Olympische Sommerspiele in London:Kraftmeierei einer Staatsdiktatur

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Die Spiele von 2004 in Athen waren die Spiele der Gleichgültigkeit. Die Bevölkerung hatte größtenteils kein Interesse an der Veranstaltung, und es schien, als hätten auch die Organisatoren den Spielen am Ende die kalte Schulter gezeigt. Rund ums Olympiastadion erstreckte sich eine sandige Ebene, über die der Wind pfiff. Es war wohl nicht mehr genügend Zeit, Rasen zu pflanzen. Staub stand in der Luft, aber das kümmerte niemanden. Noch bevor die Spiele begannen, entwickelte sich eine Farce um die griechischen Sporthelden Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou, die einen Motorrad-Unfall fingierten, um einer Doping-Kontrolle zu entgehen. Von staatlichen Stellen wurden sie zunächst gedeckt. Der olympische Geist hatte sich verflüchtigt, bevor die Eröffnungsfeier begann.

2008 in Peking erlebten die Besucher die Kraftmeierei einer Staatsdiktatur. Zu den skurrilen Höhepunkten dieser Spiele des Bombasts gehörten die Turnwettbewerbe, die von chinesischen Mädchen dominiert wurden, die ganz offensichtlich nicht wie erforderlich 16 Jahre alt waren. Sie hatten an Wettbewerben in der Vergangenheit teilgenommen, und aus den Melde-Unterlagen von damals ging hervor, dass sie während der Spiele erst 13, 14 oder 15 Jahre alt sein konnten. Nun aber gab es neue Unterlagen. Die armen Mädchen saßen mit ihren Goldmedaillen vor der Weltpresse, die sie mit ätzendem Spott überzog. Die Funktionäre saßen daneben und lächelten zufrieden. Der olympische Geist? Hatte sich längst verdünnisiert.

In London könnte es nun so werden, wie es im Jahr 2000 in Sydney war. Die Australier berauschten sich an den Spielen, sie feierten eine sehr große und sehr freundliche Party. Es waren allerdings auch die letzten Spiele vor den Anschlägen des 11. September 2001 in New York, die in punkto Sicherheit alles veränderten. Sydney gab knapp 150 Millionen Euro für Sicherheit aus, ein Bruchteil des Londoner Budgets.

Bei den gewaltigen Londoner Zahlen ist nicht einmal klar, was alles eingerechnet ist. Die Kampfjets vom Typ Eurofighter Typhoon, die den Luftraum kontrollieren? Die im Stadtgebiet platzierten Boden-Luft-Raketen, die dazu da sind, im schlimmsten Fall ein entführtes Passagier-Flugzeug abzuschießen? Die zusätzlichen Soldaten? Und wer bezahlt die 1000 bewaffneten US- Diplomaten und FBI-Agenten und die 55 Hunde-Teams, die in der olympischen Zone patrouillieren? London wird in Teilen einem Hochsicherheitstrakt gleichen. Und doch ist es möglich, dass sich eine freundliche Party entwickelt wie in Sydney.

Es ist ein Klischee, aber es ist wahr: Die Briten sind dazu in der Lage, sehr gelassen vor den Sicherheitschecks Schlange zu stehen. Sie vermögen, das wohl unvermeidliche Verkehrschaos stoisch zu ertragen. Sie werden um die Unannehmlichkeiten, die Olympische Spiele für die Bevölkerung bedeuten, aller Voraussicht nach kein größeres Aufhebens machen und stattdessen das Positive sehen: Die sportinteressierte Welt schaut auf Großbritannien, sie schaut auf London. Vor allen Dingen aber sind die Briten patriotisch.

Sobald das "Team GB" die erste Goldmedaille gewinnt, wird der Funke überspringen. Wie man eine Party feiert, weiß man in London mindestens so gut wie in Sydney. Als Anfang Juni die Queen ihr 60. Thronjubiläum mit einer Schiffsparade auf der Themse beging, säumten rund eine Million Menschen den Fluss, sie waren bei apokalyptischem Regen bester Laune.

Es ist weitgehend unbekannt, dass Großbritannien eine besondere Beziehung zur olympischen Bewegung unterhält. Man könnte sogar sagen, dass die modernen Olympischen Spiele ihren Ursprung auf der Insel haben, in einem kleinen Örtchen in Shropshire namens Much Wenlock, knapp 200 Kilometer nördlich von London. 1850 gründete dort der Lehrer William Penny Brookes "The Olympian Class", die sich der körperlichen und geistigen Ertüchtigung vor allem der Arbeiterklasse widmen wollte. Jährlich gab es in den folgenden Jahren Veranstaltungen, zu denen anfangs auch eher muntere Sportarten gehörten wie Schubkarrenrennen für Zweier-Teams: Einer schob, einer spielte die Schubkarre. 1860 wurde die "Olympian Class" zur "Wenlock Olympian Society", die Olympische Spiele in Wenlock veranstaltete.

Pierre de Coubertin, der als Vater der modernen Spiele gilt, besuchte die Olympian Society im Jahr 1890. Die Arbeit von William Penny Brookes inspirierte ihn dazu, 1894 das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu gründen. Es wurde beschlossen, ab 1896 die antike Tradition der Olympischen Spiele neu zu beleben. Die ersten Spiele der Neuzeit fanden in Athen statt. London war 1908 erstmals olympischer Gastgeber, 1948 zum zweiten Mal. Die Nachkriegs-Spiele von 1948 gingen als "Spiele der Sparsamkeit" in die Geschichte ein.

Unter dem gleichen Motto sollten auch die Spiele von 2012 stehen. Das Budget war bei der Bewerbung mit rund 2,5 Milliarden Pfund angegeben worden, etwas mehr als drei Milliarden Euro. Lächerlich wenig. Nun kosten die dritten Londoner Spiele 9,3 Milliarden Pfund. Offiziell.

Zwei Maskottchen gibt es für die Olympischen und die Paralympischen Spiele 2012, es sind freundlich-groteske Zyklopen, die Mandeville und Wenlock heißen. Wie Wenlock trägt auch Mandeville einen Namen, der in die Sportgeschichte weist: Er ist nach dem Ort Stoke Mandeville benannt, in dem 1948 eine Weltmeisterschaft für behinderte Sportler stattfand, die zur Vorlage für die Paralympischen Spiele wurde. Was die Briten mit dieser Namensgebung sagen wollen: Der olympische und der paralympische Sport kommen 2012 endlich nach Hause.

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