Snowboarden bei Olympia:Springen wie die Großen, Landen wie die Katzen

Snowboarden bei Olympia: Akrobaten, die am Bild ihres Sports malen: Annika Morgan bei ihrem Lauf im gewaltigen Slopestyle-Park von Zhangjiakou.

Akrobaten, die am Bild ihres Sports malen: Annika Morgan bei ihrem Lauf im gewaltigen Slopestyle-Park von Zhangjiakou.

(Foto: Lee Jin-Man/dpa)

Die deutschen Freestyler um Annika Morgan, 19, wirbeln durch die Weltspitze - das erzählt viel darüber, was im olympischen Hochleistungszirkus möglich ist. Mit bescheidenen Mitteln und einer gesunden Leistungskultur.

Von Johannes Knuth

Der Weg zum Erfolg führt durch einen Kraftraum, vorbei an Postern deutscher Skirennfahrer, dem Logo der örtlichen Bank, vorbei auch an den jungen Skispringern an der Beinpresse, alle im gleichen Hemd und in der gleichen Hose. Dann öffnet sich die Tür zur Erfolgskammer: kühles Licht, zwei Trampoline, die im Boden eingelassen sind, die Wände zehn Meter hoch. Ein Jahr war diese Halle gerade alt, beim Besuch vor vier Jahren in Berchtesgaden, man roch noch die Farbe. Erst damit, sagte Benedikt Baur damals, Trainer im deutschen Verband Snowboard Germany, könne man endlich "gescheit arbeiten".

Die Halle erzählte schon damals eine Menge über das olympische Snowboarden von heute. Baurs Trainingsgruppe, ein bunter Haufen an Jungs, 14 bis 18 Jahre, wilde Locken, lockere Sprüche, waren gerade eineinhalb Stunden durch den Schnee gepflügt: am Jenner in Berchtesgaden, wo sie alle im Sportinternat wohnten, wie viele künftigen Skirennfahrer, Skispringer und Rodler. Dann, als sie in die Halle kamen, legten sie Mützen, schlabbrige T-Shirts und Hosen ab, bis sie nur noch in der Skiunterwäsche steckten. Eine Stunde lang federten sie durch die Luft, überkopf und in Schräglage. Später ging es noch in den Kraftraum, eine Stunde lang.

Längst verzogen ist das Klischee vom Haschischrauch in der Halfpipe, das die Snowboarder umwehte, als sie 1998 erstmals bei den Winterspielen aufschlugen. Der erste Olympiasieger im Parallelslalom, der Kanadier Ross Rebagliati, erklärte seinen Positivtest auf Cannabis damals damit, dass er beim Passivrauchen vom Nebenmann high geworden sei. Und heute?

Der lässige Anstrich, die Outfits etwa, sind geblieben. Doch der Sport hat sich längst der Akrobatik genähert, man sieht es in Peking jetzt wieder: Annika Morgan vom WSC Blaues Land war "so happy" mit ihrem achten Platz im Slopestyle-Finale, sie wusste: "Die Mädels haben krass abgeliefert." Auch Morgans Teamkollegen Leon Vockensperger und Noah Vicktor hatten sich einiges ausgerechnet im Slopestyle der Männer, ehe beide mit Blessuren in die Qualifikation zogen - keine Chance auf das Finale am Montag.

Bei Olympia 2010 und 2014 war nur je ein deutscher Halfpipe-Snowboarder am Start

Und doch: Dass sie so nahe dran sind, erzählt einiges über das Tal, aus dem die deutschen Freestyle-Snowboarder in den vergangenen Jahren gekrabbelt sind. Sie stellen diesmal nicht nur ein paar der besten Alpinboarder und Snowboardcrosser, die von Dienstag an im Einsatz sind - auch bei den Freestylern wirbeln sie wieder durch die Weltspitze, beim Slopestyle, in der Halfpipe und beim Big Air, einem Sprung von einer gewaltigen Rampe. Das zeigt auch, was möglich ist im hochgetakteten Leistungssportzirkus, selbst mit bescheidenen Mitteln und auch, ja tatsächlich, mit jenem Spaß, den die Vorfahren einst vorlebten.

Snowboarden bei Olympia: "So happy": Annika Morgan belegt in ihrem ersten Olympia-Finale Rang acht.

"So happy": Annika Morgan belegt in ihrem ersten Olympia-Finale Rang acht.

(Foto: Oliver Lerch/Gepa/Imago)

Ende der Neunzigerjahre waren die Schienen schon mal verlegt, die Pforzheimerin Nicola Thost hatte in Nagano in der Halfpipe Gold gewonnen. "Wir hatten auf der Zugspitze damals das Epizentrum des Freestyle-Snowboardens", erinnerte sich Baur beim Besuch in Berchtesgaden. Die Betreiber mochten sich den Aufwand irgendwann aber nicht mehr leisten, Wettkämpfe und Nachwuchs gingen ein. Bei Olympia 2010 und 2014 war nur je ein deutscher Halfpipe-Snowboarder am Start. Aber manchmal, das wusste Baur, als er vor Jahren als Nachwuchstrainer zum deutschen Verband kam, ist es von Vorteil, wenn man ein braches Feld neu bestellen kann.

