Es schien, als hätte sich Kauli Vaast mit den Wellen verschworen. Das olympische Surffinale der Männer war eben erst gestartet, als der Franzose anpaddelte, auf sein Brett sprang und gleich darauf das Meer über ihm brach. Vier, fünf, sechs Sekunden verschwand er in der Wasserröhre, die kraftvoll voranrollte, länger geht kaum. Als Vaast dann auf beiden Beinen wieder aus dem Tunnel hervorschoss, war allen klar, dass er die Welle des Tages erwischt hatte – und sie souverän beherrschte: Die Wertungsrichter vergaben 9,5 von zehn möglichen Punkten.
Die staunenden Gesichter über Vaasts Ritt hatten sich noch nicht wieder entspannt, als der andere Finalist, Jack Robinson aus Australien, gleich mit der nächsten Welle vor Tahiti ebenfalls ein sogenanntes Barrel erwischte. Sein Konter erzielte immerhin 7,83 Punkte – Schlagdistanz also, schließlich zählen im Surfen die beiden besten Versuche zusammengerechnet.
3x3-Basketball bei Olympia:Und dann holen sie tatsächlich Gold
Zweimal schien für die deutschen Basketballerinnen Schluss zu sein – doch es war nicht Schluss. In dramatischen Spielen gewinnt das Team Gold, Dirk Nowitzki ist einer der ersten Gratulanten. Der Sieg ist eine Sensation, folgt aber einem langen Plan.
Vaast wollte aber offenbar keine Zweifel an seinem Olympiasieg aufkommen lassen: Wiederum nur eine Minute später steuerte er abermals gekonnt durch die Wasserröhre (8,17 Punkte). Und nun, nachdem der Franzose zwei nahezu perfekte Läufe in den Büchern hatte, begann die Verschwörung zwischen Vaast und den Wellen von Teahupoʻo. Rund 25 Minuten waren vom 35-minütigen Finallauf noch übrig – doch der Ozean lieferte keine brauchbaren Wellen mehr. Die Highlight-Sequenz war vorbei, der Meeresmotor in Französisch-Polynesien erlahmte und so gelang Robinson bis zur Schlusssirene kein einziger weiterer Versuch. Für Vaast bedeutete das: Gold im heimischen Wohnzimmer, oder besser, in der heimischen Badewanne.
Mit acht Jahren surft Vaast zum ersten Mal vor Teahupoʻo – dabei wollte er die Welle eigentlich gar nicht reiten
Der 22-Jährige wurde auf Tahiti geboren, in Vairao, einem Ort gleich neben dem Fischerdorf Teahupoʻo. Rund 190 000 Menschen leben auf der Insel – und nun auch ein Olympiasieger. Dabei wiesen seine bisherigen Ergebnisse Vaast nicht als Goldfavorit aus. Aber die Surfer starteten eben vor seiner Haustür im Südpazifik. Kein anderer Athlet kennt diese Welle besser als er.
Mit vier Jahren stand Vaast zum ersten Mal zusammen mit seinem Vater auf dem Longboard, so erzählte er es in einer Kurzdokumentation auf dem offiziellen Olympia-Kanal vor Beginn der Spiele. Mit acht hatte er dann seinen ersten eigenen Ritt vor Teahupoʻo. Vaast nennt es eine seiner lebhaftesten Erinnerungen überhaupt. Eigentlich habe er nie das Bedürfnis gehabt, auf dieser Welle zu surfen – zu gefährlich und beängstigend.
Die scharfen Korallenriffe knapp unterhalb der Wasseroberfläche bergen großes Risiko. Vaasts Finalgegner Robinson verletzte sich bei einem Sturz kurz vor Beginn der Spiele, sein rechter Fuß musste mit fünf Stichen genäht werden. Viele der Athletinnen und Athleten surften sicherheitshalber mit Schutzhelm.
Während der Frauen-Halbfinals schwimmen Wale in der Nähe der Surferinnen
In der Doku bezeichnet Vaast Teahupoʻo als „die schönste Welle der Welt“. Für ihn sie nun auch eine goldene. Bronze in der Männerkonkurrenz ging an den Brasilianer Gabriel Medina, der somit seine ikonische Jubelpose aus Runde drei veredelte. Bei den Frauen gewann die US-Amerikanerin Caroline Marks vor Tatiana Weston-Webb (Brasilien) und Johanne Defay (Frankreich). Während der Halbfinals stießen mehrmals Wale in der Nähe der Surfstätte an die Wasseroberfläche und hoben die Flosse, als wollten sie die Athletinnen grüßen.
Der Austragungsort der Surfwettkämpfe vor Tahiti, mehr als 15 000 Kilometer entfernt von Paris, hatte im Vorfeld zwar Skepsis – im Verlauf der Spiele aber vor allem wirkmächtige Bilder erzeugt. Eindrücke, die Profisurfen als olympische Disziplin langfristig etablieren dürften. Wo genau die Surferinnen und Surfer bei Olympia 2028 in Los Angeles ihre Wellen reiten werden, steht noch nicht fest. Spektakuläre Spots gibt es vor der Küste von Kalifornien jedenfalls genug.