Olympia:Und Putin steht in der Ecke

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Auch wenn die russischen Athleten in neutraler Kleidung antreten: Die Fan-Unterstützung findet nicht nur beim Eishockey in den Landesfarben statt.

(Foto: Grigory Dukor/Reuters)
  • Obwohl Russland offiziell von Olympia ausgeschlossen ist, entsteht bei den Wettbewerben in Pyeongchang der Eindruck, alles sei so wie immer.
  • Die "Olympischen Athleten aus Russland" bilden nach den USA und Kanada sogar die drittgrößte Delegation.
  • Zwar gewinnen sie weniger Medaillen als bei den Betrugsspielen in Sotschi, ihre Bilanz ist trotzdem sehr gut.

Von Johannes Aumüller, Pyeongchang

Die rote Wand in der Eishockey- Halle ist unübersehbar. Mehrere Reihen hinter dem Tor sind von Zuschauern aus Russland besetzt, alle tragen sie rote T-Shirts, auf einigen kleben große Buchstaben. "Russia in my heart", ergibt sich dann als Slogan, oder "Krasnaja maschina", die rote Maschine. Es ist der alte Kampfname der Sbornaja, der russischen Nationalmannschaft. Und zur Sicherheit noch mal auf Englisch: "Red machine".

Kurz vor dem Anpfiff des Duells gegen die USA in der Vorrunde interviewt die Hallensprecherin eine Zuschauerin. Deren Wangen sind dick mit der Flagge Russlands bemalt, sie hat das "A" von "Russia" auf dem Shirt. Frage: Warum sind Sie hier? Antwort: "Wir wollen unsere Unterstützung und Liebe für Russland zeigen" - großer Jubel setzt ein in der Arena in Gangneung.

Für Russland? Für Russland. Für das Land also, das offiziell gar nicht dabei ist bei diesen Spielen in Südkorea.

Das nationale Olympia-Komitee ist suspendiert, Hymne und Flagge sind verboten. Außerdem gibt es einen Verhaltenskodex für die 168 Athleten aus Russland, die nach einer Extraprüfung doch individuell eingeladen wurden und starten durften und dürfen. Das ist das Konstrukt, das sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) ausgedacht hat - ein bisschen Strafe für das gigantische Doping-Programm rund um die Spiele 2014 in Sotschi, aber halt auch nicht zu viel Strafe. Und unabhängig von der Frage, ob die formale Suspendierung zur Schlussfeier am Sonntag schon wieder endet (siehe Kommentar): Wer die Tage von Pyeongchang miterlebt, der kommt um den Eindruck nicht herum, dass Russland natürlich dabei ist in Pyeongchang. Und das sehr auffällig.

Schon die Größe der Mannschaft ist immens. 168 Athleten - nur Kanada und die USA haben größere Delegationen. Es gibt ohne diverse nicht zugelassene Top-Sportler natürlich viel weniger Plaketten als bei den Betrugsspielen von Sotschi 2014; aber immer noch mehr als in Vancouver 2010. Vor allem silberne und bronzene waren es diesmal, das erste Gold sollte am Freitagmorgen im Eiskunstlauf folgen. Und wenn es an den Schlusstagen gut läuft, werden am Ende nur fünf andere Nationen mehr Medaillen gewonnen haben. Ein Ort, an dem sich die Schizophrenie zwischen dabei sein und nicht dabei sein auf ganz eigene Weise dokumentiert, ist ein zwei Etagen hohes Haus nahe dem Strand von Gangneung. Fast jede Nation hat bei den Spielen ihren eigenen Treffpunkt, hier ist der russische. "Russisches Haus" darf das natürlich nicht heißen, also heißt es "Haus des Sports". Ausdrücklich kein Feierort für Medaillen soll es sein, sondern ein Ort der Begegnung und ein Sammelpunkt "für alle russischen Fans und für alle, die sich für russische Kultur interessieren". So annoncieren es die Organisatoren.

Draußen prangt eine drei Meter große Matrjoschka, und drinnen hängt überall das Leitmotto "Russland in meinem Herzen". Ganz in Rot ist der Raum gehalten, in dem zwar keine russische Fahne hängt, aber in dem sich Sound, Optik und Gefühl des Landes zur Genüge wiederfinden. In einer Ecke gibt es russische Spezialitäten, in der anderen einen Schminktisch und einen Verkaufsladen, und daneben eine Ausstellung mit den Erfolgstrikots alter sowjetischer Eishockey-Teams. Und läuft irgendwo ein Wettkampf mit aussichtsreicher russischer Beteiligung, wird die Dauer- Unterhaltung auf der Bühne unterbrochen und die große Leinwand eingeschaltet.

