Noch vor einer Woche lagen sie sich bei Olympique Lyon in den Armen: Das für den Klub wichtigste Spiel des Jahres hatten sie für sich entschieden, beim 1:0-Siegtreffer des Klubheiligen Alexandre Lacazette im Rhône-Derby gegen Saint-Étienne brachen im Groupama-Stadion große Emotionen aus.
Ein paar Tage später sind die Lyonnais nun wie erstarrt: Wie die Direction Nationale du Contrôle de Gestion (DNCG), das Finanzkontrollgremium im französischen Fußball, am Freitagabend bekanntgab, erhält der siebenmalige Meister und zweimalige Champions-League-Halbfinalist – Stand jetzt – keine Lizenz für die Ligue 1 und müsste entsprechend in die zweite Liga zwangsabsteigen. Grund ist ein Schuldenberg von mehr als 500 Millionen Euro, die der Hauptanteilseigner, die amerikanische Eagle Football Group, in den vergangenen Jahren angehäuft hat.
Sollte sich die Finanzlage bis zum Juni nicht verbessern, werde der Traditionsklub in die Ligue 2 strafversetzt, ließ die DNCG wissen. Olympique darf laut dem Urteil der Finanzaufsicht während des Winter-Transferfensters keine neuen Spieler verpflichten und muss eine Gehaltsobergrenze einführen. Demnach müssten die jährlichen Lohnkosten von 128 auf 74 Millionen Euro gesenkt werden. Keine exakten Angaben gab es zu dem Betrag, den der Verein insgesamt einsparen muss, und dazu, welche Auswirkungen diese Vorgaben auf die erfolgreiche Frauenfußballsparte haben.
Dass es die Kontrolleure mit ihren Ansagen ernst meinen, haben in den vergangenen Jahren schon andere frühere Erstligisten zu spüren bekommen: Auch FC Le Mans, CS Sedan, FC Sochaux und erst vor einem halben Jahr der sechsmalige französische Meister Girondins Bordeaux wurden aus finanziellen Gründen zwangsrelegiert. Bordeaux musste aus der zweiten sogar bis in die vierte Liga absteigen.
So weit soll es laut Eagle-Football-Chef John Textor mit OL nicht kommen: „Ich sage es der Welt: Wir werden nicht absteigen, das wird nicht passieren“, sagte der Geschäftsmann aus Missouri bei einer Pressekonferenz am Samstag. In deren Verlauf versuchte er, Medienvertretern das finanzielle Konstrukt seiner Holding zu erklären, zu der auch die Klubs Crystal Palace (England), Botafogo (Brasilien) und Molenbeek (Belgien) gehören. Die Ansage der DNCG betrachte er lediglich als „Warnung, dass wir dann absteigen, wenn wir bestimmte Dinge nicht tun und nicht nachhaltig arbeiten“. Das aber gelte doch für alle Profivereine. Abgesehen von einigen Skeptikern erfahre das Geschäftsmodell der Eagle Football Holding weltweit viel positive Resonanz, so Textor weiter. Deshalb halte er es für „ungeschickt“, dass ihm die DNCG nun vorschreibe, wie er sein Geschäft führen solle. Vor allem, dass die Warnung öffentlich ausgesprochen wurde, ärgert den früheren Skateboarder, der einst eine Firma für Spezialeffekte in Hollywood-Blockbustern betrieb und seit 2021 in den Fußball investiert.
Textor könnte seine Crystal-Palace-Anteile zu Geld machen – und den ein oder anderen Spieler
Mit Blick auf das bevorstehende Transferfenster sagte Textor: „Einige Leute werden versuchen, diese Nachrichten auszunutzen.“ Er spielt damit darauf an, dass Klubs in Kenntnis der Notlage der Lyonnais womöglich die Preise drücken könnten. Erster Verkaufskandidat dürfte der französische U21-Nationalspieler Rayan Cherki sein. Das 21 Jahre alte Eigengewächs soll schon im Sommer, als OL bereits unter finanziellem Druck stand, das Interesse von PSG, Borussia Dortmund und Fulham geweckt haben. Aktuell wird er mit dem FC Liverpool in Verbindung gebracht. Neben Textors Crystal-Palace-Anteilen, die etwa 40 Millionen Euro einbringen sollen, müssen womöglich auch der georgische EM-Torschützenkönig Georges Mikautadze, 24, oder der belgische Jungnationalspieler Malick Fofana, 19, zu Geld gemacht werden.
„Wir haben 29 Spieler in der ersten Mannschaft. Idealerweise sollten es 23 oder 24 Spieler sein. Es sind sechs Spieler zu viel“, sagt Investor Textor, der sich jedoch eher von Edelreservisten wie dem früheren langjährigen Stammtorhüter Anthony Lopes trennen wollte. Das Saisonziel, sich nach fünf Jahren endlich wieder für die Champions League zu qualifizieren, könnte trotz Tabellenplatz fünf nach einem Aderlass im Winter schnell aus den Augen verloren werden.