Olympische Spiele 2012:Londons unvergessliche Momente

Wasserspringerin Wu Minxia erfährt nach der Siegerehrung, dass ihre Großeltern gestorben sind - bereits vor einem Jahr. Manteo Mitchell beendet die 400 Meter trotz Wadenbeinbruch und der lockere Usain Bolt wird für einen Augenblick ernst. Bei den Olympischen Spielen hat es beeindruckende Siege gegeben, aber auch unvergessliche Momente.

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Wasserspringerin Wu Minxia erfährt nach der Siegerehrung, dass ihre Großeltern gestorben sind - bereits vor einem Jahr. Manteo Mitchell beendet die 400 Meter trotz Wadenbeinbruch und der lockere Usain Bolt wird für einen Augenblick ernst. Bei den Olympischen Spielen hat es beeindruckende Siege gegeben, aber auch unvergessliche Momente.

Unter Schmerzen

Manteo Mitchell wird in der 4x400-m-Staffel nicht mehr dabei sein. Und doch werden ihn die Amerikaner verehren, denn wenn sie im Finale eine Medaille holen, dann ist sie auch dem 25-Jährigen zu verdanken. Manteo Mitchell ist nun ein Paradeexemplar jenes Athletentyps, der fast ausgestorben schien. Des selbstlosen, etwas altmodischen Teamsportlers, der durch eine Wand voll Schmerzen geht, wegen des Rauschens der Kulisse, wegen des Vaterlands, und, ja, auch wegen des Adrenalins.

Max Müller, der deutsche Hockey-Kapitän, hat mit gequetschter Fingerkuppe gespielt, und Philipp Boy, der Turner, hat für sein Team mit gestauchtem Fuß geturnt. Aber das ist nichts gegen Manteo Mitchell, der sagte, er habe auf den letzten 199 Metern geschrien vor Schmerzen, aber keiner hat's gehört im Rauschen der Kulisse. Mitchell hatte in den Tagen zuvor eine Treppenstufe verfehlt und sich dabei unbemerkt das Bein lädiert. Nach 201 Metern hatte er dann ein Knacken gespürt. Die Ärzte diagnostizierten später: Wadenbeinbruch.

vk

Olympics Day 9 - Diving

Quelle: Getty Images

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Was ist der Preis des chinesischen Goldrauschs? Wu Minxia, 26, verließ mit zwölf Jahren ihr Elternhaus, um sich zur Wasserspringerin formen zu lassen, sie wurde dann die erfolgreichste von allen. In London gewann sie Gold im Einzel und im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett, ihre Olympia-Medaillen Nummer fünf und sechs. Sie machte China stolz. Aber, und das ist das Besondere, sie machte China auch nachdenklich.

Ihr Vater, Wu Yuming, hatte der Shanghai Morning Post ein Interview gegeben: Er habe seiner Tochter erst jetzt erzählt, dass ihre geliebten Großeltern gestorben seien, berichtete er. Gestorben waren sie vor über einem Jahr. Aber am Telefon habe er immer gesagt, es sei alles in Ordnung. Nichts sollte Wu Minxia aus dem Konzept bringen auf dem Weg zur Goldmedaille, "deshalb war es nötig, ihr diese Lüge zu erzählen". Der eigenen Tochter? "Wir haben vor langer Zeit akzeptiert, dass sie nicht mehr wirklich zu uns gehört", sagte der Vater, manchmal sehen sie sich ein ganzes Jahr lang nicht vor lauter Training. "Ich wage noch nicht mal davon zu träumen, als Familie glücklich zu sein." Wu Minxia sagte in London: "Ich habe nicht wegen dieser Geschichte geweint. Sondern weil ich so einen perfekten Wettkampf gesprungen bin."

cca

London 2012 - Leichtathletik

Quelle: dpa

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Immer Vierte!?

