Olympia 2016:Wie verkauft man ein hingepfuschtes Olympiadorf?

Olympia 2016: Die olympischen Zeremonienmeister sind längst wieder weg - die 31 Wohntürme mit je 17 Stockwerken sind noch da.

Die olympischen Zeremonienmeister sind längst wieder weg - die 31 Wohntürme mit je 17 Stockwerken sind noch da.

(Foto: Philippe Perusseau/Allpix/laif)

Eine brasilianische Maklerin versucht tapfer, die angeblichen Luxuswohnungen im ehemaligen Athletendorf von Rio zu verkaufen. Ein Besichtigungstermin offenbart, wie abenteuerlich das Vorhaben ist.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Anfang Dezember haben sie im hohen Rat des Internationalen Olympischen Komitees noch einmal auf das Sportjahr zurückgeblickt. Glaubt man den entsprechenden Verlautbarungen, dann herrschte breiter Konsens, dass es "eine wahrhafte Erfolgsstory" zu erzählen gibt. Nämlich diese: "Im Verlauf von 16 glorreichen Tagen wurden wir Zeugen von neuen Rekorden, persönlichen Bestleistungen, großen Emotionen und inspirierendem Sportsgeist, den nur die Olympischen Spiele erzeugen können." Die Spiele setzten demnach auch "neue Standards für nachhaltige Planung". Es geht tatsächlich um die Spiele von Rio de Janeiro.

Menschen neigen dazu, mit der Zeit das Schlechte zu verdrängen und das Gute zu überhöhen. Und sicherlich kann auch den Göttern des Olymps mal das eine oder andere Detail aus 16 glorreichen Tagen durchrutschen: ein grünes Schwimmbecken, ein russischer Dopingskandal, erstaunlich leere Ränge, von denen die anwesenden Sportsgeister eher uninspirierende Pfeifkonzerte abgaben, solche Kleinigkeiten. Alles in allem war es trotzdem ein schönes Fest. Gut vier Monate danach stellt sich in Rio aber die Frage, was mit den "neuen Standards für nachhaltige Planung" gemeint sein könnte.

Unter dem Fachausdruck "olympisches Vermächtnis" wurden den Bewohnern der Stadt in den zurückliegenden Jahren allerlei Wunder versprochen: friedliche Favelas, ein besseres Nahverkehrsnetz, eine saubere Guanabara-Bucht oder auch vier neue Schulen - errichtet aus der temporären Handballarena. Zum Weihnachtsfest 2016 lässt sich in Sachen Wunderheilung von Rio bilanzieren: In den Favelas wird so viel gemordet wie seit Jahren nicht mehr. Der Verkehr hat sich für ein paar Privilegierte verbessert und für die breite Masse im besten Fall nicht verschlechtert. In der Bucht schwimmen weiter mehr Mülltüten als Speisefische. In den öffentlichen Schulen streikt das Personal. Und die Handballarena oxidiert seit der letzten Schluss-Sirene an Ort und Stelle vor sich hin.

Ein konkretes Olympia-Vermächtnis gibt es trotzdem. Es ist sogar möglich, ein Stück davon zu kaufen. Ein Anruf unter (021) 3149-7000 genügt, schon hat man einen Besichtigungstermin. "Herzlich willkommen in Ihrem neuen Zuhause", steht an der Tür. Die Maklerin Luana führt an diesem Morgen eine Gruppe von Kauf-Interessenten durch eine Dreizimmerwohnung mit "Olympiaflair". Alles ist in bester Ordnung, hochwertig verarbeitet, bezugsfertig, in jedem Raum läuft ein Flachbildfernseher, in der Küche steht schon das Olivenöl bereit. "Bei uns kommt es auf die Details an", sagt Luana. Den Satz wird man sich merken müssen.

Die Maklerin berichtet von einem internationalen Nachhaltigkeitssiegel, von energiesparenden Aufzügen, hochwertigen Klimaanlagen, traumhaften Ausblicken auf die Umgebung, einer exquisiten Swimmingpool-Landschaft sowie von dem "realen Traum", ein Apartment zu erwerben, in dem schon olympische Medaillengewinner wohnten. So richtig real fühlt sich das aber nicht an. Die Führung findet in einem Modellnachbau einer Wohneinheit des ehemaligen Athletendorfes statt.

"It's so crazy cheap", freut sich der Interessent aus Los Angeles. Aber dann geht der Lift nicht

Zwischen 200 000 und 825 000 Euro soll eines jener 3604 Apartments kosten, die im August die Teilnehmer der Olympischen Spiele beherbergt hatten, zwei bis vier Zimmer, 85 bis 170 Quadratmeter. Ein investitionswilliger US-Amerikaner im Trikot von Los Angeles Galaxy sagt: "It's so crazy cheap!" Allerdings sagt er das, bevor er die echten Apartments gesehen hat.

Die Känguru-Affäre

Olympia 2016: Dass erst 240 von 3604 Einheiten verkauft sind, ist kein Zufall. Da kann IOC-Präsident Thomas Bach noch so viel vom Vermächtnis der Rio-Spiele schwärmen.

