Süddeutsche Zeitung

Bronze für Florian Wellbrock:Das Warten geht weiter ...

... und hat sich trotzdem gelohnt. Als erster Mann seit 1988 wollte Florian Wellbrock wieder Gold für Deutschland im Olympiabecken holen. Am Ende wird er über die 1500 Meter Freistil Dritter - und ist mit der Medaille zufrieden.

Von Claudio Catuogno, Tokio

Zwei Jahre hatte Florian Wellbrock, 23, auf diese gut vierzehneinhalb Minuten gewartet. Seit seinem Weltmeistertitel im Sommer 2019 war alles auf dieses olympische Finale ausgerichtet. Nach Beginn der Schwimmwettkämpfe in Tokio wartete Wellbrock dann noch mal acht Tage. Erst an diesem Sonntagmorgen stand das Finale über 1500 Meter Freistil auf dem Programm, die längste Strecke im Beckenschwimmen.

Warten ist manchmal nicht gut im Sport, beim Warten kommen die Gedanken. Britta Steffen, 2008 in Peking die bislang letzte deutsche Olympiasiegerin, hat oft bis kurz vor dem Start ein Fachbuch gelesen. Alles besser als nachdenken. Vor allem, wenn man noch dazurechnet, wie lange das deutsche Schwimmen schon wartet. Einen deutschen Olympiasieger hat es bei den Männern seit der Wiedervereinigung nicht mehr gegeben. 1988 in Seoul war Michael Groß, genannt "Albatros", der letzte für die Bundesrepublik gewesen (200 Meter Schmetterling), Uwe Daßler der letzte für die DDR (400 Meter Freistil, Weltrekord). Andere Zeiten.

Und nun, am Sonntagmorgen im Aquatics Centre von Tokio: Schwamm Florian Wellbrock tatsächlich zu einer Olympia-Medaille - wenn auch nicht zur goldenen. In 14:40,91 Minuten wurde er Dritter, hinter dem US-Amerikaner Robert Finke (14:39,65) und dem Ukrainer Michailo Romantschuk (14:40,66). Um es mal auf die simpelste aller Botschaften runterzubrechen: Das Warten geht weiter. Und doch hatte sich das Warten gelohnt.

Florian Wellbrock lief dann zu den TV-Kameras, zur Siegerehrung, zur Pressekonferenz. Um seinen Hals hing diese Medaille, und das fühle sich schon "sehr, sehr gut an". Ja, es sei ein "bisschen ärgerlich, dass ich das Tempo hintenraus nicht ganz halten konnte", sagte er. "Aber über Bronze will ich auf gar keinen Fall meckern." Der letzte deutsche Mann, der in einer Einzeldisziplin eine olympische Medaille aus dem Becken gefischt hatte, war Stev Theloke 2000 in Sydney gewesen, Bronze über 100 Meter Rücken.

Das Tempo auf den ersten Bahnen war schneller, als Wellbrock es je geschwommen ist

Eigentlich hätte man Florian Wellbrock sogar zwei Medaillen umhängen können. Eine für die sportliche Leistung. Und eine für die ebenso bemerkenswerte Fähigkeit, all die Erwartungen an sich abperlen zu lassen - die Sehnsucht nach einem, der das deutsche Schwimmen erlöst -, und sich auch von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen zu lassen, wie nach Rang vier am Donnerstag über die 800 Meter.

Dass hier vielleicht sogar mehr drin gewesen wäre, sieht man, wenn man Wellbrocks Zeit von Tokio mit seinen persönlichen Bestzeiten vergleicht: 14:36,54 Minuten waren es bei der WM in Gwangju, 14:36,15 bei der EM 2018 in Glasgow, seinem deutschen Rekord. Aber ein Olympiafinale ist nicht nur ein Schwimmen gegen die Uhr, es ist auch ein Taktieren Mann gegen Mann: Wann verschärft man das Tempo, wen zermürbt man dadurch, wen hängt man ab - und was ist das Risiko? Gemessen daran konnte Wellbrock hinterher sagen: "Ich bin sehr, sehr glücklich mit der Medaille."

