Olympia:Stich ins Herz

Ice Hockey - Winter Olympics Day 16

Kurzzeitig am Boden: Dominik Kahun (Nummer 72) und Frank Mauer.

(Foto: Bruce Bennett/Getty Images)
  • Das deutsche Eishockey-Team verliert das Olympia-Finale gegen die Athleten aus Russland in der Verlängerung mit 3:4.
  • Torwart Danny aus den Birken wird zum Torhüter des Turniers gewählt - und am Ende überwiegt die Freude über die Silbermedaille.
  • Hier geht es zum Medaillenspiegel.

Von Saskia Aleythe, Pyeongchang

Danny aus den Birken blieb gleich auf dem Eis liegen. Es war die 70. Minute im Gangneung Hockey Center, als ihm Kirill Kaprisow mit seinem Siegtor einen Schmerz zufügte, den der Torhüter später so beschrieb: "Hat dir schon mal einer ins Herz gestochen? Das ist ungefähr das gleiche. Der Moment tut weh."

Dass sie überhaupt ins Endspiel dieser Olympischen Spiele gekommen waren, war für die deutsche Eishockey-Mannschaft schon der größte Erfolg gewesen, doch so wie die Partie dann verlief, gab es nach dem 3:4 (0:1, 1:0, 2:2, 0:1) durchaus Momente des Wehmuts. 55 Sekunden vor Schluss der regulären Spielzeit prangte noch ein 3:2 auf der Anzeigetafel - für Deutschland. "Wir waren wahrscheinlich für drei Minuten Olympiasieger", sagte Moritz Müller, in der 57. Minute war ja das 3:2 gefallen, "das ist schon sehr bitter, noch den Anschluss zu kriegen." Doch als das Team von Marco Sturm wenige Minuten später bei der Siegerehrung für die vergangenen zwei Wochen in Südkorea belohnt wurde, war auch Torwart aus den Birken schon vom Herzschmerz befreit: "Sobald die Medaille um war, habe ich merkt, was wir geschafft haben. Und das ist phänomenal."

Tanz- und jubelfreudige Russen im Publikum

Gegen die Athleten aus Russland waren die Deutschen der Außenseiter, in Russland ist man viel mehr auf Eishockey eingeschossen und gibt auch gerne viel Geld für hochklassige Spieler aus. Bevor die Spieler aufs Eis durften, versuchte eine koreanische Sängerin, mit Jennifer-Lopez-Motivationssongs das Publikum in Stimmung zu bringen, etwa 20 Prozent der Sitze waren zu Beginn der Partie noch leer, ein Block machte aber ohnehin seine eigene Party: Tanz- und jubelfreudige Russen bildeten mit ihren T-Shirts ein "#Russiainmyheart" und "Red Machine", eine Hommage auch an die erfolgreiche Zeit der ehemaligen UdSSR-Auswahl bis Ende der 1980er Jahre.

Dass die russischen Spieler mit ihren Erfahrungen aus der heimischen Liga ein anderes Eishockey gewohnt sind, zeigte sich schnell. Danny aus den Birken, der zum überragenden Torhüter im Turnier aufgestiegen war, kam früh in Beschuss, die Deutschen mussten sich stets aus brenzligen Situationen befreien und taten das tapfer. Kritisch wurde es, als Christian Ehrhoff nach zwölf Minuten die erste Zeitstrafe verpasst bekam, was den Russen noch mehr Austobungspotential verschaffte.

Ausgerechnet da leisteten sie sich aber technische Unsauberkeiten, Kirill Kaprisow und Pawel Dazjuk scheiterten aus kurzer Distanz an aus den Birken. In der 18. Minute legte Kaprisow den Puck in einem Konter auf Alexander Barabanow, aber auch den konnte der Deutsche abwehren. Sich von Drittel zu Drittel zu hangeln und schadlos zu halten, musste die Devise sein. Und als alles schon danach aussah, als würde es mit einem 0:0 in die Pause gehen, traf Wjatscheslaw Woinow - 0,5 Sekunden vor der Sirene.

