Olympia:Wundersame Einheit auf Eis

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Der größte Erfolg in der Geschichte des deutschen Eishockeys: die Silbermedaille bei Olympia.

(Foto: imago/Bildbyran)

Fast auch noch Russland im olympischen Finale geschlagen: Bundestrainer Marco Sturm formte in der kleinen Eishockey-Nation Deutschland eine große Mannschaft.

Kommentar von Thomas Hummel

Kurz kam der Gedanke auf: Aus dem Hintergrund müsste Müller schießen, Müller schießt - Tor, Tor, Tor! 3:2 für Deutschland kurz vor Schluss gegen den riesengroßen Favoriten.

Den deutschen Fußballern gelang mit dem Schuss von Helmut Rahn 1954 das Wunder von Bern gegen Ungarn. Die deutschen Eishockey-Spieler brachten es 64 Jahre später nicht über die Zeit. Jonas Müllers 3:2 nur drei Minuten vor dem Ende brachte das Wunder von Gangneung ganz nah. Doch die Russen schlugen noch zurück und holten sich in der Verlängerung die Goldmedaille im Finale der Olympischen Spiele.

Ohne den Wunderkickern von 54 zu nahe zu treten: Hätten die Eishockey-Spieler tatsächlich Gold gewonnen, es wäre sportlich die größere Überraschung gewesen. Dazu muss man sich erinnern, wo diese herkommen: Noch nie hatte ein Nationalteam ein olympisches Finale erreicht. In Sotschi 2014 waren sie gar nicht dabei gewesen, es hatte teilweise zweistellige Niederlagen gesetzt, 2015 hatten 20 Spieler für die WM abgesagt. Kein Bock mehr auf Team Deutschland.

Vor einer Woche war das Qualifikationspiel für die K.-o.-Runde gegen die Schweiz schon eine heikle Aufgabe. Doch sie schafften es. Es folgten Siege gegen Schweden und Kanada. Mannschaften, die Deutschland nur alle Jubeljahre mal besiegt, wenn überhaupt. Nun der aufregende Final-Kampf gegen die eigentlich übermächtigen Russen. Die Deutschen waren im zweiten und dritten Drittel phasenweise die bessere Mannschaft und drängten den großen Gegner nahe an den sportlichen Abgrund. Dorthin wären die Russen gefallen, hätten sie tatsächlich olympisches Gold gegen Deutschland vergeigt. Es war erstaunlich, atemraubend, mitreißend.

Es liegt in der Faszination der Mannschaftssportarten, solche Underdog-Geschichten immer mal wieder möglich zu machen. Ganz nach Aristoteles: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Zumindest kann es mehr sein. Das ganz große Ding kommt selten vor, aber eben doch manchmal: Im Fußball waren es zuletzt Griechenlands EM-Titel 2004 oder Leicester City als englischer Meister 2016. Für eine Mannschaft existiert die kleine Möglichkeit, sich über die B-Note größer zu machen, als sie im Normalfall ist: Über Zusammenhalt, über die Bereitschaft, sich gegenseitig auf dem Feld zu unterstützen und zu helfen. Und über die Psyche.

Womit man bei Marco Sturm angelangt ist. Der 39-jährige Trainer aus Dingolfing ist mit mehr als 1000 Spielen in der Nordamerikanischen Hockey League NHL ein Idol im deutschen Eishockey. Seit drei Jahren ist er Bundestrainer und brachte neben seiner Aura ein paar Erfolgsrezepte mit: akribisches Arbeiten, großen Ehrgeiz, unbedingten Teamgeist. In die Kabine klebte er zudem in Großbuchstaben das Wort "Glaube" an die Wand. Dieser prägte in Südkorea tatsächlich diese Mannschaft. Man wusste bisweilen nicht, ob die Spieler das wirklich ernst meinen, als sie furchtlos ankündigten, auch ganz große Gegner bezwingen zu können. Sie sagten es oft. Und plötzlich funktionierte es auch.

Die Spieler folgten Marco Sturm in seinem Glauben und in seinem Mut, so entstand eine wundersame Einheit auf Eis. Die sich zum größten Erfolg der Nationalmannschaft in der Geschichte rackerte.

Die Hoffnungen, dass die Sportart Eishockey dadurch einen Schub erhält, werden sich spontan aber wohl nicht erfüllen. Dazu ist ein längerer Prozess nötig. Das gilt vor allem für prominente TV-Zeiten und den Gewinn talentierter Jugendlicher. Doch ein Anfang könnte dieses olympische Turnier schon sein. Denn wenn Eishockey dem König Fußball zumindest ein bisschen Aufmerksamkeit streitig machen will, dann geht es ihr wie allen anderen Mannschaftssportarten: Die Nationalmannschaft muss erfolgreich sein oder zumindest regelmäßig Eindrücke im Gedächtnis der Sportnation hinterlassen. Und nicht in der Versenkung verschwinden, wie das teilweise in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Es ist erstaunlich, dass dies viele Klub-Leitungen und Liga-Verbände oft nicht verstehen. Gerade dort müsste man alles tun, um Team Deutschland zu stärken. Letztlich, um der Sportart im Gesamten und damit sich selbst zu helfen.

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