Vor knapp zehn Jahren suchte Friedl May, der heute die deutschen Slopestyler im Weltcup betreut, die Talente für Übermorgen. Erst einmal für die Nachwuchsserien, die langsam wieder erblühten. Mit den Talenten entstanden Regionalteams, Nachwuchskader. Erste Fördermittel, Plätze im Sportinternat in Berchtesgaden folgten. May und Baur entwarfen einen Katalog an Eigenschaften, die künftige Snowboard-Schüler mitbringen sollten, ein Repertoire an Tricks, starke Persönlichkeit - nicht unwichtig bei Sprüngen bis zu 30 Metern - solides Elternhaus und schulisches Niveau, falls es mit der Karriere nichts wird.

Am Anfang trainierten sie auf einer Trampolinanlage neben einem Schnellrestaurant

Und dann: Grundlagenarbeit, immer wieder. Im Schnee, in den Kraftzellen in Laax, am Kitzsteinhorn und in den USA, weil sich die deutschen Gebiete heute keine Pipes und Parks mehr leisten können oder wollen. Und immer wieder auf dem Trampolin, auch im Sommer - um die Athleten wie Katzen zu schulen, die man in die Luft katapultiert und die (fast) immer sicher landen. Früher musste Baur seine Athleten zu einer Anlange in der Nähe von Berchtesgaden fahren, neben einem Schnellrestaurant, wo sie neben übergewichtigen Vätern und Kindern hüpften. Heute haben sie die Halle am Jenner, im Keller zudem einen kleinen Skateboard-Park. Immer nur Snowboarden, das ist auch keine Lösung.

Das sei dann auch der Schlüssel gewesen, sagte Andreas Scheid, der Sportdirektor von Snowboard Germany zuletzt, "dass Trainer und Athleten sich sehr einig waren", wie sie in die Weltspitze finden würden. Ohne Drill, mit Spaß an der Leistung, wie Zeichner, die das Bild ihrer Sportart ausmalen, so in etwa sieht Benedikt Baur das. Früher galten McTwists, eineinhalb Drehungen mit Vorwärtsflip, als die Norm. Heute stehen Snowboarder Vierfach-Salti mit fünf Drehungen. "Es gibt nie eine Endform, einen perfekten Trick", sagt Baur, jede Drehung lässt sich ja ausstaffieren, mit Griffen und neuen Schräglagen. So lebe die Subkultur von einst auch im heutigen Leistungsbetrieb weiter, findet er; wenn auch längst nicht so freizügig wie früher.

Snowboarden bei Olympia: Hart gelandet: Leon Vockensperger, einer der größten Hoffnungen des deutschen Verbands im Slopestyle, scheidet in der Qualifikation der Olympischen Spiele 2022 aus.

Hart gelandet: Leon Vockensperger, einer der größten Hoffnungen des deutschen Verbands im Slopestyle, scheidet in der Qualifikation der Olympischen Spiele 2022 aus.

(Foto: Francisco Seco/AP)

Die Kinder, die May und Baur damals casteten, gewannen jedenfalls bald Medaillen bei Junioren-Weltmeisterschaften; heute sind sie Stammgäste im Weltcup, immer häufiger auch auf den Siegerpodesten. Da ist Leon Vockensperger, 22, vom SC Rosenheim, dessen Vater einer der ersten Snowboarder in Bayern war, die sich einst zwei Skier zusammenbanden und so durch den Schnee pflügten. Der junge Vockensperger tobt sich am liebsten im Slopestyle aus, in der "Königsdiziplin", wie er findet, weil sie alles verknüpft: Kicker, Rails, Sprünge in einem gewaltigen Parcours. Vor einem Jahr wurde er in Laax Weltcup-Zweiter, vor Peking verletzte er sich am Knie und muss jetzt erst mal verarbeiten wie das ist: jahrelang auf einen Tag hinzufiebern, um dann leer auszugehen.

Die Besten trainieren nicht mehr nur auf Trampolinen, sondern auf künstlichen Schanzen mit Landekissen

Da ist auch Annika Morgan, 19, früher Eiskunstläuferin, bis ihr Bruder sie zum Snowboarden brachte. Die also beides in sich trägt, die Disziplin aus den Nachwuchskadern und die Lust am freien Fahren. Auch Morgan lernte in Berchtesgaden, ehe sie anfing, im Weltcup Podestplätze zu sammeln. Jetzt ist sie die erste Deutsche, die es in ein olympisches Slopestyle-Finale schaffte; allein das ist viel wert, wenn die Fördergelder bald wieder verteilt werden. Und eine Chance haben sie und Vockensperger und Co. ja noch, beim Big Air in der zweiten Woche.

Und da sind auch Leilani Ettel, 20, vom SV Pullach, die sich in der Halfpipe in die Weltspitze aufgemacht hat, und André Höflich vom SC Kempten, der schon früh "einer von den Coolen" in der Pipe sein wollte. Jetzt fordert der 24-Jährige ein paar der Allercoolsten heraus: unter anderem Shaun White, den dreimaligen Goldgewinner, der in Peking zum letzten Mal durch die olympische Pipe wirbeln wird.

Leichter wird es nicht, sich in dieser Elite zu behaupten. Die Besten trainieren nicht mehr nur auf Trampolinen, sondern auf künstlichen Schanzen mit Landekissen, es geht immer weiter. Bei Snowboard Germany beschäftigen sie mittlerweile einen Mitarbeiter, der sich beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) darum kümmert, wie man die immer schwereren Tricks noch besser festigen kann. Sie mussten zuletzt aber auch bei Unterkünften und Essen sparen, um sich die Reisen zu den besten Anlagen leisten zu können. Aber, findet Andreas Scheid, der Sportdirektor, sie haben ja noch Zeit. Ihr ältester Freestyler in Peking ist 24. Ihr Konzept soll länger halten als für ein paar olympische Großkampftage.

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