Mit diesem fiesen Gefühl, so knapp noch erwischt worden zu sein, musste das Team von Marco Sturm in der Kabine wieder neuen Mut entwickeln und vor allem die Frage beantworten: Wo sollte jetzt ein Tor herkommen? Sechs Schüsse hatten sie im ersten Drittel auf den gegnerischen Kasten abgegeben - im Vergleich zu zwölf russischen - keiner davon brachte das Team von Trainer Oleg Snarok sonderlich ins Bibbern. Was sich dann gleich nach 90 Sekunden ändern sollte: Dominik Kahun brachte sich gut in Position und forderte Wassili Koschetschkin.

Angriffslustig waren die Deutschen wieder aufs Eis gekommen und in der 30. Minute lag der Puck dann tatsächlich im russischen Tor: Felix Schütz hatte Koschetschkin das Spielgerät durch die Beine geschleudert, er lenkte ab zum 1:1, doch der Videobeweis musste noch klären, ob Patrick Hager mit seinem Schlittschuh zum Tor beigetragen hatte. "It's a good goal", sprach schließlich der Schiedsrichter und dann jubelte alles, was keine russische Fahne trug. Danach mussten die Deutschen noch eine erneute Zeitstrafe von Ehrhoff überwinden, was glückte.

Das Sturm-Team wollte sich nicht mit Silber abfinden

Aus der anfänglichen Abwehrschlacht der Deutschen wurde nun eine offene Partie, mal spielte Daryl Boyle den Puck auf Patrick Hager, der am Tor lauerte, mal bekam er von Christian Ehrhoff einen feinen Pass. Russland wirkte nicht mehr wie die Maschine aus dem ersten Drittel, in dem eigentlich kein Spieler vom Gerät zu trennen gewesen war und die Deutschen nur so lange ohne Gegentreffer geblieben waren, weil sich die Defensivkräfte um Ehrhoff in die Schüsse geworfen hatten. Nun also 1:1 nach dem zweiten Drittel. Konnte man da Gedanken an einen Olympiasieg aufkommen lassen?

Das Sturm-Team spielte nicht so, als würde es sich mit Silber zufrieden geben wollen und kam mit frechem Powerplay daher. Koschetschkin lenkte den Puck in der 42. Minute an den Pfosten, ein Konter der Russen blieb ohne Konsequenzen. Deutschland spielte spätestens jetzt ebenbürtig, war gefährlich in Offensivaktionen, musste dann aber wieder hinten höchste Gefahr abwehren. Patrick Reimer warf sich in einen Schuss, verlor dabei den Schläger und krabbelte auf dem Eis dem Puck hinterher.

In der nächsten Szene hallten die Russia-Rufe wieder durch die Halle: Nikita Gussew machte aus spitzem Winkel das bemerkenswerte 2:1. Doch Entmutigung war nicht angesagt im DEB-Team, nur zehn Sekunden nach dem Bully stand es schon 2:2: Kahun stürmte einfach mal los, das russische Netz zappelte, sechs Minuten waren da noch in der regulären Spielzeit zu absolvieren.

"Ein Hoch auf uns", spielte der koreanische DJ ein, was drei Minuten später schon wieder durch die Halle klang, Jonas Müller guckte sich eine Lücke aus, zog ab, wieder Zappeln hinter Koschetschkin, 3:2. Es hätte dann schon ganz gut enden können, Russland bekam eine Zeitstrafe, doch dann nutzte Gussew einen Abpraller aus dem Getümmel zum 3:3 - 55 Sekunden Restspielzeit standen da noch auf der Anzeige.

Und die Overtime, die den Deutschen im bisherigen Turnierverlauf so gut getaugt hatte, brachte schließlich die Entscheidung gegen eine deutsche Goldmedaille: Als Patrick Reimer mit einer Zeitstrafe runter musste, nutzte Kaprisow die Überzahl aus. Schläger der russischen Athleten flogen durch die Luft, sie sammelten sich zum roten Knäuel auf dem Eis. Aus den Birken wurde noch zum besten Torhüter des Turniers gewählt und ging dann mit den Worten "Ich bin mehr als nur happy, ich könnte Bäume ausreißen" durch den Kabinentrakt.

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