Olympia:Warum die Russland-Entscheidung des IOC eine Farce ist

Die ersten Verbände lassen bereits alle russischen Sportler nach Rio fahren. Der IOC-Beschluss ist voller Widersprüche und kaum zu lösender Probleme. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Am Sonntag hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschieden, russische Sportler nicht mit einer Kollektiv-Strafe zu belegen und unter Bedingungen in Rio starten zu lassen. Nachdem der von Welt-Anti-Doping-Agenur (Wada) initiierte unabhängige McLaren-Report russisches Staatsdoping bei den Spielen in Soitschi 2014 und bei anderen Veranstaltungen nachgewiesen hatte, forderte unter anderem die Wada einen kompletten Ausschluss. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum IOC-Beschluss.

Welche Bedingungen müssen russische Sportler erfüllen, um in Rio starten zu dürfen?

Präsident Thomas Bach sprach davon, das IOC habe "die Latte hochgelegt". Tatsächlich ist das härteste Kriterium, dass das IOC verfügt hat: Wer schon einmal wegen Dopings bestraft wurde, darf nicht teilnehmen. Auch, wenn der oder diejenige die Strafe schon abgesessen hat. Wessen Name im Zuge des unabhängigen McLaren-Reports auftauchte, der Staatsdoping in Russland unter Aufsicht des Geheimdienstes belegte, darf ebenfalls nicht starten.

Wer noch keine Doping-Strafe kassiert hat, bei dem müssen die internationalen Sportverbände, also der Schwimmweltverband, der Turnverband etc. prüfen, ob die russischen Sportler sauber genug für die Spiele sind. Dabei sollen die Verbände eine "individuelle Analyse" der Doping-Aufzeichnungen jedes Athleten vornehmen.

Ist eine solche Analyse bis zum Start der olympischen Spiele am 5. August möglich?

Nein, jedenfalls nicht in dem Umfang, in dem es notwendig wäre. Eine genaue Prüfung, welcher Athlet in ein vom Geheimdienst gestütztes Staatsdoping involviert war, ist nicht zu stemmen. Zudem sind die Kriterien der Prüfung schwammig formuliert. Es besteht also die Gefahr, dass verschiedene Verbände nach unterschiedlichen Maßstäben prüfen. In den meisten Fällen werden die Athleten aufgrund der Unschuldsvermutung starten dürfen.

Manche Verbände nutzen noch nicht mal die knappe Zeit: Der Internationale Tennis-Weltverband ITF verkündete nur zwei Stunden nach der IOC-Entscheidung, dass alle acht gemeldeten russischen Tennisspieler in Rio teilnehmen werden. Grund: Ihre Doping-Tests bei internationalen Kontrollen waren negativ. Auch der Judo-Weltverband hat angekündigt, keine Athleten auszuschließen, obwohl im unabghängigen McLaren-Report der Wada auch Doping-Fälle im Judo erwähnt werden. Allerdings ohne Namen. Wladimir Putin, einst selbst Judoka, ist Ehrenpräsident des Judo-Weltverbandes. Am Montag Nachmittag nominierte auch der Weltverband der Bogenschützen alle russischen Sportler für Olympia.

Welche Probleme bringt der Beschluss noch mit sich?

Neben der fehlenden Überprüfbarkeit sorgt das Startverbot für russische Sportler, die bereits eine Doping-Strafe abgesessen haben, für sportjuristische Widersprüche. Eigentlich gilt ein Athlet, der seine Strafe abgesessen hat, als genauso startberechtigt wie jeder andere Athlet auch. Das "normale" Strafrecht funktioniert nach dem gleichen Prinzip, zudem gilt der juristische Leitsatz "Ne bis in idem" - niemand darf zweimal für die gleiche Tat bestraft werden. Genau das tut das IOC nun.

In Rio wird es daher zu der Situation kommen, dass russische Athleten mit abgesessener Strafe nicht starten dürfen, zahlreiche andere Athleten aber schon. Extrembeispiel ist der US-amerikanische 100-Meter-Sprinter Justin Gatlin, der bereits zwei Doping-Strafen verbüßt hat und nur über Umwege einer lebenslangen Sperre entkam.

Bleiben Russlands Leichtathleten von Olympia ausgeschlossen?