Die Erkenntnis flog der Stabhochspringerin Silke Spiegelburg zu, als sie fiel. Vier Meter 75, vier verschenkte Jahre, vierter Platz. Sie weinte schon in der Luft, sie landete, sie rief: "Wieder Vierte, warum immer Vierte?!" Vierte bei Olympia zu werden, bedeutet, nichts Reales nach Hause zu tragen, das man bis zum Lebensende in den Händen wenden kann, nicht dabei zusehen zu dürfen, wie mit den Jahren die Farbe aus den Medaillen weicht. "Ich weiß nicht, was ich zerstört hätte, wenn ich auf dem Heimweg nur meine Akkreditierung um den Hals gehabt hätte", sagte der Beachvolleyballer Julius Brink - bevor er Gold gewann. Er kann den Weitspringer Michel Torneus fragen, dem ein Zentimeter zu Bronze fehlte, oder den Sprinter Tyson Gay, der eine Hundertstel zu spät ankam.

Wenn Olympioniken Vierter werden, fühlen sie sich wie ewige Vierte, weil Olympia so selten stattfindet. Der Tennisspieler und Weltranglistenvierte Andy Murray galt als König der ewigen Vierten. Doch dann gewann er das Turnier in London, denn kaum etwas ist für die Ewigkeit. Nur eine Medaille

pps

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Nummer 19

Manchmal sagt der Umgang eines Sportlers mit dem Erfolg mehr über ihn aus als der Erfolg selbst: Michael Phelps (zweiter von links) sollte in wenigen Augenblicken eine Goldmedaille überreicht bekommen. Es war seine 19. Medaille, er damit zum meistdekorierten Athleten in der Olympischen Geschichte geworden. Phelps sagte wenige Sekunden, bevor er mit Conor Dwyan, Ricky Berens und Ryan Lochte auf das Podium stieg: "Sorry Jungs, ich werde bei der Nationalhymne wohl nicht mitsingen können. In meinem Kopf schwirren gerade zu viele Emotionen herum, ich werde kein Wort herausbringen."

Auf Pressekonferenzen gab sich Phelps bescheiden und witzig, auch um seinen Rücktritt nach den Spielen machte er wenig Gedöns: "Ich werde keinen Wettkampf mehr schwimmen", sagte er fast beiläufig, nur seinen Trainer Bob Bowman werde er vielleicht noch einmal herausfordern. Bei Phelps ist es egal, ob der Umgang mit Erfolg oder der Erfolg selbst mehr aussagt, er ist in beiden Kategorien der Beste.

jüsc

Olympics Day 9 - Athletics

Quelle: Getty Images

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Herr Locker wird ernst

Es wurden zahlreiche Fotos gemacht bei diesen Olympischen Spielen, auf denen die Mimik von Sportlern zu erkennen ist. Vor den Wettkämpfen sind die Athleten meist konzentriert, währenddessen angestrengt und danach entweder entzückt oder enttäuscht. Es gibt allerdings auch Bilder von Usain Bolt. Der ist vor seinen Läufen locker, während seiner Läufe locker und danach auch noch locker.

Vor dem 200-Meter-Finale schäkerte er mit einer Helferin. Danach berichtete er: "Ich habe sie gefragt: 'Bist Du nervös?' Dann hat sie gesagt: 'Oh ja!' Darauf ich: 'Warum denn?' Da sagte sie: 'Das ist alles so aufregend!''" Während des Rennens lief er nicht mit voller Kraft, weil er "ein Zwicken im Rücken" gespürt habe und das Rennen nur habe gewinnen wollen. Und danach? Da machte er Späßchen mit Fotografen und Zuschauern.

