Tokio 2021:Olympia in der Leere

Tokio 2021: So wird es auch in zwei Wochen aussehen: Leere Sitzschalen wie hier bei einem Test-Event im Olympiastadion.

So wird es auch in zwei Wochen aussehen: Leere Sitzschalen wie hier bei einem Test-Event im Olympiastadion.

(Foto: PHILIP FONG/AFP)

Japans Regierung verhängt den nächsten Coronavirus-Notstand. Das hat Folgen für die Sommerspiele. Sie finden in Tokio und Umgebung jetzt doch ohne zahlende Zuschauer statt.

Von Thomas Hahn, Tokio

Ausgang 6b führt zur Ariake Arena, steht auf dem großen roten Tokyo-2020-Schild im U-Bahnhof Toyosu. Treppe rauf, noch eine Treppe rauf an diesem Regentag im vorolympischen Tokio, und dann mit der vollautomatischen Yurikamome-Bahnlinie, die über eine hohe Trasse durch die weite Hochhauslandschaft des Stadtteils Ariake führt, zur Station Ariake-tennis-no-mori. Rechter Hand befindet sich der sogenannte Ariake Urban Sports Park, in dem bei den Olympischen Spielen Skateboard- und BMX-Wettbewerbe stattfinden sollen. Linker Hand ist die Halle der Turnwettbewerbe, gleich dahinter die Ariake Arena, Schauplatz des Volleyball-Turniers.

Niemand da, aber alles ist fertig für das große Sportfest, das in zwei Wochen beginnen soll: die Funktionszelte, die Stahlrohrtribünen mit den blauen Schalensitzen, die Zugangskanäle für die Zuschauer, die Ticketschalter.

Aber so wie es aussieht, braucht es die Schilder, die Tribünen und Ticketschalter an Tokios olympischen Sportstätten überhaupt nicht. Denn Zuschauer werden nicht kommen. Am Donnerstag entschied Japans Premierminister Yoshihide Suga, den nächsten Coronavirus-Notstand über die Präfektur Tokio zu verhängen. Am Montag soll er beginnen und bis 22. August andauern. Die 16 olympischen Tage ab 23. Juli stehen damit komplett unter dem Vorbehalt des Pandemieschutzes.

Und am späten Abend verkündete dann Olympia-Ministerin Tamayo Marukawa, dass die Wettbewerbe in Tokio entgegen der ursprünglichen Absicht nun doch ganz ohne zahlende Zuschauer stattfinden werden. Davor hatte sich die Runde der Veranstalter online beraten. Mit dabei war auch Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Er war wenige Stunden zuvor in Tokio gelandet und aus seiner dreitägigen Hotelzimmer-Quarantäne zugeschaltet. Die neue Zuschauer-Entscheidung nahm er mit sportstaatsmännischem Gleichmut. "Wir haben unsere Verantwortung seit der Verschiebung gezeigt", sagte er, "wir werden sie auch heute zeigen und alle Maßnahmen unterstützen, die notwendig sind, um sichere Olympische und Paralympische Spiele für die japanischen Menschen und alle Teilnehmer zu haben."

Noch etwas später wurde bekannt, dass es auch in den Olympia-Sportstätten in Tokios Nachbarpräfekturen Kanagawa, Saitama und Chiba keine zahlenden Zuschauer geben wird.

Der neue Notstand - insgesamt Tokios vierter während der Pandemie - bedeutet nicht, dass strenge Lockdowns oder polizeilich überwachte Verbote vorgesehen sind. So etwas hat es in Japan in der Pandemie nie gegeben. Die Regierung beschränkt immer eher sachte den Alltagsverkehr, fordert zum Beispiel Gaststätten auf, um 20 Uhr zu schließen und keinen Alkohol auszuschenken, empfiehlt den Menschen, zu Hause zu bleiben, Abstand zu halten. Und dazu gehört dann eben auch, dass keiner zu den Olympia-Wettbewerben kommen soll.

Japan macht überhaupt nicht den Eindruck, als wäre irgendjemand in olympischer Feierlaune

Vorfreude kommt so natürlich nicht auf, zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier. Japans Regierung weiß offenbar selbst nicht so genau, was sie sich trauen soll. Gerade in der Zuschauerfrage zeigt sie das. Zuschauer aus dem Ausland hatte sie als erste Gastgeberin der olympischen Geschichte ja schon im März ausgeschlossen. Da hätte sie eigentlich schon ganz gerne zumindest ein bisschen was möglich gemacht. Aber sie ist hin- und hergeworfen zwischen wirtschaftlichen Erwägungen und Virusangst. Erst entschied sie, bis zu 10 000 Zuschauer oder 50 Prozent des Fassungsvermögens einer Arena sowie Alkoholverkauf zuzulassen. Dann kassierte sie nach erbitterter Kritik den Alkoholverkauf. Korrigierte bald darauf die Zuschauerzahl auf maximal 5000. Und jetzt steht also die historische Null. Olympia in der Leere.

Tokyo 2020 five-party meeting

IOC-Präsident Thomas Bach spricht, daneben Organisationschefin Seiko Hashimoto.

(Foto: POOL/REUTERS)

Japan machte am Donnerstag überhaupt nicht den Eindruck, als wäre irgendjemand in olympischer Feierlaune. Die Regenzeit macht Sorgen. Im Westen Japans waren 1,3 Millionen Menschen aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen wegen der Gefahr von Überschwemmungen und Erdrutschen. In Atami, Shizuoka, Präfektur der olympischen Radsportwettbewerbe, bargen Hilfskräfte das achte und neunte Todesopfer einer Schlammlawine, die dort am Sonntag niedergegangen war. Und in Tokio verbreitete Premierminister Suga Corona-Krisenstimmung, als er sagte: "Wir müssen strengere Schritte unternehmen, um einen landesweiten Ausbruch zu verhindern, und auch die Auswirkungen von Coronavirus-Mutanten bedenken."

Erst vor zwei Wochen hatte er den Notstand für beendet erklärt. Seither steigen in Tokio die Infektionszahlen. Am Mittwoch waren es 920 neue Covid-19-Fälle, so viele wie seit Mitte Mai nicht mehr. Das klingt nach nicht viel für eine Präfektur mit 14 Millionen Einwohnern. Aber in Japan ist man eben sensibel und das Gesundheitssystem offenbar weiterhin nicht angepasst an die Nöte der Pandemie; es gibt in den Krankenhäusern relativ wenige Betten für Patienten mit einer hochansteckenden, potenziell tödlichen Krankheit wie Covid-19.

Premierminister Suga bemühte sich, zumindest ein bisschen Zuversicht zu verbreiten. Wenn sich die Lage verbessere, das Impfprogramm fortschreite und der Druck auf die Krankenhäuser nachlasse, könne man den Notstand auch früher beenden. Er meinte es sicher gut. Aber er wusste selbst: Früher als geplant hat er noch keinen Notstand beendet. Im Gegenteil.

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