Süddeutsche Zeitung

Olympia-Abschlussfeier:Spiele des Nebeneinanders

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Die Olympischen Spiele in Tokio sind zu Ende - nun wandert die Ringe-Flagge weiter nach Paris. Mit der Hoffnung, dass die Wettkämpfe dort wieder unter Menschen stattfinden können.

Von Holger Gertz, Tokio

Schon zwei Stunden vor Beginn der Schlussfeier im Nationalstadion von Tokio spielten sich vielsagende Szenen ab. Geprobt wurde die traditionell während der Closing Ceremony abgehaltene Siegerehrung der Marathonläufe, die Medaillengewinner wurden gedoubelt von drei Auserwählten aus dem Team der wunderbaren Mitarbeiter hier während der Spiele. Hymne, Flaggen, Siegerpodest - alles dabei. Die Medaillen waren allerdings nur gedachte Medaillen, dabei hätten die Volunteers in ihren blauen Uniformen echtes Gold verdient gehabt. Und wenigstens bekamen später einige von ihnen einen dieser Siegerblumensträuße, in die ein kleiner Miraitowa, das Olympia-Maskottchen, so schön hineingebunden ist.

Die Japaner und Japanerinnen, gerade die ungezählten Helfer und Helferinnen aus dem Organisationsteam, haben ihre Spiele beseelt, vom Publikum da draußen bekam man als Mitglied der ständig getesteten und überwachten Blase in den Stadien leider nicht viel mit. Die Leute durften nicht ins Stadion wegen der Pandemie. Stille Spiele waren das in Tokio, denen das Miteinander fehlte. Es war ein Nebeneinander, aber so kontrolliert und gut organisiert, dass das Internationale Olympische Komitee es natürlich feierte, als ein Zeugnis menschlicher Resilienz. IOC-Chef Thomas Bach sagte, dass die Menschen auf dem Globus vereint gewesen seien bei Olympia und meinte offenbar das Fernsehpublikum.

Die Feier ist gekennzeichnet von der Behauptung, dass auch ein Fest unter Social-Distancing-Bedingungen bestehen kann

Im kulturellen Teil der Schlussfeier wurde subtil dann doch dem Unter-Menschen-Sein gehuldigt, das diesmal ausfiel. Das Eröffnungssegment hieß "Eine Welt des Applauses", auf englisch weniger sperrig "a world of applause". Wobei der Applaus vordergründig den Athleten galt, die die Spiele zu Spielen trotz allem gemacht hatten, mit ihren Leistungen, und mit der Bilderkraft ihrer Siege und Niederlagen, ein Zusammenschnitt auf der Stadionleinwand bewies das, was auch das Fernsehen ja gezeigt hatte während Olympia. Sah doch alles ganz gut aus.

Aber wer dem Applaus huldigt, wird ihn auf die Dauer wieder von Menschenmengen im Stadion hören wollen, der Applaus ist nicht nur bei Olympia am beeindruckendsten, wenn er wie ein Meeresrauschen ist, nicht wie das Plätschern eines Bächleins.

So war die Feier gekennzeichnet von der Behauptung, dass auch ein Fest unter Social-Distancing-Bedingungen bestehen kann, was ja Tokio bewiesen habe. Andererseits täuschte man, nicht zuletzt fürs Fernsehen, eine Fülle vor, die es real nicht gab. Die Parade der Athleten sorgte dafür, dass im Innenraum des Stadion ein Gedränge herrschte; die Tribünen blieben natürlich leer.

"Die Abschlusszeremonie schlägt immer ein neues Kapitel in der Geschichte der Spiele auf", stand im Programm der Schlussfeier, jetzt wandert die Olympische Flagge weiter nach Paris, die Bürgermeisterin Anne Hidalgo nahm sie in Empfang und schwenkte sie verhalten. Erstmals bei Schlussfeiern wurde der nächste Gastgeber medial zur Geltung gebracht, weil das mediale Zur-Geltung-Bringen ein Kennzeichen dieser Spiele gewesen ist - sie waren ja gemacht für Bildschirme jeden Zuschnitts.

Also wurde nach Paris geschaltet, und unter dem Eiffelturm standen Menschen zusammen und feierten sich und die Aussicht auf ihre Spiele. Schön sah das aus, aber besonders coronagerecht wohl nicht, jedenfalls wenn man gewöhnt ist an die Disziplin, mit der die Japaner und Japanerinnen in der Waschküchenatmosphäre des Sommers in Tokio ihre Masken tragen. Und für einen Moment konnte man sich leise fragen, wie die japanischen Zuschauer wohl denken, zuhause am Fernseher, wenn sie die Schlussfeier sehen. Und wenn sie sehen, dass drüben in Frankreich all das gefeiert wird, was ihnen in Tokio verwehrt geblieben ist.

Denn am Ende ist das das tragende Motiv von Paris 2024, so simpel wie gewaltig: dass der Mensch bis dahin, hoffentlich, wieder unter Menschen sein darf.

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