Trendsportarten bei Olympia:Vom Reißbrett in die Arena
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Skateboarden, Surfen, Klettern, 3x3-Basketball - was soll olympisch sein und was nicht? Die Premierensportarten in Tokio erzählen einiges über die komplizierten Programmdebatten der Spiele.
Von Thomas Hahn, Tokio
Der Aomi Urban Sports Park liegt auf einer der künstlichen Inseln der Tokioter Waterfront. Er ist eine dieser Sportstätten, die nach den Spielen verschwinden werden. Stahlrohrtribünen neben Funktionszelten. Nicht weit entfernt erstreckt sich eine olympische Fanmeile, die jetzt bunt und leer auf das Ende der pandemischen Spiele wartet. Alles, was hier aufgebaut ist, strahlt einen seltsamen Trotz aus. So als reiche es schon, einfach da zu sein, um Bedeutung zu haben.
Aber dass gar nichts los wäre, kann man nicht sagen. Im Gegenteil. Fernsehteams und Journalisten sind da. Das geräumige Pressezelt ist gut besucht, die Pressetribünen im kleinen provisorischen Stadion sind es auch. Die meisten Schalensitze in der Arena sind unbesetzt, aber aus den Boxen kommt ein pausenloser Beat, Kommentatoren jubeln. Und auf dem kleinen Platz mit dem Basketballkorb ist sowieso viel Bewegung. Das erste olympische Turnier im 3x3-Basketball ist im Gange. Team USA gewinnt bei den Frauen das Finale gegen Russland, Team Lettland das bei den Männern, ebenfalls gegen Russland.
Es gibt viele Premieren bei diesen Spielen. Einige sind schon mit Erfolg über die Bühne gegangen. Am Dienstag gab es die ersten Medaillen im Surfen, davor betraten erstmals die Skateboarderinnen und Skateboarder die olympische Bühne. Nächste Woche ist Sportklettern dran. Olympia öffnet sich. Aufregende Zeiten. Die Wettbewerbe im Kleinformat-Basketball tragen auch dazu bei. Warum nur?
Wer die Kultur des Sports bewahren will, muss sie ständig hinterfragen
Was soll olympisch sein und was nicht? Diese Frage entscheidet über die Zukunft der Spiele. Ein anspruchsvolles Angebot zu wählen, das an den Interessen von Menschen und Medien vorbeizielt, würde zwangsläufig zum Ruin der olympischen Bewegung führen. Tiefgründig und uninteressant ist eine gefährliche Kombination. Wer die Kultur des Sports bewahren will, muss sie ständig hinterfragen. Olympia braucht Programmdebatten. Immerzu.
Und im Rahmen dieser Debatten hat nun also auch 3x3-Basketball einen der kostbaren Plätze unter den Ringen bekommen. Ein Korb, ein Ball, zwei Dreierteams. Das Format ist inspiriert vom Hinterhof-Basketball der Städte, in denen die Jugend wegen des Platzmangels oft nur auf einen abgerissenen Korb spielen kann. Es ist nicht ganz einfach und anstrengend. Angriff und Verteidigung werden praktisch eins, Pausen gibt es nicht. "Du kannst dich nicht verstecken. Es ist so schnell", sagt Nick Celis vom belgischen Olympia-Vierten Belgien.
Insofern: Gut dass es die Spielform gibt neben dem Basketball mit zwei Körben, zwei Fünfer-Teams und der Tiefe eines ganzen Feldes. Allerdings ist die Olympia-Karriere dieses Spiels so schnell gegangen, dass man das Gefühl hat, eine PR-Aktion sei zum olympischen Medaillen-Event befördert worden. Streetball heißt die Urform der neuen Disziplin. Streetball ist das einigermaßen regellose, kreative Spiel in den Schluchten der Städte, bei dem es allerdings oft etwas sehr ruppig werden konnte. "Spieler haben sich da gegenseitig fast umgebracht", sagt Karlis Lasmanis, einer der Olympiasieger aus Lettland.
Vom Feierabendbasketballer zum Bronzegewinner - das ist auch eine geschickte Marketing-Pointe
Der Basketball-Weltverband Fiba wollte das Element des Straßenbasketball-Kampfes aufgreifen, aber eben ohne die ganz rauen Töne. Also experimentierte er mit 3x3-Basketball. Das neue Spiel war im Programm der ersten Olympischen Jugendspiele in Singapur 2010. Ein Jahr später gab es die erste U18-WM, ab 2012 eine Profitour mit Preisgeld. Und schon im Juni 2017 erhielt der Neu-Basketball den olympischen Status.
Vom Weltverband heißt es über 3x3-Basketball: "Die Turniere können draußen oder in der Halle an ikonischen Orten aufgeführt werden, um Basketball direkt zu den Menschen zu bringen." Und: "Die Nonstop-Musik bringt eine authentische urbane Kultur-Atmosphäre, die ein neues junges Publikum anzieht." Vom Reißbrett der Marketingstrategen direkt in die Olympia-Arena - eine solche Karriere hat wohl noch kein Sport gemacht. Wie das den japanischen Zuschauern in Tokio gefiel, konnte man nicht sagen; es durften wegen Corona ja keine da sein. Aber klar ist, dass Sportler, Verbände und Nationen die Medaillenchance dankbar aufgreifen.
Team China errang bei den Frauen Bronze mit einem Team, das offensichtlich aus dem großen Spielerinnen-Fundus des Staatssports zusammengesellt worden war. Lili Wang war sogar schon Nationalspielerin der Fünf-gegen-Fünf-Variante und gewann als solche Gold bei den Asien-Spielen 2018 in Indonesien. Sie dürfte die Versetzung nicht als Degradierung wahrgenommen haben.
Insgesamt waren viele Ex-Profis am Werk, die im neu erfundenen Basketball eine Chance sahen, die sie sonst nicht bekommen hätten. Team Belgien entstand aus einem Quartett Antwerpener Ex-Profis um den 32-jährigen Nick Celis. Sein Mannschaftskollege Rafael Bogaerts hat einmal erzählt: "Nick rief mich an und fragte, ob ich Interesse hätte an einem Versuch, bei Olympia zu starten." Natürlich hatte er Interesse. Ohne den Anruf hätte er es nie in ein kleines olympisches Finale gegen Serbien geschafft.
Und auch bei den Letten fing es mit Feierabendbasketball an. "Wir hatten nichts zu tun an den Sommerabenden", hat Edgars Krumins, 35, früher Profi bei lettischen Klubs wie BK Jelgava, BK Valmiera and Valga Mak, einmal erzählt. "Dann haben wir uns immer Donnerstags getroffen und gespielt. So hat es angefangen." Jetzt ist er Olympiasieger. Geschichten gibt's, die kann nur das moderne Marketing schreiben.