Tokio 2020, dabei soll es bleiben. Tokio 2020 soll weiterhin der offizielle Name sein für die nächsten Olympischen und Paralympischen Spiele. Tokio 2020 soll über den Sportstätten stehen, auf den Eintrittskarten, in den Einspielern bei den Fernseh-Übertragungen, schlicht überall im olympischen Kosmos. Aber Tokio 2020, das wird eine krasse Falschbehauptung sein.
Seit Dienstagmittag steht fest, dass die Olympischen Sommerspiele nicht in diesem Sommer in Tokio stattfinden, sondern erst im Jahr 2021. Nach einer langen Verzögerungstaktik verständigten sich die japanischen Organisatoren und das Internationale Olympische Komitee (IOC) darauf, die Spiele wegen der Corona-Pandemie zu verschieben. Bislang waren sie für die Zeit vom 24. Juli bis zum 9. August 2020 vorgesehen. Ein konkreter neuer Termin steht noch nicht fest, er soll aber in jedem Fall nach dem Ende des Jahres 2020 und spätestens im Sommer 2021 liegen.
"Ich habe vorgeschlagen, die Spiele um ein Jahr zu verschieben, und Präsident Bach hat dem zu 100 Prozent zugestimmt", sagte der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe am Dienstagmittag. Kurz danach versandte das IOC gemeinsam mit den Tokio-Organisatoren eine Erklärung, in der es die Verlegung bestätigte.
Damit wird es erstmals in der 124-jährigen Geschichte zu einer Vertagung der Sommerspiele kommen. Bisher gab es lediglich - während der beiden Weltkriege - diverse Absagen. Wichtig für viele, insbesondere finanzielle Folgefragen ist dabei, dass Japans Premier Abe und damit die Verantwortlichen des Austragungsortes vorschlugen, die Spiele zu verschieben - und nicht die Ringe-Organisation selbst. Sportler, Funktionäre und Politiker begrüßten diesen Schritt am Dienstag flächendeckend. "Aufgrund der Ausbreitung der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Gesundheitsrisiken für alle Beteiligten ist dies der einzig richtige Weg", sagte etwa der Verein Athleten Deutschland.
Mit der Verlegung zogen das IOC und die japanischen Verantwortlichen die Reißleine nach einer zähen Debatte, in der sie viel Kritik kassierten. Doch selbst beim Entscheid für die Olympia-Verschiebung erweckten sie erneut einen irritierenden Eindruck. So hieß es zum Beispiel in der gemeinsamen Erklärung: "Unter den gegenwärtigen Umständen und auf der Grundlage der heute von der (Weltgesundheitsorganisation) WHO bereitgestellten Informationen" seien IOC-Chef Bach und Premier Abe zu dem Schluss gekommen, dass die Spiele verlegt werden müssten, um die Gesundheit der Athleten, der anderen Olympia-Beteiligten und der internationalen Gemeinschaft zu schützen.
Da stellt sich jetzt nur die Frage, welche Informationen die Verantwortlichen in den vergangenen Tagen berücksichtigten, als sie trotz der erdrückenden Corona-Entwicklung sich nicht für eine Verlegung entscheiden mochten. Wer die Abläufe nachzeichnet, erkennt vielmehr, wie sich das IOC und die Tokio-Organisatoren einem immensen Druck beugen mussten - und das nicht zuletzt durch die wichtigsten Akteure der olympischen Welt: die Athleten.
Noch am Sonntag hatte das IOC erklärt, dass es sich vier Wochen Zeit nehmen wolle, um eine mögliche Verschiebung zu prüfen. Zahlreiche Sportler protestierten dagegen. Verschiedene Länder kündigten an, ihre Sportler nicht im Sommer nach Tokio zu schicken, erst Kanada, Australien und Norwegen, später auch das mächtige Olympia-Komitee der USA. Andere, wie Deutschland, forderten eine zügige Verlegung. Auch in den Fachverbänden regte sich Widerstand gegen die Hinhaltestrategie.
Das kanadische IOC-Urgestein Dick Pound erklärte dann als erstes Mitglied des Ringe-Zirkels, dass eine Verschiebung beschlossene Sache sei. Das war am Montagabend, und da versuchte die IOC-Zentrale noch, diese Aussage als Meinungsbeitrag und Interpretation eines Einzelnen abzutun. Aber schon bald am Dienstag zeigte sich, dass Pound nur der Erste gewesen war, der das Offenkundige ausgesprochen hatte, bis es am Mittag dann offiziell war.
Reaktionen zur Olympia-Verlegung:"Diese Spiele wären die Hölle für uns gewesen"
Die Sportwelt begrüßt die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio - doch auch Trauer und Enttäuschung sind zu spüren.
Strittig war bezeichnenderweise bis zum Schluss, auf welchen Termin die Spiele nun verschoben werden sollen. Das japanische IOC-Mitglied Morinari Watanabe, der zugleich Präsident des internationalen Turnverbandes ist, schlug noch am Dienstag allen Ernstes den Herbst 2020 als Ersatzdatum vor. Eines seiner zentralen Argumente war: Das würde den wirtschaftlichen Schaden minimieren.
Aber den Olympia-Verantwortlichen war klar, dass sie sich nach ihrem tagelang kritisierten Kurs damit direkt dem nächsten Aufschrei ausgesetzt hätten. Denn unter den führenden Virologen ist die herrschende Meinung, dass die Folgen der Corona-Verbreitung im Herbst noch nicht ausgestanden sein werden. Zudem wirken die aktuellen sportlichen Probleme - beispielsweise die gravierenden Beeinträchtigungen im Training oder das kaum noch existente Dopingkontrollsystem - bis dahin sicher nach.
Es ist nur ungewiss, wie das nun bei einem möglichen neuen Termin aussehen wird. Keiner kann seriös vorhersagen, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickelt. Möglicherweise führt es auch dazu, dass es gar kein "Tokio 2020" geben kann. Laut IOC-Präsident Bach ist über ein exaktes neues Datum noch nicht diskutiert worden. "Es kommen 11 000 Athleten aus 206 Ländern zusammen, die Fans, die Sponsoren, die Verbände und so weiter. Es gibt so viele Puzzlestücke. Das braucht Zeit", sagte er. Für den Sommer 2021 sind bisher die verlegte Fußball-EM sowie Weltmeisterschaften in den Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik vorgesehen. Andererseits geraten wegen der Corona-Pandemie gerade in allen Sportarten die Kalender durcheinander, auch in Europas Vereinsfußball und in den nordamerikanischen Profiligen. Das alles wird einen Einfluss haben, der Weltsport steht vor einer großen logistischen Herausforderung.
Andere organisatorische Fragen stellen sich derweil unabhängig vom konkreten Datum. So waren zum Beispiel einige Sportstätten nur als temporäre Einrichtungen geplant. Auch sollten die Wohnungen im vorgesehenen Olympiadorf nach den Spielen eigentlich schon an die neuen Eigentürmer übergehen. Das zu lösen, ist nun Sache der Verantwortlichen in Tokio.
Aber selbst nach dem Kommunikations- und Strategiedesaster der vergangenen Tage konnten es die Verantwortlichen nicht unterlassen, die Verlegung der Spiele noch mit einer Portion Pathos zu versehen. Bach und Abe seien sich einig, hieß es in der Erklärung, "dass die Olympischen Spiele ein Signal der Hoffnung an die Welt in diesen schwierigen Zeiten sein können - und dass die olympische Flamme das Licht am Ende des Tunnels werden könne, in dem sich die Welt gerade befindet".