Es ist diese Lockerheit, die Bolt zu einem noch faszinierenderen Sportler macht. Nur ein Mal, da wurde Bolt ernst bei diesen Spielen: "Schreibt auf, dass ich eine lebende Legende bin, tragt das in Eure Nationen. Ich werde das kontrollieren - und wer das nicht schreibt, mit dem rede ich keinen Ton mehr!" Deshalb nun noch einmal: Bolt ist eine lebende Legende.

jüsc

Saudi Arabia's Wojdan Shaherkani arrives ahead of her women's +78kg elimination round of 32 judo match against Puerto Rico's Melissa Mojica at the London 2012 Olympic Games

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Verhüllte Premiere

82 Sekunden mögen eine kurze Zeitspanne sein in der Geschichte der Welt, deren Alter auf 4,6 Milliarden Jahre geschätzt wird. Aber so, wie der Meteorologe Edward N. Lorenz 1963 bewies, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings sich aufs Wetter auswirken kann, wird in einigen Jahren vielleicht einmal jemand nachweisen, dass der nur 82 Sekunden dauernde Olympiaauftritt der Judoka Wojdan Shaherkani etwas gebracht hat für die muslimischen Frauen in der internationalen Sportwelt.

Um als erste Frau aus Saudi-Arabien bei Olympia kämpfen zu dürfen, musste die 16-Jährige einige Hürden überwinden: die strengen Religionshüter ihres Landes, die den Islam so auslegen, dass Sport von Frauen nicht gelitten ist und Frauen ohne Kopftuch bestraft werden; und die Regelhüter des internationalen Judo-Verbandes, die im Kopftuch eine Gesundheitsgefahr für die Athletin sahen und es verboten. Am Ende kämpfte Shaherkani mit einer Art Haube, die beide Regelhüter zufrieden stellte. Auch andere Musliminnen mit Kopftuch waren in London vertreten. Es ist ein Anfang.

stein

Russian President Vladimir Putin congratulates Russia's Tagir Khaibulaev after winning men's -100kg final judo match at London 2012 Olympic Games

Quelle: REUTERS

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Murren wegen Kasachstan

Für Wladimir Putin ist es wirklich leicht, als Held dazustehen. Immerhin hat er schon einmal mit einem präzisen Gewehrschuss ein TV-Team vor dem Angriff eines Tigers bewahrt und erstaunlich hell glänzende antike Vasen aus dem Meer gefischt. Da war es kein Wunder, dass er just zu dem Moment beim Judo auftauchte, als dort sein Landsmann Tagir Chaibulajew Gold gewann - und die beiden anschließend gemeinsam feierten. Doch viele weitere Möglichkeiten für Goldjubel hat es für Putin in London nicht gegeben. Bis Freitag errang Russland nur 15 Mal Gold, es läuft mit ziemlicher Sicherheit auf das schlechteste Ergebnis seit dem Ende der Sowjetunion hinaus.

Was sie besonders wurmt: Vor allem dank der erstaunlichen Ausbeute von Kasachstan (sechs Siege) könnte erstmals die Situation eintreten, dass Russland weniger Goldmedaillen gewinnt als alle anderen Länder der früheren Sowjetunion zusammen. Bei der nächsten Putinschen Heldentat könnte es sich nun um die Entlassung des Sportministers handeln.

aum

London 2012 - Eröffnungsfeier

Quelle: dpa

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Eine Stadt, eine Feier

Eine Eröffnungsfeier soll ja immer etwas über die Stadt aussagen, in der die Spiele stattfinden. Sydney war voller Symbolismus, in Athen fehlte schon damals das Geld und Peking verschrieb sich dem Gigantismus. London dagegen ist eine bunte Stadt, laut und verrückt, um Gottes Willen nicht perfekt, aber mit einer mitreißenden Geschichte, würdig und dabei stets herrlich selbstironisch.

Dieses Spektakel soll auch stets den Ton vorgeben, wie die Olympischen Spiele denn werden könnte. Der Regisseur Danny Boyle schickte James Bond in Buckingham Palace, um die Queen abzuholen. Er ließ J.K. Rowling aus Peter Pan vorlesen, er schickte Mr. Bean ans Ostinato. Dazwischen feierte er die britische Geschichte, die Popkultur und das Gesundheitssystem. Es war eine Feier wie London - und gab damit eine Vorschau auf Spiele, die so wurden wie London.