Es war ein Rennen mit lauter alten Bekannten - aber ohne den Bekanntesten von allen. Sun Yang, 29, der Weltrekordhalter aus China, ist nach einigem juristischen Hin und Her aus dem Pool genommen worden wegen seiner Hammer-Affäre: Er hatte 2018, nach einer aus dem Ruder gelaufenen Dopingkontrolle, einen Glasbehälter mit abgenommenem Blut zerschlagen lassen. Ansonsten: dieselbe Promi-Besetzung wie beim WM-Finale 2019. Der Italiener Gregorio Paltrinieri, 26, Olympiasieger von 2016. Der Ukrainer Romantschuk, in Gwangju WM-Zweiter hinter Wellbrock. Dummerweise - jedenfalls aus Sicht der anderen drei 1500-Meter-Musketiere - hatte sich aber noch ein Vierter unter die Anwärter auf die drei Podestplätze geschoben, der junge Finke, 21, aus den USA. Finke hatte in Tokio schon die 800 Meter gewonnen.

Dass Finke jetzt auch dabei war, musste Wellbrocks Taktik mitbestimmen. Noch mal so einen Schlussspurt wie über die 800 Meter, als Finke auf den letzten 300 Metern das Feld aufgerollt hatte, galt es zu verhindern. Also: bloß nicht bummeln, zügig angehen, "den Finke so beschäftigen, dass ihm hintenraus die Kraft fehlt", hatte Wellbrocks Trainer Bernd Berkhahn am Tag vor dem Rennen erläutert. Und so ging Florian Wellbrock es dann auch an. Vier Schwimmer wälzten sich Kopf an Kopf durchs Wasser, der Rest war bald abgehängt - und Wellbrock lag bis zur letzten Bahn vorne. Paltrinieri hatte zu kämpfen, womöglich eine Folge des Pfeifferschen Drüsenfiebers, das ihn vor wenigen Wochen niedergestreckt hatte. Blieben noch drei.

Nur: Das Rennen war nicht schnell genug. Vielleicht ließ sich Wellbrock ein bisschen zu sehr in Sicherheit wiegen, er führte ja, er hatte alles im Griff. Oder ließen sich die anderen von ihm ziehen? "Das kann man nicht so genau sagen", meinte Wellbrock hinterher - ab einem bestimmten Tempo spürt der Schwimmer die Zehntel nicht mehr, die er pro Bahn schneller oder langsamer ist. "Zu sehen, die Medaille ist sicher, gab etwas Ruhe im Kopf", sagte Wellbrock. Auf den letzten 150 Metern habe er dann "versucht, das Tempo noch mal hochzuziehen". Doch im Kampf um die letzten Zentimeter kraulten Finke und Romantschuk noch vorbei. Besonders von Finke war Wellbrock beeindruckt: "Da fühlt man sich ein bisschen machtlos, wenn man sieht, wie der noch mal explodiert."

Florian Wellbrock ist einer jener Athleten, die nicht nur ihrem Sport viel geben, sondern denen der Sport seinerseits eine Menge gegeben hat. Seine Jugend in Bremen verlief für die Eltern nicht sorgenfrei, das Gymnasium hat Wellbrock abgebrochen. Nach seinem Wechsel nach Magdeburg nahm Berkhahn ihn nicht nur als Schwimmer unter seine Fittiche, der Coach begleitete auch das Praktikum in einer Wohnungsgenossenschaft, dann die Ausbildung zum Immobilienkaufmann. Und weil Wellbrock sowieso am liebsten im Wasser ist, hat ihm auch seine Schwimmgruppe Halt gegeben - mit der Kollegin Sarah Köhler, 27, ist er inzwischen verlobt. Auch während der Corona-Monate hatte die Elbschwimmhalle in Magdeburg für Berkhahns Trainingsgruppe immer geöffnet.

Und nun ist es also das Paar Wellbrock/Köhler, das dem Deutschen Schwimm-Verband in Tokio die beiden ersten Olympia-Medaillen seit 13 Jahren beschert hat: er mit Bronze, sie mit Bronze, jeweils über die 1500 Meter. "Nicht ohne Grund hat das so lange gedauert, bis deutsche Schwimmer Olympiamedaillen geholt haben", sagte Wellbrock: "Jetzt haben wir zwei." Und er hat kommenden Donnerstag noch eine weitere Chance, im Freiwasser über die zehn Kilometer. Der Weltmeister auf dieser Strecke, 2019 in Gwangju: Florian Wellbrock.

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