Aber natürlich ist dieses Haus mehr als eine gemütliche Begegnungsstätte. Es ist auch ein Statement. Zur Eröffnung kamen die IOC-Mitglieder Schamil Tarpischtschew und Witalij Smirnow. Als der Shorttracker Semjon Jelistratow am Auftaktwochenende die erste Bronzemedaille gewann, erklang die Nationalhymne. Bemerkenswert ist auch die Ausstellung auf der rechten Seite: Auf den Bildern ist kein Sportler zu sehen, sondern Wladimir Putin, der Präsident, der mächtigste Mann des Staates. Putin, wie er dem südkoreanischen Präsidenten bei einem Treffen die Hände schüttelt. Putin, wie er ein Denkmal des Nationaldichters Alexander Puschkin in Seoul einweiht. Ein knappes Dutzend solcher Bilder stehen dort.

Zur politischen Komponente passt, wer logistisch und finanziell hinter diesem Haus steckt: der "Fond zur Unterstützung russischer Olympia-Teilnehmer". Seit einem Jahrzehnt gibt es diese Organisation, über sie läuft zum Beispiel die Bezahlung der Olympia-Prämien für russische Athleten. Und in den verschiedenen Gremien fehlt kaum ein wichtiger Politiker, vom Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedjew bis zu Witalij Mutko, dem ehemaligen Sportminister und heutigen Vize-Premier, sind alle dabei. Viele Oligarchen von Roman Abramowitsch bis Oleg Deripaska fungieren als Finanziers. Da hätte auch gleich das nationale Olympia-Komitee die Sache übernehmen können.

UdSSR, GUS - die Russen sind Abkürzungen gewöhnt. Jetzt halt OAR, kein Problem

"OAR", diese drei Buchstaben stehen in diesen Tagen immer da, wenn russische Sportler antreten, die Abkürzung für "Olympische Athleten aus Russland". Auch das ist so ein IOC-Konstrukt, man wollte die Russen zwar unter neutraler Flagge dabeihaben, aber halt doch nicht als neutrale Athleten ohne Länderkennung. OAR, daran haben sich alle schnell gewöhnt. Russland kommt ja noch im Namen vor, und war Russland nicht ohnehin schon immer ein Land der Abkürzungen? UdSSR, GUS, und jetzt halt OAR?

Die Flagge, klar, die fehlt den Russen, die wünschen sie sich zurück. Aber als Ersatz schauen die Athleten bei Siegerehrungen eben in eine Stadionecke, in der russische Fans eine russische Fahne schwenken. Kurz gab es mal die Angst, dass Zuschauer auch keine russischen Fahnen mitnehmen dürften; aber da hat das IOC Russland schnell beruhigt. Und so bilden die russischen Fans oft eine vernehmbare Fraktion, vor allem bei den Eiswettbewerben.

Die meisten Athleten bemühen sich sichtlich, die Details des auferlegten Verhaltenskodexes zu erfüllen. Mit einer Flagge in der Hand etwa hat sich niemand erwischen lassen, die darf nur im Schlafzimmer hängen; nicht einmal auf Fotos mit Fans soll sie zu sehen sein. Ab und an widmete ein Medaillensieger seinen Erfolg den nicht eingeladenen Mannschaftskollegen und attackierte deren Ausschluss als "unfair" oder "gemein". Das ist eigentlich schon gegen die Regeln - aber auffälliger als die Athleten sind diesbezüglich ja ohnehin die Großen aus Sport und Politik. Die sprechen - vom IOC-Ehrenmitglied Smirnow bis zum lebenslang von Olympia ausgeschlossenen Mutko - unverdrossen von "uns", wenn es um das OAR-Team geht. Oder von "Siegen fürs Land". Als sei Russland eben doch ganz normal dabei.

Zurück zum Eishockey. Die rote Wand ist am auffälligsten, aber auch auf den Sitzreihen gegenüber und an den Seiten sind viele Zuschauer mit russischen Fahnen zu sehen. Ihre Sbornaja-Helden unten spielen im klassischen roten Dress, in diesem Outfit ist die Mannschaft schon immer aufgetreten. Ständig erklingt "Schajbu, Schajbu", der alte anfeuernde Ruf an das Team, den Puck zu erobern, oder gleich "Ros-si-ja, Ros-si-ja". Wenn es die gegnerischen Fans mal mit einem "U-S-A" versuchen, erfolgt sofort der gesangliche Konter. Und als die Angreifer Nikolaj Prochorkin und Ilja Kowaltschuk einen Treffer nach dem anderen bis zum 4:0-Endstand erzielen, rastet die Halle aus.

In Sotschi vor vier Jahren, wo der Betrug seinen Gipfel erreichte, war die Stimmung kaum besser.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: