz Coronavirus ab 23. Juli 16 Tage lange durchziehen wollen. Er klang dabei so, als sollten Japans Olympia-Starterinnen und Starter ohne Coronavirus nicht ihre Träume jagen, nicht an sich selbst glauben, nicht auch an etwas anderes als an Medaillen denken. Es war ein weiterer missglückter Versuch, die Tokio-Spiele schönzureden.

Es wird nicht besser: Experten auf der ganzen Welt warnen davor, die Mutanten des Coronavirus bei einem Weltsportfest mit Zehntausenden Gästen aus dem In- und Ausland neu aufzuwühlen. Bürgerinnen und Bürger in Tokio haben ihre Ablehnung in Petitionen und Umfragen ausgedrückt. Olympia kommt trotzdem. Sofern nicht neuerdings Rücksichtslosigkeit und plattes Geschäftemachen zu den olympischen Werten zählen, werden Tokios Spiele nicht als Fest des Sportsgeists in Erinnerung bleiben. Sondern als das ultimative Bekenntnis zu den Fernsehverträgen, von denen das IOC und die ihm angegliederte Sportwelt lebt.

Naomi Osaka wird immer wieder auf die großen Fragen der Gegenwart angesprochen

Aus dem Sport sollen die Augenblicke kommen, die von diesem Umstand ablenken. Japans Mannschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit Herz und guten Leistungen soll sie die Gastgeber-Nation mit den unbeliebten Spielen versöhnen. Rund 500 Athletinnen und Athleten werden für Japan starten, viele spannende Charaktere sind darunter. Die Grand-Slam-Gewinnerin Naomi Osaka im Tennis zum Beispiel, die Japans Medien immer wieder auf die großen Fragen der Gegenwart ansprechen, auf Rassismus, auf Corona; möglicherweise hat Osaka auch deshalb zuletzt French Open und Wimbledon nebst den dazugehörigen Pflichtpressekonferenzen ausgelassen.

Golf-Masters-Sieger Hideki Matsuyama ist auch so ein globaler Japan-Profi. Oder der NBA-Basketballer Rui Hachimura. Olympiasieger Kei Uchimura steht für Japans medaillenreiche Turntradition. Die Schwimmerin Rikako Ikee für die bewegendste Comeback-Geschichte: Nach überstandener Leukämie-Behandlung qualifizierte sie sich im Frühjahr für Japans Staffel.

Aber die Pandemie beschäftigt das Team, die Nachrichtenagentur Kyodo hat dazu kürzlich Stimmen gesammelt. Manche wie der zweimalige Judo-Weltmeister Hifumi Abe ("Ich muss mich von Tag eins an konzentrieren") wollen nicht daran denken. Andere denken daran, wollen aber nicht darüber reden. "Es fällt mir schwer, meine Meinung laut zu sagen, weil ich hin und her gerissen bin", sagt die Ringerin Hiroe Minagawa. Wieder andere sind skeptisch. Der Handballer Tatsuki Yoshino sagt: "Ich weiß, dass der Wert von Olympia bis zu einem Punkt gesunken ist, an dem Menschen sagen, das braucht es gar nicht."

Der unbefangene Blick auf den Sport fällt jedenfalls noch schwer. Corona beherrscht die Nachrichtenlage. Behörden und Organisationskomitee Tocog nähern sich dem Punkt, an dem sie zeigen müssen, dass die Spiele wirklich so sicher und sorgenfrei werden, wie Japans Premierminister Yoshihide Suga das ständig sagt. Zwei Positiv-Fälle bei Team Uganda vergangene Woche haben gezeigt, dass Bekenntnisse allein nicht reichen. Einzelne Länder ziehen schon zurück: Der polynesische Inselstaat Samoa hat bestätigt, drei Gewichtheber als Vorsichtsmaßnahme nicht nach Japan reisen zu lassen; bei den Spielen wird Samoa nur von Landsleuten vertreten sein, die nicht in Samoa leben.

Die Infektionszahlen in Tokio steigen. Nachdem zuletzt die Entscheidung getroffen wurde, nach dem Einreisebann für Auslandstouristen wenigstens bis zu 10 000 einheimische Zuschauer in die Olympia-Arenen zu lassen, berichtet die Zeitung Sankei, man wolle neuerdings höchstens 5000 zulassen. Premierminister Suga sprach jetzt wieder von der Option null Zuschauer. Genauso wie Tokios Gouverneurin Yuriko Koike, die am Freitag, dem letzten Werktag des Präfektur-Wahlkampfs, überraschend eine Pressekonferenz gab. Nach einem Krankenhaus-Aufenthalt wegen Erschöpfung hätte sie eigentlich noch zu Hause bleiben sollen.

Verwirrend. Ob die Mächtigen ihr potentielles Superspreader-Event wirklich im Griff haben, bleibt unklar. Dass die Veranstalter daran arbeiten, kann man ihnen aber nicht absprechen. Am Freitag meldete Tocog, die Eröffnungsfeier werde eine halbe Stunde länger dauern. Im Dienste des Infektionsschutzes. Der Einmarsch der Nationen brauche mehr Zeit, weil jeder Sportler Abstand halten soll. Jeweils zwei Meter nach vorne, hinten, rechts und links.

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