Süddeutsche Zeitung

Olympia:Streiche gegen die Skepsis

Das Internationale Olympische Komitee hat jahrzehntelang das Geldverdienen über die Kultur und die Moral gestellt. Und doch müssen die Spiele stattfinden, damit man ihre Schwächen diskutieren kann.

Von Thomas Hahn

Damals in London. Olympia fügte sich ins Bild der großen Stadt, als gehörte es genau dorthin. Die Menschen waren begeistert. 16 Tage lang zeigte sich die Kraft des Sports in großen und kleinen Geschichten, und dann war da ja auch noch dieses Zeichen, auf das der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge besonders stolz war. Die Olympischen Spiele 2012 waren die ersten, bei denen alle teilnehmenden Nationen mindestens eine Frau im Team hatten. Sogar das konservative islamische Königreich Saudi-Arabien, dessen religiöse Gepflogenheiten für Frauen kein öffentliches Sporttreiben vorsehen, brach mit seiner Tradition. Zum ersten Mal in seiner Geschichte entsandte es nicht nur Männer zu den Spielen, sondern auch zwei Athletinnen. "Eine historische Entwicklung", sagte Rogge. Die 800-Meter-Läuferin Sarah Attar und die Judo-Kämpferin Wodjan Shaherkani wurden zu Symbol- figuren für die stärker werdenden Frauenrechte in einem Teil der Welt, in dem immer noch alle Macht vom Mann ausgeht.

Das ist die eine Seite der Londoner Olympia-Geschichte, die herrliche. Jene Seite, die allen Freunden des Friedens und der Freude auch vor dem Referendum zur Hamburger Spiele-Bewerbung an diesem Sonntag ein klares Ja zum Olympischen und Paralympischen Fest aufdrängt. Es muss sich schließlich was rühren in dieser Welt. Die Jugend braucht Spielfelder. Und ein Ereignis, das sogar saudische Scheichs zu mehr Freiheit für Frauen bewegt, kann doch gar nicht schlecht sein.

Allerdings ist da eben auch noch die andere Seite der schönen Geschichte um die Frauen in London, und die erklärt vielleicht ein bisschen, warum das Ja zu Olympia manchem doch nicht so leicht fällt.

Sarah Attar und Wodjan Shaherkani waren Medien-Attraktionen in London. Journalisten aus aller Welt wollten etwas von ihnen hören, was allerdings nur bedingt gelang. Die US-Studentin Attar hatte vorher in einem IOC-Video gesagt, dass sie Zeichen setzen wolle für die Frauen in der Heimat ihres Vaters. Nach ihrem Erstrunden-Einsatz, den sie im Hijab bestreiten musste und als Letzte beendete, lächelte sie nur und sprach von einer "unglaublichen Erfahrung". Wodjan Shaherkani lag in ihrem Erstrunden-Kampf der Klasse bis 78 Kilo nach 82 Sekunden auf dem Kreuz und schaute kurz darauf schüchtern in die Kameras. Ein Übersetzer sprach ein paar Höflichkeiten aus, von denen keiner wusste, ob sie wirklich von der Athletin stammten. Und heute? Sarah Attar hat in einem Interview gesagt, in Saudi-Arabien hätte sie von Mädchen erfahren, wie inspirierend der London-Auftritt für diese gewesen sei - aber wie es weitergeht mit Saudi-Arabiens olympischer Frauen-Kampagne, wusste sie nicht. Und von Wodjan Shaherkani hat man gar nichts mehr gehört. Ihr Profil beim Judo-Weltverband weist seit Olympia keinen Kampf aus. Außerdem heißt es dort, sie sei männlich und 115 Jahre alt.

Wenn man diese Seite der Geschichte betrachtet, kommen die Zweifel. Ist das IOC wirklich ein Motor für gesellschaftlichen Ausgleich? Oder bedient es einen gefräßigen Medien-Voyeurismus und schafft Alibis für Länder, in denen die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft noch nicht angekommen sind? Um was geht es auf dieser Bühne? Um Menschen? Um einen Anschein von Moral?

Im Grunde ist der Sport der perfekte Hebel für eine bessere Welt. Am Donnerstag war in Hamburg wieder ein prominent besetztes Podiumsgespräch zur Olympia-Bewerbung für 2024. Diesmal kam die Einladung von der Stiftung "Laureus Sport for Good", die Sozialarbeit für benachteiligte Jugendliche leistet. Natürlich gab es wieder diverse Hymnen auf die Werte des Sports, seine einigende Kraft, die Reize, die er setzt, die Vorbilder, die er hervorbringt. Alle hatten Recht. Und es stimmt auch, dass Olympische, erst recht Paralympische Spiele eine wichtige Werbeveranstaltung sind für diese Kultur der Bewegung, des Wettstreits, des Umgangs mit den Elementen der Natur.

Aber die Skepsis ist eben auch da. Das IOC hat sie sich verdient, indem es über Jahrzehnte mit großer Beharrlichkeit das Geldverdienen über die Kultur stellte. Spätestens seit den Coca-Cola-Spielen von Atlanta 1996 erwecken die Herren der Ringe den Eindruck, als seien die Spiele für den Kommerz da und nicht der Kommerz für die Spiele. Sie sind immer größer geworden, immer teurer, immer fordernder für die Natur. Noch im vergangenen Jahr hat IOC-Präsident Thomas Bach bei Winter-Olympia in Sotschi die Russen für den 50 Milliarden Dollar teuren Irrsinn gelobt, binnen sieben Jahren am Schwarzen Meer einen Betonpark mit fünf mächtigen Sportburgen aus dem Boden zu stampfen und dazu das Tal von Krasnaja Poljana olympia-tauglich auszubauen. Die Debatten um Menschenrechtsfragen in den nicht-demokratischen Olympia-Ländern China und Russland führte das IOC nicht neutral, sondern im Sinne seiner Gastgeber. Und bei den Urproblemen des Sports, Korruption und Doping, reagierten die Verbände meistens erst, wenn Behörden oder Medien die Autonomie des Sports durchbrachen. Der Doping-Zustand der russischen Leichtathletik, auf den der Weltverband IAAF jetzt mit Sperren und Zetern reagiert, kam auch erst durch Recherchen der ARD auf.

Angeblich besinnt sich das IOC. Gerade in Hamburg verweist man ständig auf dessen Agenda 2020, die den Spiele-Gigantismus eingedampft habe. Aber erstens ist das Papier der 40 Empfehlungen auch erst aus der Not geboren, nachdem ein europäischer Winterolympia-Bewerber nach dem anderen an der Bevölkerung gescheitert war. Zweitens sind die Spiele dadurch nicht kleiner geworden. Die Agenda kommt einem fast vor wie eine PR-Maßnahme, mit der das IOC davon ablenken kann, dass es seinen Spiele-Ballon in Wirklichkeit gar nicht richtig verändern will.

Ablehnung ist offenbar die einzige Form der Kritik, auf die das IOC reagiert. Aber so ein Nein sagt sich leichter, als es zu Ende gedacht ist. Olympia wird nicht besser, indem man es verhindert. Die Spiele müssen stattfinden, damit man ihre Schwächen diskutieren kann. Zumal sie für ein paar hübsche Streiche eben doch geeignet sind. In Saudi-Arabien sollen sich ein paar Herren sehr darüber geärgert haben, dass ihr Land in London plötzlich auch Frauen bei den Spielen hatte.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015
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