Snowboarder bei Olympia:Zehn Prozent zu wenig

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"Wenn ich vorne gefahren wäre, hätte keiner auf der Strecke gelegen.": Martin Nörl (2.v.r.) gibt sich nach seinem Zusammenprall mit dem Amerikaner Mick Dierdorff (links) selbstkritisch. (Foto: Maja Hitji/Getty Images)

Nicht immer kommt der Schnellste auch als Erster ins Ziel: Nach dem nächsten medaillenlosen Auftritt müssen die deutschen Snowboardcrosser feststellen, dass ein starker Winter allein noch keinen Olympiasieger macht.

Von Johannes Knuth

Ein Tag, ein Wettstreit, vier Männer, die sich auf einen Parcours stürzen - "da gewinnt nicht immer der Schnellste", hatte der Snowboardcrosser Paul Berg zuletzt gesagt. Und man konnte Berg in dieser Causa als Sachverständigen durchaus für voll nehmen. Der 30-Jährige ist seit einem Jahrzehnt im Weltcup aktiv, er hat zwei Rennen und 2019 WM-Bronze mit dem Team gewonnen, er weiß, wie das ist: sich in den Windschatten des Vordermanns zu klemmen, in der Steilkurve vorbeizudrängeln, Runde um Runde. "Am Ende", sagte Berg, "muss man nicht der Schnellste sein, um der Erste im Ziel zu sein."

Das manifestierte sich am Donnerstag auch auf dem olympischen Snowboardcross-Kurs von Zhangjiakou - allerdings nicht ganz so, wie es sich die Deutschen ausgemalt hatten. Berg, der zweifelsohne nicht der Schnellste war, behielt diese Rolle auch in den K.-o.-Runden inne. Und Martin Nörl, der als einer der Schnellsten überhaupt angereist war, passierte letztlich auch nicht als Erster das Ziel.

Der deutsche Sportdirektor übt deutliche Kritik

Es sind bislang komplizierte Winterspiele für den Verband Snowboard Germany. 15 Athleten hatten sie nach Peking beordert, so groß war ihre olympische Delegation noch nie gewesen. Und die Zukunft meint es auch weiter gut mit ihnen, wenn man bedenkt, wie viele junge Freestyle-Athleten sie bislang in den Finals platzierten; am Donnerstag wurde die 20-jährige Leilani Ettel in der Halfpipe Elfte. Aber die Leistungssportlandschaft verlangt nun mal auch ein paar funkelnde Erfolge im Jetzt, und die beschafften nun weder die starken Alpinboarder um Ramona Hofmeister und Stefan Baumeister noch die Snowboardcrosser. Andreas Scheid, der Sportdirektor des Verbandes, zwang das zu einer recht scharfen Analyse: "Man braucht dieses Selbstverständnis, hier an den Start zu gehen und zu gewinnen. Das war bei uns nicht da", sagte er. "Wenn es bei Olympischen Spielen richtig zur Sache geht, können manche eben noch zehn Prozent draufpacken."

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Dabei hatte es am Donnerstag noch vielversprechend begonnen, alle Starter - Nörl, Berg, der 21-jährige Umito Kirchwehm - waren über die Qualifikation ins Achtelfinale gerückt. Nörl fuhr dort so, wie ein Favorit fahren sollte, flink am Start, immer an der Spitze, in den langgeschwungenen Kurven und den Geraden, seine großen Stärken. Berg kam im selben Achtelfinale knapp hinter Weltmeister Lucas Eguibar aus Spanien ins Ziel, das war zu wenig. Für Berg war es aber schon ein Erfolg, dass er so weit gekommen war, nach Knöchelverletzungen in beiden Sprunggelenken, die so heftig waren, dass er im Winter phasenweise selbst mit Schmerzhemmern nicht fahren konnte. Dafür rückte Kirchwehm, der auf einem Teppich der Unbekümmertheit aus dem Startgatter preschte, prompt ins Viertelfinale vor.

Dort erwartete Nörl schon ein kleines Endspiel: mit dem Österreicher Alessandro Hämmerle, dem Amerikaner Mick Dierdorff und Eguibar als Kontrahenten. Und diesmal startete Nörl nicht ganz so vielversprechend. Hämmerle war früh enteilt, und als der Deutsche sich mit Dierdorff um die zweite und letzte Position beharkte, die einen Platz fürs Halbfinale garantierte, sank Dierdorff in den Schnee. Nörl konnte nicht mehr ausweichen, fiel - und sah, wie auch der Spanier Eguibar davonzog. Die Gestürzten und Geschlagenen klopften sich später auf die hängenden Schultern, so sei nun mal der Sport, sagte Nörl: "Wenn ich vorne gefahren wäre, hätte keiner auf der Strecke gelegen."

Kurz darauf war auch Kirchwehms Abenteuer vorbei, nach einem weiteren Unfall, den der junge Deutsche verursacht hatte.

Eine Chance, die nicht noch einmal wiederkommt? Martin Nörl fährt nach seinem Olympia-Aus mit hängenden Schultern ins Ziel. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Noch so eine alte Olympiaweisheit, aber es hilft ja nichts: Auch im Snowboardcross siegt nicht immer der Schnellste, sondern derjenige, der die Last des Favoriten schon ein paar Mal getragen hat. Wie Alessandro Hämmerle, WM-Silber 2019, drei Mal zuletzt Bester im Gesamtweltcup - und jetzt auch Schnellster im olympischen Finale, wo er sein Brett ein paar Zentimeter vor dem Kanadier Eliot Grondin über die Ziellinie wuchtete. Nörl war in den vergangenen Jahren still und fleißig in die Weltspitze geklettert, bei seinem Olympia-Debüt 2018 wurde er Achter, im Vorjahr WM-Fünfter - als Mitfavorit trat er aber erst so richtig in diesem Winter ins Licht, vor allem im Januar, in dem er drei Weltcups gewann. "Ich hatte hier die Chance, als Favorit bei Olympischen Spielen teilzunehmen - die gibt es wahrscheinlich nur einmal", sagte Nörl. Vielleicht aber auch nicht, er ist erst 28 Jahre alt.

Und eine letzte, kleine Chance haben die deutschen Crosser in Peking noch: Am Samstag, bei der Olympiapremiere des Teamwettkampfs. Dann mit Nörl und Jana Fischer, die im Einzel im Achtelfinale ausgeschieden war. Eine starke Kombination - aber auch im Team gewinnen nicht immer die Schnellsten.

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