Olympiasiegerinnen Miriam Welte und Kristina Vogel:Gold für die Drittschnellsten

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Miriam Welte und Kristina Vogel profitieren beim Bahnradsprint von den Missgeschicken zweier anderer Teams - und gewinnen Gold. Doch das ist nicht das einzige Kuriosum an diesem turbulenten Abend im Velodrom, an dem auch die deutschen Männer Bronze holen und die Briten einen Weltrekord fahren.

René Hofmann, London

Sie nahmen sich an der Hand, lange bevor sie hinaufgebeten wurden auf das Siegertreppchen. So, als würde es jede für sich vielleicht nicht den kleinen Absatz hinaufschaffen. Der Schritt kam ja auch einigermaßen überraschend.

Miriam Welte und Kristina Vogel haben am Donnerstagabend Gold im Bahnrad-Teamsprint gewonnen, vor China und Australien. Wie das aber zustande kam, das war kurios. Es war sogar die wohl kurioseste Entscheidung, die es an den ersten sechs Tagen in London gegeben hat.

Miriam Welte und Kristina Vogel sind gute Bahnrad-Fahrerinnen. Sie waren als Weltrekordlerinnen angereist. 32,549 Sekunden, so lautete die Marke, die sie am 4. April erst aufgestellt hatten. Dass das Ziffern von gestern waren, wurde jedoch schnell klar. In der ersten Runde, der Qualifikation, waren die Britinnen Victoria Pendleton und Jessica Varnish gleich schneller: 32,526 Sekunden.

Gleich noch einmal "WELT-REKORD"

Im Lauf darauf leuchtete dann gleich noch einmal "WELT-REKORD" an den Anzeigen auf. Die Chinesinnen Jinjie Gong und Shuang Guo hatten ihre Runden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 55,475 km/h hinter sich gebracht, was eine Zeit von 32,447 Sekunden ergab. Großbritannien gegen China - darauf lief das Finale hinaus.

Großbritannien gegen China - so hieß das Finale auch, als die Vorschlussrunde absolviert war, in der nach den Zeiten ermittelt wird, wer um Gold fahren darf und wer um Bronze. Laut Zeitenliste mussten Welte und Vogel im Rennen um Platz drei gegen die Australierinnen ran. Der Olympia-Ticker meldete das schon. Aber da liefen im Innenraum noch hektische Diskussionen zwischen den Aufsehern des Radsport-Weltverbandes und den britischen Trainern. Die Regelhüter glaubten, einen Wechselfehler entdeckt zu haben. Die Briten sahen das anders. Aber die Videobilder waren eindeutig. Die Britinnen wurde disqualifiziert, die Deutschen rückten auf. "Toll, Silber haben wir", dachte Miriam Welte in dem Moment.

Im Finale traf also das schnellste Duo auf das drittschnellste. China gegen Deutschland. Die Kräfteverhältnisse waren an sich eindeutig. Und so verlief der Endlauf dann auch wenig überraschend: Als das Signal ertönte, jagten die beiden Teams los. Welte und Vogel fuhren ein gutes Rennen. Ein harmonisches. Wie Nähmaschinen-Nadeln sausten ihre Beine an ihren schwarzen Rädern auf und ab. Aber die Chinesinnen waren noch ein bisschen harmonischer. Das Muster, das ihre Nähmaschinen-Beine auf die Bahn zauberten, war noch beeindruckender. Sie waren schneller: 32,619 zu 32,798 Sekunden.

Der Abstand klingt allerdings deutlicher, als er war. Die Bahnfahrer sind so schnell unterwegs, dass es mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist, wenn sie einen Fehler machen. Und so dauerte es, bis die Ehrengäste zur Siegerehrung Aufstellung nahmen, bis wieder ein Aufseher der Radsportverbandes den Finger hob und die Reihenfolge für den Einmarsch doch noch einmal geändert werden musste.

Wieder waren die Zeitlupen eindeutig: Die Chinesinnen hatten sich verfahren. Eine von ihnen war zu weit nach unten gekommen, dorthin, wo die braunen Holzplanken auf die hellblau markierte verbotene Zone treffen und die Bahn wie ein sonnenbeschienener Strand aussieht, an den erfrischende Wellen plätschern. China war ins Meer gefahren. Das bedeutete: Gold für Welte und Vogel.

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Drei Medaillen, zwei davon Gold: Schwimmerin Ranomi Kromowidjojo ist die erfolgreichste Athletin aus den Niederlanden. Serena Williams deklassiert ihre Gegnerin Maria Scharapowa im Tennis-Finale und gewinnt zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen in Wimbledon, Triathletin Nicola Spirig siegt im Fotofinish.

Gold-Gewinner

Eine Krönung wegen zwei Bestrafungen. "Das habe ich noch nie erlebt", sagte Miriam Welte, die zugab: "Das ist schon ein bisschen komisch. Das ist nicht der Weg, wie wir gewinnen wollten." Vom Missgeschick der Chinesinnen erfuhr sie zufällig, als sie schon Interviews gab. Auf einen Fingerzeig hin wandte sie sich einem Flachbildschirm zu, auf dem stand: Die Chinessinnen werden zurückgestuft. Daraufhin tippte Welte ihrer Teamkollegin Vogel auf die Schulter. Es war ein bisschen wie beim Stille-Post-Spielen.

weimal bezwungen und doch Olympiasiegerinnen: Miriam Welte (links) und Kristina Vogel. (Foto: AFP)

Oberschenkelumfang von 73 Zentimeter

Die Posse passte zu dem ganzen lauten, turbulenten und heißen Abend, mit dem die Wettkämpfe im Velodrom eröffnet wurden. Auch beim Team-Sprint der Männer ging es drunter und drüber - wozu die deutschen ihren Teil beitrugen. Kurz vor dem ersten Start mussten sie ihr Dreier-Team umstellen. Routinier Stefan Nimke hatte sich beim Aufwärmen einen Lendenwirbel gezerrt. Für den 34-Jährigen sollte Olympia der finale Höhepunkt der Karriere werden. In Tränen verließ er die Halle. Für ihn rückte Robert Förstemann nach.

Den 26-Jährigen, der einen sagenumwobenen Oberschenkelumfang von 73 Zentimeter hat, hatte der Deutsche Olympische Sportbund mit einem Trick ins Aufgebot geschmuggelt. Weil bei den Bahnradfahrern das Kontingent ausgeschöpft war, wurde Förstemann als Mountainbiker nominiert, wo es keinen Olympia-Kandidaten gab. Erlaubt ist das. In der Qualifikations-Runde wackelte das Team noch und brachte lediglich die fünftschnellste Zeit zustande.

Danach aber lief es. Im Rennen um Platz drei waren Förstemann, René Enders und Maximilian Levy schneller als die Australier. Angesichts der Umstände, fand Levy, "müssen wir uns für Bronze nicht schämen".

Nach ihrem Lauf durften die drei dann noch einem Spektakel beiwohnen. Angetrieben von ohrenbetäubendem Lärm, den unter anderem Premierminister David Cameron sowie der Duke und die Duchess of Cambridge, Prinz William und seine Frau Kate, veranstalten, jagten die Briten Philip Hindes, Jason Kenny und Chris Hoy im Finale gegen Australien in Weltrekordzeit (42,600 Sekunden) zu Gold. Kurios aber war das nicht. Es war nur laut.

© SZ vom 03.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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