Ja, am Entschluss des internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF ändert sich nichts. Außer der Weitspringerin Darja Klischina, die seit Jahren in den USA lebt und trainiert, darf nach jetzigem Stand kein russischer Leichtathlet starten. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hatte vergangene Woche die Kollektiv-Strafe der IAAF bestätigt. Zudem ist der russische Gewichtheberverband gesperrt.

Betrifft der Beschluss paralympische Sportler?

Nein, den russischen Behindertensportlern droht ungeachtet der Entscheidung des IOC weiter das Aus für die Paralympics in Rio de Janeiro (7. bis 18. September). Das bestätigte das Internationale Paralympische Komitee (IPC) am Montag. Das IPC hatte nach Veröffentlichung des McLaren-Reports ein Ausschlussverfahren gegen den russischen Nationalverband eingeleitet. Das IPC hatte von Autor Richard McLaren eine Liste mit den Namen der 35 Behindertensportler erhalten, deren Dopingproben laut dem Bericht manipuliert wurden.

Wie haben russische Politiker und Sportler reagiert?

Sehr zufrieden. Russlands Sportminister Witali Mutko sagte: "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der infrage kommenden russischen Sportler in Rio antreten wird. Unsere Mannschaft nimmt an den Olympischen Spielen teil. Ich hoffe, dass wir uns über Siege freuen werden. Ich bin dem IOC für die getroffene Entscheidung dankbar." Jelena Issinbajewa, die zwar selbst gesperrt bleibt, äußerte sich auch positiv. "Ein kompletter Ausschluss der russischen Mannschaft wäre ein riesiger sportpolitischer Skandal gewesen. Das IOC hat glücklicherweise verstanden, es kann sich im Moment auch keinen Skandal erlauben."

Zu Whistleblowerin Julia Stepanowa, die nicht starten darf: "Sie sollte lebenslang gesperrt werden. Ich verstehe die Aufregung über einen Menschen, der gedopt hat, und dafür bestraft wurde, nicht. Sie zu einer Heldin zu machen, ist wie ein Schlag ins Gesicht. Deshalb ist es richtig, dass sie nicht bei den Olympischen Spielen teilnehmen wird. Zumindest eine kluge Entscheidung wurde in der Leichtathletik getroffen."

Welche weiteren Reaktionen gibt es auf den Entschluss?

Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ist offen "enttäuscht" über die IOC-Entscheidung. Sehr betroffen sei die Wada von der Nachricht, dass Stepanowa in Rio nicht starten darf. Sie habe mit viel Mut "den größten Dopingskandal der Geschichte aufgedeckt". Die Botschaft, die ihr Startverbot an alle Whistleblower der Zukunft aussende, "bereitet der Wada große Sorgen."

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, ist dagegen zufrieden. Das IOC habe eine "schwierige, harte und in mehrfacher Hinsicht konsequente Entscheidung getroffen." Entscheidend sei, dass aus der jetzigen Situation die richtigen Lehren gezogen würden. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes hat hingegen Zweifel, wie der Beschluss umgesetzt werden soll. "Es ist für mich schwierig nachzuvollziehen, wie bei einer Art des Staatsdopings zwischen involvierten und nicht involvierten Athleten glaubwürdig differenziert werden kann."

Von Athleten-Seite hat sich der britische Weitspringer und Olympiasieger Greg Rutherford am deutlichsten geäußert. Die Entscheidung sei "rückgratlos". Was man nun habe ist ein "schmutziger, grauer Bereich, womit niemandem geholfen ist." Zudem ärgerte sich Rutherford über eine "erstaunliche Widersprüchlichkeit" des IOC. "Die Einführung einer Last-Minute-Verbannung für russische Athleten, die schon einmal eine Dopingsperre abgesessen haben, gleichzeitig Athleten aus anderen Ländern mit genau der gleichen Geschichte aber zuzulassen, ist, als würde man einen hungernden Mann bitten, 'Danke' zu sagen, wenn man ihm ein einziges Reiskorn gibt", sagte Rutherford.

Der Kapitän der deutschen Hockey-Nationalmannschaft Moritz Fürste hat dagegen Verständnis. "Ich hoffe, dass diese Entscheidung die Voraussetzungen erfüllt, damit die bestraft werden, die schuldig sind", sagte der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft: "Es ist ein schmaler Grat. Wenn es irgendwo schwarze Schafe gibt, ziehen diese viele Unschuldige mit in den Sumpf." Er hoffe, dass die zuständigen Sportfachverbände nun die richtige Entscheidung darüber treffen, wer in Rio starten darf und wer nicht.

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