Dass erst 240 von 3604 Einheiten verkauft sind, ist kein Zufall. Da kann IOC-Präsident Thomas Bach noch so viel vom Vermächtnis der Rio-Spiele schwärmen.

(Foto: Ivan Alvarado/AP)

Der besondere Charme, von dem die Olympiasportler im August berichteten, bezog sich vor allem auf offene Stromleitungen, verstopfte Klos und triefende Decken. Weltweiten Ruhm erlangte das Olympiadorf am Tag, als das australische Team einziehen sollte und umgehend wieder auscheckte - mit der Begründung, die Unterkünfte seien "unbewohnbar". Rios Bürgermeister Eduardo Paes reagierte darauf mit dem unsterblichen Satz: "Wir werden dafür sorgen, dass sich die Australier wie zu Hause fühlen - zur Not besorge ich ihnen ein Känguru, das für sie herumhüpft." Sie bräuchten keine Kängurus, sondern einen Klempner, sagten die Australier daraufhin. In Brasilien, wo die Verbreitung von Beuteltieren überschaubar ist, weiß seither jeder, was mit dem "Caso Canguru", der Känguru-Affäre, gemeint ist.

Jetzt sollen die eben noch unbewohnbaren Apartments also als Luxusimmobilien verkauft werden. Da haben sie sich was vorgenommen in Rio. Zumal auf der Anlage immer noch keine Kängurus herumhüpfen, wohl aber eine Maklerin, die verzweifelt versucht, einen Fahrstuhltechniker anzurufen. Bei dem derzeit leer stehenden Olympiadorf handelt es sich genau genommen um eine olympische Hochhaussiedlung aus 31 Gebäuden mit jeweils 17 Stockwerken. Im August hingen von fast allen Balkonen Nationalfahnen herab, inzwischen sieht es dort aus, als hätte jemand die Farbe aus dem Bild gedreht. Bloß die Flaggen der Chinesen sind noch da.

Die Besichtigung des ehemaligen Wohnturmes der USA scheitert daran, dass der Aufzug nicht funktioniert und dass vom Aufzugsreparaturdienst niemand ans Telefon geht. "Too bad", sagt der Kaufinteressent aus Los Angeles. Die Maklerin Luana schlägt vor, stattdessen das baugleiche Nachbargebäude zu besichtigen. "Welche Sportler haben da gewohnt?", fragt der Amerikaner. "Ich glaube, das waren die aus Aserbaidschan", sagt Luana.

Möglicherweise ist das der Moment, in dem der Amerikaner beschließt, doch noch einmal nach alternativen Investitionsmöglichkeiten zu suchen. Vielleicht kommt ihm der Gedanke aber auch erst, als er das Apartment 1405 im Höchstwahrscheinlich-Aserbaidschan-Haus betritt.

Ein irgendwie gearteter Zusammenhang zur zuvor präsentierten Luxus- Modellwohnung ist dort nicht zu erkennen. Und weil es ja auf die Details ankommt: In der Küche fehlt die Fensterscheibe, im Bad fehlt alles bis auf die Kloschüssel, im Wohnzimmer sind die Plastikvorhänge heruntergerissen, auf dem Boden liegen Bierbüchsen, im Flur ist ein Loch in der Decke. Die Maklerin sagt: "Hier wird natürlich noch mal aufgeräumt."

Der Amerikaner verabschiedet sich kurz darauf höflich. Prospekte oder Visitenkarten braucht er keine.

Es grenzt fast schon an eine olympische Erfolgsstory, dass von diesen 3604 Apartments bislang 240 verkauft sind.

Wenn nun aber von "neuen Standards für nachhaltige Planung" die Rede ist, dann fällt es schwer, eine hingepfuschte Luxuswohnanlage, die sich wohl nie füllen wird, losgelöst vom Rest der Stadt zu betrachten. Von einer Stadt, in der rund 1,5 Millionen Menschen in Favelas leben, teilweise seit Jahren abgeschnitten von Strom und Wasser. Von einer Stadt, in der selbst nach offiziellen Angaben 77 000 Menschen "umgesiedelt" wurden, um die Sportstätten und die Infrastruktur für die Olympischen Spiele zu bauen. Umgesiedelt hieß nicht in allen, aber in vielen Fällen: Eines Morgens kam die Abrissbirne.

olydorf

Der weltweit bekannteste Fall ist jener der Favela Vila Autódromo, die das Pech hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft des olympischen Parks zu liegen, dem Zentrum der Sommerspiele. Bis vor zwei Jahren lebten dort noch 600 Familien, 20 halten bis heute tapfer die Stellung. Der Rest wurde vertrieben. Zu den Unbeugsamen gehört auch Sandra de Souza, 48, sie sagt: "Olympia hat unser Haus und unser Leben zerstört." Die Favela, das ist der zynischste Teil dieser Geschichte, war dem olympischen Park gar nicht direkt im Weg. Sie lag bloß in Sichtweite. Sie musste aus ästhetischen Gründen weichen.