jüsc

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Quelle: AFP

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Viele Tests, wenige Fälle

Die Parole von den saubersten Spielen aller Zeiten hatten die Verantwortlichen ausgegeben und 5500 Doping-Tests angekündigt, so viele wie noch nie in der Geschichte. Und tatsächlich, einem Athleten hat das Internationale Olympische Komitee auch in einer Wettkampf-Kontrolle etwas nachweisen können: dem siebtplatzierten amerikanischen Judoka Alex Delpopolo. Doch bei der nachgewiesenen verbotenen Substanz handelte es sich nicht um einen der üblichen Fit- und Stärkermacher, sondern um - Cannabis. Diese Bilanz verdeutlicht, dass der kluge Doper schon weiß, was er tun muss, um sich nicht beim Wettkampf erwischen zu lassen.

Daneben hat es in den vergangenen drei Wochen mehr als zwei Dutzend weitere Dopingfälle gegeben. Meist traf es eher unbekannte Athleten, aber der prominenteste Fall von ihnen - der Epo-Befund beim italienischen Geher und Gold-Kandidaten Alex Schwazer - zeigt nachdrücklich, was im Anti-Doping-Kampf wichtig ist: eine intelligente Fahndung in der Vorbereitung auf den Wettkampf samt sinnvoller Zielkontrolle.

aum

Olympia 2012: Hockey

Quelle: dapd

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Der Videobeweis

Es war ein wunderbarer Treffer, Moritz Fürste rief ihn zum "schönsten in der Geschichte des Hockey" aus: Oskar Deecke bremste im Hockey-Halbfinale einen langen Pass mit dem Schläger in der Luft, jonglierte in vollem Lauf und lupfte die Kugel ins Tor der Australier. Der Treffer zählte nur nicht, die Schiedsrichter erkannten anhand der Aufzeichnung, dass es ein verbotener Hieb über Schulterhöhe war. Also: kein Tor, keine Aufregung, Christopher Zeller sagte: "Der Schläger war eindeutig über der Schulter."

Der Videobeweis wurde in London bei vielen Wettkämpfen angewendet. Sabine Lisicki verlor beim Tennis gegen Maria Scharapowa wichtige Punkte, sagte jedoch, dass die Bälle eben im Aus gewesen wären. Der japanische Boxer Satoshi Shimizu wurde nachträglich zum Sieger erklärt, ein Urteil, das als gerecht goutiert wurde. Wie viele hitzige und unschöne Debatten - während und nach Partien - könnten sich andere Sportarten wie Fußball ersparen, würden sie den Videobeweis einführen? Sepp Blatter war auch in London - allerdings nur beim Fußball.

jüsc

South Korea's Shin reacts after being defeated by Germany's Heidemann during their women's epee individual semifinal fencing competition at the ExCel venue at the London 2012 Olympic Game

Quelle: REUTERS

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Entrissene Siege

Am dritten Tag entstand das erste eindrucksvolle Bild. Südkoreas Degenfechterin Shin A Lam saß auf der Planche und vergoss bittere Tränen. Sie weinte, weil sie ihren Vorsprung gegen Britta Heidemann nicht über die letzte Sekunde gerettet hatte. Schuld daran war ein Zeitmessfehler, es war ein besonderer Fall.

Doch Shin blieb nicht die Einzige, die in London einem Sieg nachweinte, den sie fast errungen hatte. Es gab weitere knappe Entscheidungen, zum Beispiel die im Frauen-Triathlon, wo Nicola Spirig ( Schweiz) und Lisa Norden (Schweden) nach 1:59:48,00 Stunden zugleich durchs Zielband stürzten. Spirig wurde zur Siegerin erklärt. Oder Sara Algotsson, die Vielseitigkeitsreiterin. Die Schwedin ritt einen ganzen Tag lang absolut sattelfest, und sie flüsterte auch vor dem letzten Hindernis ihrem Pferd noch etwas Zärtliches zu, aber das Pferd warf den letzten Balken ab. Immer war es knapp, aber jeder trauerte anders. Algotsson saß danach nicht weinend auf einer Planche, sondern Bier trinkend auf einem Autokühler.

vk

© Süddeutsche.de/sonn
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