Die Sportler sind schuld

Genau wie im Athletendorf sollen auch auf dem Gelände des Olympiaparks Luxuswohnungen für eine "noble Elite" entstehen, mit Gärten "wie sie nur Könige kennen". So hat das jedenfalls Carlos Carvalho angekündigt, der größte aller Olympiasieger von Rio. Reich war er schon länger, aber dieses Mega-Sportfest hat ihn zu einem der reichsten Brasilianer überhaupt gemacht. Er ist 92 Jahre alt, langjähriger Sponsor der Wahlkampagnen von Rios Bürgermeister Paes sowie Chef der Firma Carvalho Hosken, die gemeinsam mit Brasiliens führendem Baukonzern Odebrecht den Olympiapark und das Athletendorf errichtete. Dafür ließ sich Carvalho zusichern, diese Orte hinterher "kommerzialisieren" zu dürfen. Man muss ihm zugutehalten, dass er nie einen Hehl daraus machte, worauf es bei so einer Kommerzialisierung ankommt. Schon 2015 sagte Carlos Carvalho über seine Zukunftspläne zum olympischen Dorf: "Was willst du dort mit den Armen anfangen?"

Der Manager sagt: "Die Sportler haben Kondome runtergespült." Deshalb sind die Klos verstopft

An der Besichtigungstour nimmt auch ein führender Manager von Carvalho Hosken teil. Dass es bislang nicht wie erwartet läuft mit der Kommerzialisierung (nach Rios Panamerika-Spielen 2007 waren alle Athleten-Apartments innerhalb von zehn Stunden verkauft), liegt aus seiner Sicht natürlich an der Wirtschaftskrise. Aber auch an dem Zustand, in dem viele Sportler die Wohnungen hinterlassen hätten.

Der Manager, nennen wir ihn B., erzählt, dass zum Beispiel die Spieler des Rugby-Teams der Fidschi-Inseln nach ihrem Olympiasieg in einem der Apartments ein Motorradrennen veranstaltet hätten. Ferner seien zahlreiche Fahrräder aus dem Fenster geflogen.

Schlimm, schlimm, aber kann das die vielen verstopfen Toiletten erklären? "Das liegt daran, dass die Sportler so viele Kondome runtergespült haben", sagt der Manager B.

Es wäre natürlich interessant zu wissen, was "Rio 2016" zu all dem sagt. Das lokale Organisationskomitee ist laut Carvalho Hosken noch bis zum 31. Dezember 2016 für den Betrieb und die Instandhaltung des Olympiadorfes zuständig. B. behauptet: "Die sind schon vor Wochen einfach abgehauen, weil sie kein Geld mehr haben."

Auf SZ-Anfrage an zwei offizielle E-Mail-Adressen von Rio 2016 kommt eine Antwort: "Die Arbeit ist beendet. Grüße."

Das IOC hat in seinem olympischen Jahresrückblick auch den nun abtretenden Bürgermeister Paes zitiert: "Wir haben ein fantastisches Vermächtnis für die Stadt geschaffen, das nur dank der Olympischen Spiele möglich war." Denselben Paes haben zur selben Zeit brasilianische Staatsanwälte ins Visier genommen - wegen des konkreten Korruptionsverdachts beim Bau des olympischen Golfplatzes. Die Firma Odebrecht, die an nahezu allen Olympiabauten beteiligt war, steht wiederum im Zentrum des größten Schmiergeldskandals in der Geschichte Brasiliens. Der Bundesstaat Rio de Janeiro hat den Finanznotstand ausgerufen. Wer die versprochenen Schulen bauen soll, kann im Rathaus niemand sagen. Das Organisationskomitee meldet sich nicht mehr. Die Klos im Olympiadorf sind immer noch verstopft. Und der Immobilen-Mogul Carlos Carvalho ist der Meinung, das Zentrum von Rio gehöre der Elite, für die Armen sei der Stadtrand da. Viel mehr muss man über das olympische Vermächtnis nicht wissen.

Bloß eines noch. Eine Botschaft, die von jenen 20 Familien kommt, die in der ehemaligen Favela Vila Autódromo ausharren. Auf eine der letzten noch stehenden Mauern hat jemand diesen Satz gesprüht: "Nicht alle sind käuflich." Unterstützt von internationalen Protesten haben sich diese Familien am Ende ein Bleiberecht erstritten. Ihre Häuser waren da schon von städtischen Bulldozern zerstört worden, die Stadt baute ihnen 20 neue. Jedes 56 Quadratmeter groß, keine Nachhaltigkeitssiegel, keine Pool-Landschaften, keine Kängurus, aber immerhin vier Wände und ein Dach. "Das ist auch ein Zeichen, dass es sich lohnt, für seine Würde zu kämpfen", sagt Sandra de Souza.

Unter all den olympischen Erfolgs-Storys des Jahres 2016 ist das vielleicht die wahrhaftigste.

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